Armin Laschet und die Grünen - Schwarz-grüner Biedermeier

Die ehemalige Grünen-Abgeordnete Antje Hermenau lernte den CDU-Chef Armin Laschet vor 25 Jahren in der Bonner "Pizza-Connection" kennen. Und ist heute überzeugt, dass Grüne und CDU den richtigen Zeitpunkt für eine grün-schwarze Belle Alliance verpasst haben.

Kinder in Biedermeier-Kostümen beim "Rutenfest" in Ravensburg / dpa
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Autoreninfo

Antje Hermenau ist Unternehmerin und Koordinatorin des Landeswirtschaftssenats des BVMW in Sachsen. Sie war bis 2015 Mitglied der Grünen und saß für diese bis 2004 im Bundestag, später führte sie Grünen-Fraktion im sächsischen Landtag.

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Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben. (Michail Sergejewitsch Gorbatschow)

Vor mehr als 25 Jahren - also vor einer ganzen Generation! - trafen sich im Weinkeller des Bonner Italieners Sassella junge Abgeordnete aus dem Bundestag. Man teilte ein gemeinsames Lebensgefühl und traf sich unverbindlich im Weinkeller, um sich besser kennen zu lernen. Als Stamm der ersten Treffen blieben für mehrere Jahre eher barocke Naturelle mit Sinn für gute Speisen, gute Weine und gute Gespräche beieinander. Sie kamen aus den Reihen der CDU und der Bündnisgrünen. Schnell bekam diese Runde das Etikett „Pizza - Connection“ angehängt. Es war klar, dass neue demokratische Mehrheiten ausgetestet werden sollten.

Armin Laschet war von Anfang an einer von ihnen: sympathisch und Zigarillo rauchend. Jovial. Einer, mit dem man gerne plaudert. Er war vorher Redenschreiber für Rita Süßmuth gewesen, was ihm automatisch den Bonus der Progressivität verlieh und natürlich auch indirekt klärte, dass er kein Kohl-Mann war. Die Runde hatte eine klare Gemütslage: Helmut Kohl und seine Mitstreiter wurden als zu altbacken und kantig empfunden, die hardcore-Linken bei den Grünen als zu militant. Dabei könne man doch miteinander auskommen. Was wir auch ganz prächtig taten.

Schröder und Fischer beenden schwarz-grüne Träume

Das politische Fundament war klar: Nachhaltigkeit in allen Lebensbereichen - eine ambitionierte Umweltschutzpolitik, eine sparsame Finanzpolitik, eine profunde Bildungspolitik, eine deutlich vereinfachte, aber stabile Sozialpolitik und eine solide Wirtschaftspolitik mit Augenmerk auf den Mittelstand, kurzum, ein selbst erwirtschaftetes gutes Leben bei guter Laune und mit Zuversicht für die Zukunft.

Mit dem Umzug nach Berlin erlosch diese Runde 1999. 1998 war eine rot-grüne Koalition und mit ihr Kanzler Schröder an die Macht gekommen. Das war erst einmal eine andere Machtperspektive - die Union ging in die Opposition. Manche gingen bis 2005 oder auch danach andere Wege und verließen den Bundestag. Andere blieben und bei der CDU schlossen sie sich mit Angela Merkel zusammen. Bei den Bündnisgrünen wurde mit der SPD in der Traumkoalition regiert. Schwarz-grün galt beiderseits als geplatzter Versuchsballon. Persönliche Kontakte blieben aber erhalten.

Vor diesem Hintergrund stellt sich jetzt die Frage: Strebt Armin Laschet im Herbst eine schwarz-grüne Koalition an, wie es zwei Zentner schwere Medienspatzen in Berlin von allen Dächern pfeifen? Könnte sein. Wir schreiben aber das Jahr 2021. Inzwischen ist einiges passiert. Armin Laschet ist Katholik, verkörpert ein wenig den Rheinischen Kapitalismus und ist wie unser Land: halb sozialistisch, halb kapitalistisch. Er kann gönnen und kommt auch selbst nicht zu kurz.

