Höherer Rundfunkbeitrag für ARD und ZDF - Besser geht immer, aber sie machen einen guten Job

Kommt die AfD in den Öffentlich-Rechtlichen nicht ausreichend zu Wort? Erstens stimmt es nicht, und zweitens ist es nicht die entscheidende Frage, schreibt Gastautor Hendrik Sittig, bis 2018 Referent in der Programmdirektion des RBB.

Der Regieraum im ARD Hauptstadtstudio bei der Aufnahme der „Berliner Runde“ / picture alliance
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Autoreninfo

Hendrik Sittig ist Leiter des Medienprogramms Südosteuropa der Konrad-Adenauer-Stiftung. Von 2010 bis 2018 war er Referent der Programmdirektion beim rbb.

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„Es ist euer verdammter Job!“ brüllte uns Moritz Gathmann jüngst auf diesen Seiten entgegen. Mehr auf seine Gefühlswelt als auf Fakten bezogen, lautete seine Quintessenz: Die Berichterstattung im öffentlich-rechtlichen Rundfunk sei zu viel Haltungsjournalismus, der die AfD ausschließe. Die Partei komme zu wenig in Nachrichten und Talkshows vor. Er wiederholt das ewige Narrativ der Rechtspopulisten, die auch in anderen Bereichen mit der stetigen Heulsusen-Rolle als strategisches Mittel der politischen Kommunikation geschickt spielen. Moritz Gathmann meint, dieses Thema gerade jetzt wieder aufgreifen zu müssen, weil aktuell die Erhöhung des Rundfunkbeitrags politisch debattiert wird und AfD-Fans aus seiner Sicht nicht ausreichend in öffentlich-rechtlichen Sendungen bedient werden.

Ich entgegne gelassen und brülle nicht: Der öffentlich-rechtliche Rundfunk macht seit Jahrzehnten seinen Job im Großen und Ganzen sehr gut; aber er kann ihn immer noch besser machen. Die AfD kommt selbstverständlich ausreichend zu Wort, da wo sie etwas zu sagen hat. Haltungsjournalismus ist auch im öffentlich-rechtlichen Rundfunk nötig, wenn unsere demokratische Grundordnung und unser gesellschaftlicher Zusammenhalt gefährdet ist. Und Ausgewogenheit hört auf, wenn bewusst mit gefälschten Nachrichten hantiert und gelogen wird.

In den Talkshows geht es um Inhalte

Zu den Fakten. Der ZDF-Nachrichtenmonitor, der die abendlichen Nachrichtensendungen von ARD (Tagesschau und Tagesthemen), ZDF (heute und heute journal), RTL und Sat.1 auswertet, stellt für das bisherige Jahr 2020 fest: Nach den Regierungsparteien liegen die vier Oppositionsparteien nahezu gleichauf bei den Auftritten ihrer Politiker. Es ist also zumindest in den Nachrichten mitnichten so, wie Moritz Gathmann uns suggerieren will. Hier muss man übrigens gar nicht lange nach Statistiken suchen. Regelmäßiges Nachrichtensehen reicht schon. Einfach mal anschalten, für das man bezahlt. Lohnt sich!

Bei den Talkshows sieht es, zugegeben, etwas anders aus. Hier werden AfD-Vertreter weniger als Experten eingeladen. „Experten“ – Sie haben richtig gelesen! Es geht im Journalismus nicht um Parteiproporz und die Anzahl von Interviews. Es geht um Inhalte. Wer seine Themen so reduziert wie die AfD, wer mit unkonstruktiven Vorschlägen und offensichtlicher Negierung der Realität auffällt, der muss sich nicht wundern, wenn er nur selten in die journalistische Auswahl einer Redaktion einbezogen wird. Antworten auf wichtige Zukunftsfragen unserer Zeit und Gesellschaft – nothing, niente, nitschewo! Erinnern Sie sich an das ZDF-Sommerinterview mit Alexander Gauland vor zwei Jahren? Ok, ist schon ein bisschen her, aber Sie erinnern sich. Bestimmt.

Die Größe der Partei im Bundestag darf kein Argument sein

Im Rundfunkstaatsvertrag für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk steht übrigens, seine Programme sollen „die internationale Verständigung, die europäische Integration und den gesellschaftlichen Zusammenhalt in Bund und Ländern fördern“. Dazu fällt mir nichts Substantielles von der rechten Seite ein. Ihnen? Oder aktuell in der Corona-Krise. Hier ging und geht es darum, rasche Antworten und Lösungen zu finden gegen die Ausbreitung des Virus, den drohenden Zusammenbruch unseres Krankenhaussystems und den Niedergang der Wirtschaft.

