Augsburg - Tödlicher Handschlag

In Augsburg wurde ein Mann getötet, weil sich Jugendliche provoziert fühlten. Die unfassbare Tat ist ein integrationspolitisches Menetekel: Wer die Frage nach der gemeinsamen Identität verleugnet, schwächt die Republik

Tödlicher Handschlag: Augsburg wurde zum Schauplatz eines unfassbaren Verbrechens / picture alliance
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Alexander Kissler ist Redakteur im Berliner Büro der NZZ. Zuvor war er Ressortleiter Salon beim Magazin Cicero. Er verfasste zahlreiche Sachbücher, u.a. „Dummgeglotzt. Wie das Fernsehen uns verblödet“, „Keine Toleranz den Intoleranten. Warum der Westen seine Werte verteidigen muss“ und „Widerworte. Warum mit Phrasen Schluss sein muss“.

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Ein 49-jähriger Mann überlebt den Heimweg vom Christkindlmarkt nicht. Ein 17-jähriger Jugendlicher schlägt ihn unvermittelt zu Tode. Die Ehefrau muss die Gewalttat mitansehen. Ein befreundeter Mann wird beim Versuch, dem Opfer zu helfen, attackiert und erleidet schwere Gesichtsverletzungen. Die Täter und ihre Komplizen, insgesamt sieben junge Leute, fliehen. So geschah es am vergangenen Freitag um 22 Uhr 40 in Augsburg. Bereits am Sonntag sind die mutmaßlichen Täter ermittelt, am Montag gibt die Polizei eine Pressekonferenz zum „Tötungsdelikt vom 6. Dezember“. Dabei fällt ein Satz, der nebensächlich klingt und doch ins Zentrum der Tragödie führt: „Alle Tatverdächtigen kennen sich mehr oder minder lange.“

Wenn öffentliche Räume zu Räumen der Gewalt werden, verändert sich das Gesicht einer Gesellschaft. Sie splittert sich auf in sichere und unsichere Gebiete, in Teil- und Halböffentlichkeiten, in abgestufte Risikolagen. So verliert die Gesellschaft schleichend ihr republikanisches Fundament. Solche Tendenzen erleben wir derzeit in Deutschland; nicht flächendeckend, aber an zu vielen Stellen.

Ein falscher Blick 

Am Montag wurde in München ein Polizist „von einem Unbeteiligten mit einem Messer angegriffen und verletzt“. Beim Täter soll es sich um einen 23-jährigen polizeibekannten, obdachlosen Deutschen mit psychischen Problemen handeln, der zuvor durch Diebstahls- und Drogendelikte auffiel. In Stuttgart hatte tags zuvor ein Mann, der „bereits früher wegen verschiedener Delikte polizeilich in Erscheinung getreten war“, eine zufällig ausgewählte Frau mit einem Messer angegriffen und getötet. Der Mann als Einzeltäter, psychisch erkrankt oder nicht: das scheint unausrottbar.

In Augsburg war es anders. Die Gewalt explodierte aus einer Gruppe heraus. Da waren sieben junge Männer, die zwei nicht mehr ganz so junge Männer „plötzlich umringten“. So stellte der Leitende Kriminaldirektor Gerhard Zintl den Fall auf der Pressekonferenz dar. Das Opfer bezahlte demnach einen falschen Blick, vielleicht auch ein falsches Wort mit dem Leben. Die Videoaufzeichnungen vom Tathergang ließen keinen Zweifel: Der 49-jährige Feuerwehrmann drehte sich um, ging auf die Gruppe zu, die sich zuvor „auffällig bewegt“ habe, und starb 20 Sekunden später.

Schlag von der Seite 

„Der Schlag“, so Zintl, kam „unvermittelt von der Seite mit voller Wucht und hat so zum Tode geführt.“ Da stürzte niemand unglücklich; da wurde jemand mit einem einzigen Handschlag getötet. Von solcher tödlichen Wucht macht man sich besser kein genaues Bild. Zum auslösenden Moment des Disputs will die Polizei nichts sagen, doch der Feuerwehrmann habe sich „regelkonform“ verhalten.

Gegen den 17-jährigen „Haupttäter“ wird nun wegen Totschlags und gefährlicher Körperverletzung ermittelt. Haftbefehle gegen den Rest der Gruppe wurden wegen Beihilfe und gemeinschaftlich begangener Körperverletzung erlassen. Sie waren zu siebt, die Männer zwischen 17 und 20 Jahren, sie kannten sich „mehr oder minder lange“, und „einige“ sind wegen „jugendtypischer Delikte“ polizeibekannt – zwei, darunter der Haupttäter, konkret wegen Körperverletzung. Ob es klug war von Gerhard Zintl, physische Gewalt gegen Dritte als typisches Generationenphänomen darzustellen, sei dahingestellt. Wahr ist: Es gibt Jugendliche mit geringer Gewalthemmung. Und es gibt Gruppen, die zur Enthemmung beitragen.

Ist die Gruppe wichtiger als die Staatsbürgerschaft? 

Der Totschlag von Augsburg stellt eine bittere Frage an den Geist, der in Gruppen herrscht, an die Kultur oder Unkultur in Männergruppen, an Machtgehabe und Geltungsdrang unter Jugendlichen. Von den sieben Freunden oder Kumpanen haben sechs eine doppelte Staatsbürgerschaft, die deutsche nämlich und die türkische – und somit einen Migrationshintergrund. Der Haupttäter soll eine dritte Staatsbürgerschaft haben, die libanesische. Juristen mögen klären, ob es den Dreifachpass überhaupt geben darf. Nur einer der sieben Freunde muss mit einer einzigen Staatsbürgerschaft vorlieb nehmen, der italienischen. Geboren in Augsburg wurden sie alle.

Insofern ist die Gewalttat eine schwarze Nachricht aus einem integrationspolitisch vermintem Gebiet. In einer Stadt mit einem „Migrantenanteil von fast 50 Prozent“ kann es geschehen, dass man zur Stadtgesellschaft dazu gehört, ihr entstammt, und doch abseits steht, sich einübt in Verhaltenslehren der Gewalt. Kann es geschehen, dass man Identität aus der Gruppe bezieht und nicht aus der Staatsangehörigkeit, die man doppelt oder dreifach mit sich führt. Dass also mit der Staatsbürgerschaft kein Bekenntnis zum Staat und dessen Werten einhergeht. Wer die republikanischen Bande stärken will, der muss eine Sprache finden, ein Gefühl, einen Ausdruck für unsere gemeinsame Identität. Anders wird der gesellschaftliche Frieden nicht zu retten sein. Wo die Vernunft schweigt, da spricht die Gewalt.

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