Laschet ist wie das Land: halb kapitalistisch, halb sozialistisch

Er regiert in NRW mit der FDP. Immerhin macht deren Wirtschaftsminister Betrieb. Und sein CDU-Innenminister versucht, mit den gröbsten Folgen einer teilweise missglückten Integration endlich aufzuräumen. Das geschieht natürlich mit der Zustimmung des Ministerpräsidenten. Er verteilt also Rollen, kann auch anderen Erfolge gönnen und pflegt die FDP. Das hat weiland Helmut Kohl auch immer so gehalten. Angela Merkel hatte damit harsch gebrochen.

1998 war es für die Idee der Pizza-Connection vielleicht noch zu früh. 2002 schaffte es Rot-Grün zur Wiederwahl, weil Kanzler Schröder und Außenminister Fischer trotz erheblichen Gegenwindes eine klare Position zum Irak-Krieg eingenommen hatten, was die Bevölkerung hoch anrechnete. Aber nach der Kosovo-Entscheidung und der Agenda 2010 verloren beide Parteien Mitglieder und Wähler. 2005 gab Schröder auf und Merkel kam mit der SPD an die Macht. So mancher Vertreter der Pizza-Connection stärkte Merkel den Rücken und reüssierte in einem Amt.

2009 schloss dann die FDP stark ab und löste die SPD ab. Auch die Finanzmarktkrise sprach für schwarz-gelb. Merkel und Westerwelle hatte Ihre eigene Pasta-Connection. Die Pizza-Connection blieb weiter Geschichte, und die Grünen in der Opposition. Schwarz-Gelb wurde allerdings der Finanzmarktkrise und ihren Herausforderungen nicht gerecht. Mutige und ideenreiche Politik kam nicht. Dafür blutete bei der Wahl 2013 die FDP brutal.

2013: Die Grünen verpassen ihre große Chance

Nach der Bundestagswahl 2013 sollten die Karten neu gemischt werden. Es kam mit viel Inszenierung zu Koalitionsverhandlungen zwischen der CDU und den Grünen, aber nicht zur Koalition. Die Grünen wollten nicht. Die Jüngeren kämpften nicht. Die Pizza-Connection war schon Geschichte. Es war ein schwerer politischer Fehler der Grünen, 2013 schwarz-grün nicht zu machen, denn die Zeit wäre genau da gewesen: Deutschland hätte aus der Krise nachhaltig heraus steuern müssen. Mehr gesamtgesellschaftliche Aufgabe für eine schwarz-grüne Koalition als damals gab es nie, auch heute nicht. Vielleicht auch nie wieder.

Die Grünen bewegten sich zurück in altlinke Positionen, drehten von wirtschafts- und finanzpolitischer Nachhaltigkeit wieder weg und landeten in ihrem alten Biotop - auch ein Biedermeier, nur neu lackiert. 2017 strich die Bundestagswahl ohne relevante Änderung über uns hinweg und hämmerte noch einmal auf die Schlummertaste.

2021 kommt schwarz-grün nun mindestens acht Jahre und eine Weltwirtschaftskrise zu spät. Hätte der politische Mut 2013 gereicht, hätte Deutschland wahrscheinlich mit den nötigen Reformen und einer industriellen Neuorientierung der aktuellen Weltwirtschaftskrise trotzen können. Ein starker Mittelstand hätte eine starke Mittelschicht und damit den sozialen Frieden im Lande besser stützen können.

Auf dem Kriegsfuß mit dem Mittelstand

Stattdessen stehen die Grünen mit dem Mittelstand und dem Handwerk, die mehrheitlich CDU, FPD und AfD unterstützen, auf innenpolitischem Kriegsfuß. Die vielen Konservativen fühlen sich in ihrem langlebigen Lebensgefühl derart massiv bedroht, dass sie sich aus Verzweiflung eine eigene, politisch weit überziehende Protestpartei leisteten: die AfD.

Die Pizza-Connection hätte sich in den letzten zwei Jahrzehnten mit dem Spirit von 1995 wahrscheinlich darauf verständigt, die Energiewende vernünftig und Schritt für Schritt ohne deutschen Sonderweg, sondern in einem gemeinsamen europäischen Energie-Portfolio umzusetzen. Sie hätte den Sozialstaat vereinfacht und entschlackt. Es braucht keine Heerscharen von Beamten und Angestellten, wenn eine Einzelfallgerechtigkeit nicht mehr möglich ist, weil die inzwischen zu große Vielzahl der gleichberechtigten Lebensentwürfe das ad absurdum führt.

