Ausschlussverfahren gegen Björn Höcke - Die AfD spielt va banque

Ist die AfD ein Auffangbecken für enttäuschte Konservative oder rechtsextrem? Am Auschlussverfahren gegen Björn Höcke entzündet sich diese Frage. Es geht um die Zukunft der Partei. Gerade die bürgerlichen Kräfte in der Parteispitze könnten diese verspielen

Björn Höcke stellt die AfD vor eine Zerreißprobe / picture alliance
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Also gut, ich gestehe es. Ich kenne AfD-Wähler. Es gibt sogar einen in der Familie. Ich kenne den Menschen lange, deswegen kann ich garantieren: Er ist kein Nazi. Er hält Hitler für den größten Verbrecher der Moderne, der mit dem Judenmord das grausamste Verbrechen begangen hat, stellt aber auch nicht die Mitschuld aller Deutschen in Frage. Auch hat er nie einen Nichtdeutschen als in irgendeiner Form minderwertig beschrieben oder behandelt. Dieser Mensch aber hat Angst um das Abendland, wie er es formuliert.

Er sagt, wenn er in Berlin-Neukölln herumläuft, dann fühlt er sich nicht mehr zuhause. Er findet, dass in der Einwanderungspolitik fast alles schief läuft. Von Angela Merkel, die er eigentlich für die klügste Person in der deutschen Politik hält, ist er tief enttäuscht. Als er mir sagte, dass er die AfD wählen will, reagierte ich empört. „Aber was soll ich denn machen?“, fragte er. „Gar nicht wählen?“ In der Migrationsfrage, die er als das wichtigste Thema für die Zukunft in Deutschland ansieht, seien ja alle eigentlich bürgerlichen Parteien mehr oder weniger der Meinung, dass die anhaltende Einwanderung eine Bereicherung für Deutschland sei.

Logischer Aufstieg der AfD 

Ich bin in fast allen Punkten anderer Meinung als mein Verwandter. Trotzdem unterhalte ich mich gern mit ihm. Es ist normal und logisch und alles andere als schlimm, dass es von diesen Leuten in Deutschland viele gibt. Jeder weiß das eigentlich. Dennoch wundert man sich allerorts, dass, wenn die größte konservative Kraft im Parteienspektrum, die Union, nach links rückt, rechts von ihr eine neue Partei entsteht: die AfD.

Nun hat die AfD auch viele Menschen versammelt, die nicht rechtskonservativ, sondern rechtsextrem sind. Die nicht gegen die Migrationspolitik, sondern schlicht gegen Ausländer an sich sind. Die die NPD aufgegeben haben und es nun in der AfD versuchen. Der profilierteste Rechstaußen der Partei ist Björn Höcke. Ihn will die AfD nun rausschmeißen. Sie zieht damit die Konsequenzen aus den Äußerungen Höckes zum Berliner Holocaust-Mahnmal und zur Aufarbeitung der deutschen NS-Vergangenheit. Über Höcke selbst hat Christoph Seils auf dieser Seite schon alles Nötige und Richtige geschrieben. Höcke „will die Axt anlegen an die Bundesrepublik, an die kollektive Identität der Deutschen seit 1945“, schrieb Seils. „Der will auch die Axt anlegen an den Gründungsmythos der Bundesrepublik und den bundesdeutschen Konservatismus christdemokratischer Prägung.“

Ausschlussverfahren keine Kleinigkeit 

Klar, man kann der AfD vorwerfen, dass sie das Verfahren nicht sofort nach der unsäglichen Rede veranlasst hat. Allerdings ist ein Ausschlussverfahren gegen Höcke keine Kleinigkeit. Schließlich handelt es sich um den Fraktionsvorsitzenden und Sprecher eines Bundeslandes und damit um eine der zentralen Figuren der AfD. Und natürlich vertritt er eine Gruppe von Wählern, die rechtsextremen oder dahin tendierenden. Die mag man nicht mögen, aber Wähler, die der Partei nun fehlen könnten, sind sie nun einmal auch. Außerdem ist ein Ausschlussverfahren ein schwieriges Unterfangen. Die SPD hat das bei Thilo Sarrazin leidvoll erfahren, gleich zweimal ist die Partei damit gescheitert.

Wie weit ist Höckes Gedankengut verbreitet?

Auf der Facebook-Seite der AfD äußern sich dementsprechend viele Enttäuschte. „Anscheinend ist die AfD doch keine Alternative, sondern nur eine weitere Blockpartei", steht da. Oder: „Dauert nicht lange, dann ist die AfD genau so eine ‚Systempartei‘ wie CDU, SPD und Grüne."

Andererseits bleibt die Partei nur so überhaupt wählbar für Menschen wie meinem Verwandten, die mit Aufrührern wie Höcke nichts am Hut haben. Für die Partei ist es ein Vabanque-Spiel. Wie weit ist Höckes Gedankengut verbreitet und auch akzeptiert in der Partei, den Landesverbänden und bei den Unterstützern? Und sollten diese abspringen, lassen sie sich aus dem bürgerlich-konservativen Milieu ersetzen, weil sich unter ihnen noch weitere befinden, die mit der Politik der etablierten Parteien nicht einverstanden sind, aber bisher davor zurückschreckten, eine Partei mit Leuten wie Höcke zu wählen?

Wie viel Höcke steckt in der AfD?

Das Machtspiel von Meuthen und Gauland

Die Beantwortung dieser Frage könnte die Partei zerreißen, oder aber ihr neuen Auftrieb verleihen. Kein Wunder also, dass das Ausschlussverfahren im Parteivorstand umstritten ist. Dass sich ausgerechnet Parteichef Jörg Meuthen und Vize Alexander Gauland auf Höckes Seite geschlagen haben, mutet dann aber doch merkwürdig an. Der Ökonomie-Professor und der frühere CDU-Politiker geben sich ansonsten gern als das bürgerliche Gesicht der Partei. Höcke verteidigen sie aber unentwegt.

Im vergangenen Sommer hatte Gauland dem Cicero gesagt, er halte Höcke für einen „sehr klugen Mann“, der sich „große Sorgen um Deutschland“ mache. Er sei ein „Nationalromantiker“, der sein Land mit ganzem Herzen liebe. Deshalb neige dieser auf Kundgebungen auch zu „überspitzten Formulierungen“. Es ist schwer vorstellbar, dass Gauland nicht klar ist, dass er so die befremdlichen Äußerungen von Höcke verharmlost. Der Grund dafür, dass er er es trotzdem tut, ist wohl Frauke Petry, Co-Chefin mit Meuthen. Die Männer wollen die Frau, gegen die sie angeblich eine persönliche Abneigung verbindet, in Schach halten.

Bei der AfD sehen wir also ein Machtspiel, ein Geschacher um Posten, eigentlich wie bei den von ihr verhassten etablierten Parteien auch. Mit dem entscheidenden Unterschied, dass im Fall Höcke aufhetzende Gedanken und Reden im Spiel sind. Gerade die konservativ-bürgerlichen Herren Meuthen und Gauland müssen aufpassen, dass sie sich so nicht verspielen. Es gibt nämlich noch eine dritte Möglichkeit: dass die Partei sowohl die extremen als auch die konservativen Wähler verliert. Wähler wie mein Verwandter, die nach einer echten Alternative suchen und keine Krawall-Partei. 

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