Der nächste Bundeskanzler heißt Armin Laschet – könnte man meinen. Denn auf den ersten Blick ist die Ausganglage für den derzeitigen nordrheinwestfälischen Ministerpräsidenten ausgezeichnet. Und auf den zweiten auch. Das hat zunächst gar nichts mit der Person Laschets zu tun, mit seinen politischen Positionen oder seinen Erfolgen, sondern schlicht mit machtpolitischen Konstellationen:
Da ist zunächst die Tatsache, dass die drei anderen Mitbewerber um den CDU-Vorsitz – Friedrich Merz, Norbert Röttgen und Jens Spahn – alle aus einem Landesverband kommen, dem größten und mächtigsten Landesverband innerhalb der CDU, dessen Vorsitzender, wie es der Zufall so will, Armin Laschet heißt. An Rhein und Ruhr müsste man also schon den eigenen Vorsitzenden demontieren, um eine Wahl Laschets zum Bundesvorsitzenden zu verhindern. Das wird man nicht tun.
Sehnsucht nach Kernigkeit
Zweitens sind da die Konkurrenten, die eigentlich keine Konkurrenten sind: Norbert Röttgen versucht zwar mit außenpolitischen Themen in die Schlagzeilen zu kommen, aber das unterstreicht seine Außenseiterposition mehr, als dass es sie beseitigt. Jens Spahn hat sich zum Laschet-Unterstützer degradieren lassen, und es wäre eine arge Überraschung, wenn er nun doch noch aus der Deckung käme. Und Friedrich Merz wurde von Corona kalt erwischt.
Überhaupt: Friedrich Merz. Man kann die Sehnsucht an der CDU-Basis nach Kernigkeit und deutlichen Ansagen, nach marktwirtschaftlichen Prinzipien und schneidender Rhetorik gut verstehen. Das alles ändert aber nichts daran, dass Merz ein Mann von gestern ist. Wo immer er auftritt, umweht ihn Nostalgie. Merz ist sein eigenes Museum, ein Mann der 00er Jahre, des Hypes um die neuen Märkte und die flotten Gewinne. Inzwischen leben wir aber in einer Zeit, in der selbst in Bankvorständen heimlich von Verstaatlichungen geträumt wird und das bedingungslose Grundeinkommen am Horizont der politischen Agenda erscheint. Merz mag da ein erfrischendes Korrektiv sein. Was aber, wenn das Korrektiv ein Fossil ist?
Konservatives Image und urbane Lebenspraxis
Bleibt also nur noch Laschet. Nach Lage der Dinge ist er – um das schöne Wort zu gebrauchen – alternativlos. Wer aber, so die nächste Frage, soll einem CDU-Vorsitzenden Laschet die Kanzlerkandidatur streitig machen?
Im Grunde nur zwei: Jens Spahn oder Markus Söder. Tatsächlich wäre Jens Spahn eine echte Alternative, und er bringt den für CDU-Strategen verlockenden Mix aus konservativem Image und modern-urbaner Lebenspraxis mit. Zudem hat Spahn, ursprünglich gelernte Bankkaufmann, seine Sache in der Corona-Krise alles in allem nicht schlecht gemacht. Dennoch hätte Spahn nur dann eine Chance auf die Kandidatur, wenn seine Aussichten sehr viel erfolgversprechender wären als die eines Bundesvorsitzenden Laschet. Mit diesem Eingeständnis aber würde die CDU ihren frischgewählten Vorsitzenden umgehend selbst demontieren – wenig wahrscheinlich.
Der Kutschfahrer von Herrenchiemsee
Bleibt noch der Kutschfahrer von Herrenchiemsee. Doch im Ernst: Kann man sich ein neues Wolfratshausener Frühstück vorstellen, diesmal in Nürnberg? 2002 diente die damalige CDU-Vorsitzende Angela Merkel dem CSU-Vorsitzenden Stoiber bei einem Treffen in dessen Haus die Kanzlerkandidatur an. Allerdings waren die Machtgefüge damals andere. Warum sollte ein frisch gewählter CDU-Vorsitzender, den Schwung seiner Wahl im Rücken, nach Franken pilgern? Und warum sollten ihm – das wäre die Grundvoraussetzung – die eigenen Parteifreunde in den Rücken fallen und für Söder trommeln?
Man kann es drehen und wenden, wie man will: Einen Bundeskanzler Armin Laschet kann nur der Wähler verhindern. Aber auch das ist, Stand Ende September 2020, wenig wahrscheinlich. Und so braucht es keine große Fantasie, um sich in einem Jahr eine schwarzgrüne Bundesregierung vorzustellen mit einem Kanzler Laschet und einer Außenministerin Annalena Baerbock.
Die Zeiten der konservativen Volkspartei sind vorbei
Der konservativen Hälfte der CDU wird das nicht schmecken. Aber die Zeit, in der die CDU eine konservative Partei war, ist schon lange vorbei. Es gibt kein linkes Thema, über das die CDU nicht bereit wäre zu sprechen. Gesellschaftspolitische rote Linien kennt man hier schon lange nicht mehr. Die Hoffnung vieler Mitglieder an der Basis, dass man die Zeit zurückdrehen und der CDU wieder ein Profil verpassen kann, das den Namen „konservativ“ verdient, wird sich schon Anfang Dezember als Illusion erweisen.