Sie hätte für einen starken Mittelstand auch Verantwortung übernommen und die Regionen subsidiär stark gelassen oder stärker werden lassen. Die Ausgabenpolitik wäre sparsam gewesen und hätte Investitionen in den Strukturwandel erlaubt. Wir hätten eine andere Bildungslandschaft: praktikabler und effizienter. Die EU wäre ziemlich sicher nicht mehr die größte Drehscheibe für Subventionen in der Landwirtschaft. Vielleicht wären sogar eine einsatzfähige Bundeswehr und neue Impulse für die NATO und den Umgang mit Russland drin gewesen. Tempi passati.

Wen vertritt die ominöse "neue Mitte"?

Nun findet sich eine ominöse „Mitte“ zu einer Wagenburg aus CDU, Grünen, SPD und FDP zusammen. Sie schließen die Reihen über Koalitions- und Oppositionsgrenzen hinweg und halten sich für „die neue Mitte“. Es gibt erhebliche Probleme für den sozialen Frieden in Fragen der Identität, der Sozialsysteme und der mittelständischen Marktwirtschaft? Egal - das ist doch eh alles reaktionärer Kram von früher. Mit uns zieht ja die neue Zeit.

Existiert diese „neue Mitte“ überhaupt? Wenn es eine alte Mitte gäbe, dann wären das diejenigen, die täglich dafür sorgen, dass sich die Räder drehen, das Erreichte gesichert, Neues Stein auf Stein stabil aufgebaut wird und wir sozial miteinander umgehen - die Normalen, die vielen, die viel zu beschäftigt sind, um sich täglich in langfristigen Tagträumen zu ergehen. Viele von diesen Leuten bevorzugen offenkundig Friedrich Merz.

Und die „neue Mitte“ ist vielleicht nur eine aufgeblähte Bohème. Eine Bohème, die eine moderne Gesellschaft durchaus braucht, um neue Impulse zu bekommen und sich weiter zu entwickeln, die sie aber vielleicht materiell und vom Duktus her nicht erträgt, wenn sie über einen bestimmten Bevölkerungsanteil größenmäßig hinaus kommt.

Das grüne Bohemieren verlangsamt sich dieser Tage jedenfalls erkennbar. Die Pizza-Connection gibt es nicht mehr. Deren Schwarz-grün ist nurmehr eine Chimäre.

Bundespräsident Laschet, Kanzler Merz

Mit ihrem damaligen Spirit käme heute aber vielleicht folgendes heraus: Armin Laschet empföhle sich als nächster Bundespräsident. Dafür ist er wie geschaffen, verkörpert er doch diese Land, wie es jetzt ist. Er gäbe dem Amt Nachdenklichkeit und dem Volk neben Nächstenliebe vielleicht auch Selbstliebe zurück. Das geht am besten, indem er als CDU-Parteichef dafür sorgt, dass die CDU es erträgt, wenn sie sich wieder konservativer und liberaler orientieren muss, um der aktuellen Wirklichkeit Rechnung zu tragen, ohne dabei neoliberale Fehler zu wiederholen, und außerdem einen Kanzler erträgt, der sich als Macher versteht und nicht als Ersatz-Präsident.

Wenn die CDU als Vorreiter der Gesellschaft einen Friedrich Merz und seine Zumutungen, die mit seiner Kanzlerschaft verbunden wären, vorbildhaft erträgt und ein Armin Laschet ihr damit den Weg bahnt, wieder als Zentrum unserer Gesellschaft geschätzt zu werden, dann ist das für uns alle ein gewaltiger Schritt in die richtige Richtung.

Armin Laschet wird also mehrere Male erheblich überraschen müssen, um dieser aktuellen Gemengelage gerecht zu werden. Der Zeitgeist, in dem er politisch groß wurde, liegt bereits hinter uns. Inzwischen gibt es einen neuen, der aber bereits auch schon wieder im Gehen begriffen ist - Corona ist ein brutaler game changer.

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