Es geht aber auch um Gemeinwohl und Zusammenhalt der Gesellschaft. Passt alles irgendwie nicht zu einer Partei, die immer wieder versucht zu spalten, Gruppen gegeneinander auszuspielen, die also permanent Differenzen sucht und keinen gesellschaftlichen Frieden und Ausgleich. Also: Warum sollte eine Redaktion sich einen Vertreter gerade dieser Partei in die Sendung holen?

Das bösartige Geschrei vom „Staatsfunk“

Nur weil wir hier von der aktuell größten Oppositionspartei im Bundestag sprechen? Das darf kein Argument sein. Es gibt kein Recht auf Einladungen in Sendungen um des Dabeiseins willen! Stellen Sie sich übrigens mal vor, es gäbe in Deutschland keinen unabhängigen öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Ja, ich höre das Populisten-Geschrei: Haben wir doch auch gar nicht!

Doch, haben wir! Ich weiß es. Ich habe lange genug dort gearbeitet. Lassen Sie sich nicht belügen von Menschen, die entweder keine Ahnung haben oder dies bewusst und wider besseren Wissens allein aus eigenen Interessen verbreiten. Dieses ewige Geschrei vom angeblichen „Staatsfunk“; dieses bösartig verbreitete Narrativ – es ist so falsch und unbelegt wie der Vorwurf der „Lügenpresse“ in Deutschland.

Staatsfunk? Den gibt es woanders.

Wenn Sie „Staatsfunk“ schauen und hören wollen, dann blicken Sie mal vor Ihre Haustür in Europa. Hier ist der Missbrauch öffentlich-rechtlicher Sender durch regierende Politiker gang und gäbe. Selbst innerhalb der Europäischen Union: Polen und Ungarn sind eklatante Beispiele. Aber auch in Südosteuropa mutieren die teilweise aus dem Staatshaushalt finanzierten Sender zu Sprachrohren der Regierungen. Das hat unser Medienprogramm der Konrad-Adenauer-Stiftung im vergangenen Jahr in einem Buch und mit einer repräsentativen Meinungsumfrage in zehn Ländern dargestellt.

Aber zurück nach Deutschland. Ja, der öffentlich-rechtliche Rundfunk wird von allen bezahlt. Insofern sollte auch für alle etwas dabei sein: Jung und Alt, Dörfler und Städter, Handwerker und Professor, Sympathisanten aller Parteien. Es reicht nicht, auf hohe Zuschauerquoten, Radioreichweiten und Klickzahlen zu schauen. Der Hinweis auf die stetigen Vertrauenswerte von fast 70 Prozent in den vergangenen Jahren ist Grund zur Freude, hilft aber auch nicht weiter.

Das Ich-muss-alle-Wünsche-erfüllen-Dilemma

Aber heißt das jetzt, wenn man AfDler erreichen will, muss man deren Meinungen und Ansichten unkommentiert senden – und seien sie noch so abstrus? Das dürfte auch einem Cicero-Journalisten zu weit gehen. Es ist das Ich-muss-die Wünsche-aller-erfüllen-Dilemma des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, das immer größer wird, je differenzierter sich der Medienmarkt entwickelt. 

Ich befürchte, es bleiben immer Menschen zurück, die nichts mit ARD, ZDF und Deutschlandfunk anfangen können. Es allen recht zu machen, funktioniert nicht. Selbst bei einem Nachrichtenbeitrag, der von einer Mehrheit als objektiv bewertet wird, gibt es immer wieder Menschen, die sich unfair behandelt fühlen. Googeln Sie mal nach „Hostile Media Effect“. Sehr spannend!

Lobende Worte von Stephan Brandner

Ich hatte am Anfang geschrieben, der öffentlich-rechtliche Rundfunk kann seinen Job immer noch besser machen. Ich frage mich zum Beispiel schon lange, warum die 20-Uhr-Tagesschau nur 15 Minuten lang ist. Fast überall auf der Welt sind die Hauptnachrichtensendungen am Abend eine halbe Stunde lang – oft sogar länger. Wie wichtig seriöse und verlässliche Nachrichten sind, erleben wir gerade wieder in der Corona-Krise. Selbst der AfD-Bundestagsabgeordnete Stephan Brandner fand dafür lobende Worte.

Im Deutschlandfunk gestand er ein, dass „die Berichterstattung durchaus akzeptabel ist, die im öffentlich-rechtlichen Rundfunk läuft, und dass er damit wuchern sollte.“ Seit Wochen sind die ARD-Zuschauer gewohnt, dass sich an die Tagesschau noch ein Corona-Extra anschließt. Das ist für jeden Programmplaner ein idealer Testlauf. Und wenn man auf die Quoten schaut, ein erfolgreicher zugleich. Also warum nicht eine 30-minütige Tagesschau um 20 Uhr? Mehr Nachrichten, mehr Hintergrund. Da wäre dann übrigens auch noch Platz für den einen oder anderen O-Ton der AfD mehr. Okay, aber nur wenn es nötig ist …

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