Attentat in Orlando - Wir Muslime dürfen Homophobie nicht länger leugnen

Das Attentat in Orlando hat gezeigt: In muslimischen Kreisen gibt es einen hohen Grad an Homophobie. Lange wurde das totgeschwiegen, kritisiert die Bloggerin Büsra Delikaya. Sie fordert, den Hass in den eigenen Reihen konsequent zu bekämpfen

Eine Frau hält eine Kerze für die Opfer des Orlando-Attentats / picture alliance
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Autoreninfo

Büsra Delikaya, geboren 1995, studiert Germanistik und Geschichte. Sie ist freie Autorin in Berlin und schreibt den Blog Gedankenfasern.

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Die Bilder von Orlando schockieren uns noch immer. Omar Mateen, 29, eröffnete in einem Schwulenclub das Feuer. Er tötete mindestens 50 Menschen – und filmte seine abscheuliche Tat bei Facebook. Inzwischen ist klar: Der Täter bekannte sich zur IS-Terrormiliz. Er war offenbar homophob.

Mateen war kein Muslim, der den Islam auch nur ansatzweise verstand. Er verrichtete seine Praxis, ohne seine Religion zu begreifen. Natürlich beteuern nun alle Muslime zu Recht, das alles habe nichts mit dem Islam zu tun. Schließlich ist im Islam das Töten eines Lebewesens – vom Mensch bis hin zur winzigen Ameise – eine Abscheulichkeit.

Aber Mateen gab vor, Muslim zu sein und wahrscheinlich glaubte er sogar, ein guter zu sein. Also genügt es nicht, den Attentäter als grausam zu bezeichnen. Bei einigen Muslimen scheint es fast so, als wären sie in erster Linie über die blutige Tat als solches, nicht aber unbedingt über die Intention entrüstet.

Homophobie ist real

Denn Homophobie ist real, weit verbreitet und auch in muslimischen Kreisen tief verankert. Viel zu wenig wird darüber gesprochen. Die Gefahr, greifbare Hassquellen zu negieren, gar zu ignorieren und sie so ins Unausweichliche münden zu lassen, ist verantwortungslos von uns allen.

Ein langwieriger Diskurs über die homophoben Züge muslimischer Communities ist nie wirklich entstanden. Wenn, dann nur, um über die theologischen Aspekte zu debattieren. Nie haben Muslime die gesellschaftlichen Missstände aufgegriffen, nie das salonfähige Unterminieren sozialer Teilhabe homosexueller Gläubiger. Sie haben systematisch die Konfrontation gescheut.

Nun, mit einem Gräuel solch verheerenden Ausmaßes, sollten Muslime aus ihrer tiefen Lethargie erwachen. Sie müssen Position beziehen. Es gibt kein Recht, andere auf Grund ihrer sexuellen Orientierung schlechter zu behandeln. Es geht um ein menschliches Miteinander in toleranter Friedfertigkeit, Grundpfeiler einer jeden intakten Gemeinschaft.

Solidarität ist eine islamische Tugend

Wir brauchen einen vernünftigen Dialog. Wenn Homosexuelle in muslimischen Kreisen noch immer so stark tabuisiert werden, wenn sie geringgeschätzt und ausgeschlossen werden, dann muss sich niemand wundern, wenn sich gleichgeschlechtliche Muslime von Moscheegemeinden entfernen und schlussendlich von ihrem Glauben abwenden. Und auch nicht, dass nichtmuslimische Homosexuelle einen inneren Groll zu Muslimen im Allgemeinen hegen. Sie müssen spüren und wissen, dass jeder einen Platz in der Gemeinschaft hat, dass jedem ein gleich großer Teil des Gebetsteppichs in der Moschee zusteht.

Solidarität ist auch eine islamische Tugend. Der Islam hat eine Tradition der Zuvorkommenheit, der Rücksicht auf andere und nicht der Willkür. Die Entscheidung, das Leben so zu gestalten wie es einem beliebt, sofern dies nicht den Willen anderer überschneidet, liegt nach islamischen Grundsätzen einzig und allein in den Händen des Individuums.

Aber es scheint, als ob besonders in muslimischen Kreisen ein hoher Grad an Homophobie zu beobachten sei. Der Hass äußert sich häufig in kurzen Aussagen, unauffälligen Betonungen oder einfach nur in Grundhaltungen, die so etabliert scheinen, dass sie nicht einmal mehr hinterfragt werden.

Degout gegen Schwule

Insbesondere die muslimische Jugend muss dahingehend dringend sensibilisiert werden. Es kann niemandem egal sein, wenn ein unter vielen Jugendlichen bekannter türkischstämmiger YouTuber auf der Videoplattform einen „Streich“ hochlädt, der aus einem falschen Outing besteht, um dabei die Reaktion seines Vaters zu filmen. Dass dieser ihn dann, außer sich vor Wut, fast schlägt und der Junge ihn lachend zu beschwichtigen versucht, es sei ja bloß ein Scherz gewesen, wird mit Humor aufgenommen. Nötig wäre dagegen Besorgnis. Auch betiteln junge Muslime oftmals für sie Widersinniges als „schwul“ und „homo“. Diffamierung wird zum Slang.

Wenn dann jemand die Problematik anspricht, wird nicht selten das islamische Verständnis der Person selbst in Frage gestellt. Das ist fatal.

Auch ist auffällig, dass vor allem Männer einen ausgeprägteren Degout gegen Schwule in sich tragen, was vermutlich zum Teil mit einem Männlichkeitskomplex einhergeht. Nicht selten wird etwas noch so unscheinbar Feminines abfällig als „Schwules“ angeprangert. So ist es nicht abwegig zu sagen, dass homophobe und patriarchale Züge sich an bestimmten Punkten durchaus kreuzen können.

Muslime sind nicht die einzige Minderheit

Zu selten erlebt man beispielsweise, dass Muslime gegen Hassbewegungen arbeiten, die nicht sie selbst betreffen. Wir können uns aber nicht immer nur dann einsetzen, wenn es um unsere eigenen Rechte und Interessen geht. Wer Solidarität einfordert, der muss Solidarität leben. Wer Feindseligkeit sät, darf sich im Gegenzug nicht über Feindseligkeit wundern.

Wir können nicht ausschließlich über Islamophobie reden, wenn in den eigenen Reihen Homophobie, Antisemitismus, Antiziganismus und kultureller Rassismus losbrechen. Muslime sind nicht die einzige Minderheit, die unter täglicher Diskriminierung leiden. Und nicht jeder Hass dreht sich um den Islam.

Erst wenn wir beginnen, Voreingenommenheit in jedem Kontext gleich unerträglich zu finden, kann auch außerhalb unserer Gemeinschaft eine Einheit erwachsen.

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