Atomwaffen im Koalitionsvertrag - Die Bombe bleibt

Die Zukunft der US-Atombomben auf deutschem Boden wurde bei den Koalitionsverhandlungen unter der Decke gehalten. Nun unterstützen Union und SPD, dass amerikanische Nuklearwaffen weiter in Deutschland stationiert sein und sogar modernisiert werden dürfen. Damit bleibt Deutschland ein atomarer Falke

Die US-Atombomben in Deutschland werden modernisiert. Für Kritiker steigt damit die Wahrscheinlichkeit ihres Einsatzes / picture alliance
Anzeige

Autoreninfo

Werner Sonne, langjähriger ARD-Korrespondent in Washington, ist der Autor mehrerer Bücher zu diesem Thema, u.a.  „Leben mit der Bombe“, sowie des jüngst erschienenen Romans „Die Rache des Falken“. 

So erreichen Sie Werner Sonne:

Anzeige

Die SPD hat auch bei der Atombombe die Kurve gekriegt. Erst wollte sie keine Große Koalition, und auch keine Atombomben mehr in Deutschland. Und nun bleiben die 20 amerikanischen Nuklearwaffen doch da, wo sie schon seit 60 Jahren liegen: beim taktischen Luftwaffengeschwader 33 in Büchel in der Eifel. So hält man wie seit Jahrzehnten an der nuklearen Abschreckung und der damit verbundenen Aufgabenteilung fest: Die USA stellen die Bomben, die Bundeswehr die Trägerwaffen und die Piloten, die diese Atomwaffen in die von der Nato vorgegebenen Ziele tragen sollen.

Als der damalige SPD-Vorsitzende Martin Schulz im vergangenen Spätsommer die Umfragewerte seiner Partei in den Keller rauschen sah, da griff auch er nach diesem Strohhalm, der sich für Populismus allemal gut geeignet: Atomwaffen – nein danke.

Er tat das nicht zufällig bei einem Wahlkampfauftritt in Trier, denn der deutsche Fliegerhorst Büchel liegt nicht weit davon entfernt. Seit Jahrzehnten demonstriert die Friedensbewegung immer wieder gegen die dort gelagerten amerikanischen Nuklearwaffen. Doch der erzwungene Verzicht von Schulz auf das Auswärtige Amt macht es nun der SPD leichter zu erklären, warum sie auch diesmal wieder zugestimmt hat. 

Eher ein Falke als eine Taube

Denn im Koalitionsvertrag von 2013 hatten die Sozialdemokraten noch ohne Zögern mitgetragen, dass die Bomben in Büchel bleiben. Und nicht nur das: Das SPD-geführte Auswärtige Amt hatte ebenfalls dem Weißbuch zur Sicherheitspolitik seinen Segen gegeben, in dem 2016 erneut und sehr viel deutlicher bekräftigt wurde, dass Deutschland an der nuklearen Teilhabe und damit einem entscheidenden Pfeiler der deutschen Sicherheitspolitik festhält.

Deutschland gehört keineswegs zu den Tauben, wenn es um nukleare Abschreckung geht. Beim Nato-Gipfel in Warschau war es, ebenfalls 2016, die deutsche Delegation, die darauf drängte, dass die westliche Allianz sich erneut zur ihrer nuklearen Rolle bekannte. Wörtlich heißt es da: „Solange Nuklearwaffen existieren, will die Nato eine nukleare Allianz bleiben. Die strategischen Streitkräfte der Allianz, besonders die der Vereinigten Staaten, sind die oberste Garantie der Sicherheit der Allianz.“

Das bringt es auf den Punkt. Der Artikel 5, die Beistandsklausel, ist der Kern der Verteidigungsallianz – und deren Kern wiederum ist die Zusicherung, im Extremfall die Verteidigung ihrer Mitglieder mit Atomwaffen zu erzwingen. 

Gern unter dem Nato-Schutzschild

Deutschland hat seit Bundeskanzler Konrad Adenauer immer darauf gedrängt, unter diesem, vor allem von den USA zugesagten atomaren Schutzschild zu stehen. Und das tut es bis heute – allen Versicherungen zum Trotz, atomare Abrüstung sei doch das große Ziel.

Wenn es dafür noch eines Beweises bedurfte, dann wurde das Ende 2017 in einer Sitzung der Vereinten Nationen überdeutlich. Die überwältigende Mehrheit der Mitgliedsstaaten verabschiedete eine Resolution für eine atomwaffenfreie Welt. Deutschland dagegen blieb bei den atomaren Falken. Die deutsche UN-Delegation nahm auf Weisung des von SPD-Minister Sigmar Gabriel geführten Auswärtigen Amtes nicht mal an der Abstimmung teil – wie alle anderen Staaten auch, die über Atomwaffen verfügen. Die offizielle Begründung war, es mache ja ohnehin keinen Sinn, weil die Atommächte eben auch nicht mitmachten. Der eigentliche Hintergrund war jedoch, dass die Bundesrepublik dann auf ihre nukleare Teilhabe in der Nato hätte verzichten müssen – und genau das will sie eben nicht.

