Asylstreit zwischen CDU und CSU - Nur eine Hoffnung soll mir bleiben

Der Koalitionsausschuss hat getagt, doch in der entscheidenden Frage ist man nicht weitergekommen. Stattdessen berufen sich CDU und CSU auf ihre „Schicksalsgemeinschaft“. Aber mit Schicksalsbeschwörung hat die Übernahme von politischer Verantwortung nichts zu tun

Der Vernichtungsschlag der Christsozialen gegen Merkel wird so bald nicht erfolgen / picture alliance
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Alexander Marguier ist Chefredakteur von Cicero.

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Na also, es geht voran in Deutschland: Entschieden ist die nationale Schicksalsfrage, ob das Baukindergeld für vierköpfige Familien auch bei mehr als 120 Quadratmetern Wohnfläche ausgezahlt werden soll. Die Antwort lautet ja, und nach diesem fulminanten Ergebnis des Koalitionsausschusses hätten die vereinigten politischen Kräfte von CDU, CSU und SPD sich eigentlich halbwegs entspannt in die Sommerpause verabschieden müssen. Nur sind sie eben nicht vereinigt, sondern zutiefst zerstritten, und das Baukindergeld war auch nicht die größte Baustelle. Migration bleibt das Thema der Stunde, der Tage, der Wochen und aller Voraussicht nach auch der kommenden Jahre. Insofern ist es kein Wunder, dass nach der nächtlichen Krisensitzung kein brauchbares Ergebnis dazu präsentiert werden konnte. Außer vielleicht der pathetisch-hohlen Erkenntnis der Unionsparteien, sie seien in einer „Schicksalsgemeinschaft“ verbunden (so wurde zumindest die Bundeskanzlerin zitiert).

Dem Begriff „Schicksalsgemeinschaft“ haftet etwas derart Nibelungenhaftes an, dass man sich schon auf den demnächst beginnenden Wagner-Festspielen wähnt, die dieses Jahr übrigens mit einer Neuinszenierung des Lohengrin aufwarten werden. Ob auch Angela Merkel dabei sein kann, bleibt abzuwarten und hängt letztlich vom weiteren Schicksal der „Schicksalsgemeinschaft“ ab und davon, wie Horst Seehofer als bayerischer Fliegender Holländer (Bayreuth, 30. Juli um 18 Uhr, fünf Folgeaufführungen) mit den Urkräften der koalitionären Natur hadert: „Nur eine Hoffnung soll mir bleiben, / nur eine unerschüttert stehen: / so lang der Erde Keime treiben, / so muss sie doch zugrunde gehen. / Tag des Gerichtes! Jüngster Tag! / Wann brichst du an in meiner Nacht? / Wann dröhnt er, der Vernichtungsschlag, / mit dem die Welt zusammenkracht?“

Abgesagte Meuterei

Sagen wir so: Der Vernichtungsschlag der Christsozialen gegen die ungeliebte Kanzlerin wird so bald nicht erfolgen. Zwar bleibt die Lage ernst, wie Merkels treuer Maat Volker Kauder nach dem nächtlichen Manöver zu berichten wusste. Klar ist aber auch, dass der Tag des Gerichtes erst einmal verschoben sein dürfte. Denn es ist inzwischen sehr deutlich geworden, dass die unionsinterne Selbstzerfleischung weder der einen noch der anderen Seite und nicht einmal der SPD Wählerzuwachs bringt. Nach dem Theaterdonner der vergangenen Tage hat dieser Erkenntnisgewinn zu einer gewissen Kohäsion geführt mit dem für die grünen Klabauterfrauen und -männer ernüchternden Befund, dass es schon wieder nichts wird mit dem Platz auf der Kommandobrücke des Regierungsschiffs. Was ohnehin ziemlich unwahrscheinlich war, denn selbst wenn die CSU aus der Großen Koalition ausgestiegen wäre: Die meisten CDU-Abgeordneten stehen in ihren Wahlkreisen wegen der Migrationsfrage derart unter Druck, dass sie einen fliegenden Austausch der Christsozialen durch die Grünen nicht unbeschadet überstanden hätten. So linksliberal ist die CDU dann eben doch noch nicht, auch wenn sich das die eine (oder der andere) in deren Führungsmannschaft so sehr wünschen.

Die Meuterei von Söder, Dobrindt und Seehofer dürfte vorerst abgesagt sein. Um Erfolg zu haben – und der wäre aus deren Sicht nicht mehr und nicht weniger als Merkels Sturz gewesen –, hätten die drei Widerspenstigen einer Zähmung zum richtigen Zeitpunkt bedurft. Der Kanzlerin hingegen ein Ultimatum zu setzen, war ein strategischer Fehler; erst so konnte Merkel die Reihen ihrer eigenen Partei hinter sich schließen. Jetzt geht es für alle Beteiligten nur noch darum, gesichtswahrend aus der missglückten Palastrevolution herauszukommen und den bevorstehenden EU-Gipfel und dessen voraussichtliche Ergebnislosigkeit irgendwie so zu verargumentieren, dass das Schicksal gnädig und die Große Koalition bewahrt bleibt. Heute Abend dürfte Horst Seehofer durch seinen Solo-Auftritt bei Maischberger (ARD, 22.45 Uhr) die entsprechende Linie vorgeben.

Wo Akzeptanz beginnt, endet politische Verantwortung

Eines immerhin muss man dem Fliegenden Innenminister und seinen bayerischen Hintersassen beziehungsweise Taktgebern lassen: Durch ihren Aufruhr ist es ihnen gelungen, den ganzen praktischen Irrsinn und die niederschmetternde juristische Widersprüchlichkeit des deutschen und des europäischen Asylrechts öffentlich zur Diskussion zu stellen. Auch darüber wurde ja von politisch interessierter Seite gern im Ton der Schicksalhaftigkeit gesprochen nach dem Motto: Es liegt nicht in unserer Hand. Dass die CSU diesem Fatalismus ein Ende gesetzt hat, war ein wichtiger Schritt. Denn wo die Akzeptanz vermeintlicher Schicksale beginnt, dort endet regelmäßig die politische Verantwortung.

Mehr zum Asylstreit können Sie in unserem Dossier nachlesen.

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