Modernisierung der US-Waffen

Schon 2010 hat die Bundesregierung insgeheim zugestimmt, dass die in Büchel liegenden amerikanischen Atombomben modernisiert werden. Das ist unvermeidbar, auch Atomwaffen altern und müssen ersetzt werden. Nur: „Modernisieren“ darf das im Atom-Sprech der Bundesregierung auf keinen Fall heißen. Offiziell heißt es „Lebensverlängerungsprogramm“.

Dabei ist dieses Programm hochpolitisch und brisant. Denn die bisherige B-61-4-Bombe bekommt neue Fähigkeiten. Sie bekommt, jetzt als B-61-12, erstmals eine lenkbare Schwanzflosse, ihre Zielgenauigkeit verbessert sich von 100 auf nur noch 30 Meter. Ihre Sprengkraft ist regelbar: Von gewaltigen 50 Kilotonnen (das gut Dreieinhalbfache der Hiroshima-Bombe) auf nur schmale 0,3 Kilotonnen – je nach Einsatz. Will heißen: Es können damit sehr große, aber auch sehr kleine Ziele angegriffen werden. Im Urteil der Kritiker steigt damit die Wahrscheinlichkeit, dass sie auch eingesetzt werden könnte. 

Abrüstung nicht in Sicht

Das passt genau zur neuen Nuklearstrategie der Regierung von Donald Trump, die Aufregung in Berlin verursachte, als sie bekanntmachte, dass sie wieder verstärkt auf schwächere Atomwaffen setzt – ausdrücklich zur Abschreckung Russlands.

Natürlich wählt der Koalitionsvertrag bei diesem brisanten Thema vorsichtige Worte. „Solange Kernwaffen als Instrument der Abschreckung im Strategischen Konzept der Nato eine Rolle spielen, hat Deutschland ein Interesse daran, an den strategischen Diskussionen und Planungsprozessen teilzuhaben“, heißt es da. Um dann die Vision zu beschwören, die doch endlich die Atomwaffen überflüssig machen soll: „Erfolgreiche Abrüstungsgespräche schaffen die Voraussetzung für einen Abzug der in Deutschland und Europa stationierten taktischen Nuklearwaffen.“ Erfolgreiche Abrüstungsgespräche sind freilich nicht in Sicht – ein Abschaffen der Bomben auch nicht. Ganz im Gegenteil.

Moskau auf der Anklagebank

Es besteht die Gefahr einen dramatischen neuen Aufrüstungsrunde – und auch hier muss sich die Bundesregierung aus der Deckung wagen. Der Abrüstungsvertrag über die komplette Abschaffung von atomaren Mittelstreckenraketen, als INF-Vertrag bekannt, könnte platzen – das wäre ein Desaster historischen Ausmaßes. Russland steht hier am Pranger. Laut Geheimdiensten haben die Russen mit der SXX-8 bereits eine neue Mittelstreckenrakete stationiert, die mit über 500 Kilometern Reichweite den Vertrag verletzt. Anders als die USA hat sich die Bundesregierung dazu bisher mit Kritik zurückgehalten. Das geht jetzt nicht mehr.

Im Koalitionsvertrag nimmt sie erstmals deutlich Stellung. Berlin will unbedingt am INF-Vertrag festhalten, denn Deutschland wäre sonst wieder einmal direkt betroffen, wenn diese Gattung Atomwaffen wieder eingeführt würde. „Eine vollständige Überprüfbarkeit ist essenziell. Ein russischer Vertragsbruch, für den es begründete Sorgen gibt, hätte erhebliche Auswirkungen, weil derartige Waffen jedes Ziel in Europa erreichen könnten“, heißt es jetzt im Koalitionspapier. Damit schlägt sich nach langem Zögern die Bundesregierung auf die Seite der Trump-Regierung und setzt Moskau auf die Anklagebank.

Die Zeit drängt

Und auch an einer weiteren Baustelle ist die neue Große Koalition gefordert. Denn nicht nur die Büchel-Bomben werden modernisiert, sondern auch die bisherige Trägerwaffe muss dringend erneuert werden, wenn es mit der nuklearen Teilhabe weitergehen soll. Der schwere Tornado-Jagdbomber (Erstflug 1974) erreicht bald das Rentenalter, er ist deutlich älter als die meisten seiner Piloten. Er ist bislang der deutsche Atombomber. Zwischen 2025 und allerlängstens 2035 muss das Flugzeug ersetzt werden. Doch womit? Darüber gibt es schweren Streit zwischen der deutschen Luftwaffenführung, die dafür die amerikanische F-35 kaufen will, ein sogenanntes Stealth-Flugzeug, das sich gegenüber feindlichem Radar unsichtbar machen kann. Das Verteidigungsministerium dagegen will den bereits fliegenden Eurofighter dafür umrüsten, der diese Eigenschaften jedoch nicht besitzt und auch keine amerikanische Zulassung für den Atomwaffeneinsatz hat.

Die deutsche Sicherheitspolitik wird nicht im Verteidigungsministerium sondern im Auswärtigen Amt gestaltet. Der neue Außenminister, wie er auch heißen mag, wird gut zu tun haben, wenn es um die Frage geht, wie man in Zukunft mit dem heiklen Thema Atomwaffen umgehen will. Der Koalitionsvertrag hat nun Klarheit geschaffen, jetzt gilt es, ihn auch umzusetzen.

Anzeige