Arabische Clans - Die Akte Abou-Chaker

Der Prozess gegen Ex-Bushido-Manager Arafat Abou-Chaker verdeutlicht das Ringen der Ermittler mit den arabischen Clans. Es geht um Drogen- und Waffenhandel, Zuhälterei, Schutzgelderpressung, Geldwäsche. Und das Gewerbe hat feste Regeln, da ist man ganz deutsch

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Abou-Chaker (2.v.r.) gab dem Rapper Bushido (2.v.l.) ein Gangster-Image, doch mit der väterlichen Freundschaft ist es aus / picture alliance
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Wie getrieben hetzt der Angeklagte über den Gerichtsflur. Die Augen huschen wütend hin und her, fixieren Justizbeamte, Journalisten, Passanten; sein Gesicht wird erhellt durch Kamerastrahler und Blitzlicht. Er stürmt in den Gerichtssaal. Man ahnt: Hier geht es um einen Angriff statt um Reue und Demut. Arafat Abou-Chaker steht nicht zum ersten Mal als Angeklagter vor dem Berliner Amtsgericht Tiergarten. Rechtskräftig verurteilt wurde der Clan-Pate nie. Ermittler sehen den Grund darin, dass er Anwälte bezahlen kann, die ein Honorar von 300 Euro die Stunde oder mehr berechnen, und sich Zeugen vor einer Aussage gegen ihn ängstigen. Verhandelt wird an diesem Tag also mehr als eine Gewalttat: Arabische Clans sind eine Metapher geworden für den schwachen Staat, der vor kriminellen Migranten einknickt. Ein Prozess als Politikum – der Rechtsstaat gegen seine ärgsten Herausforderer. Eigentlich können alle Beteiligten dabei nur verlieren.

Was Arafat Abou-Chaker (42) vorgeworfen wird: Er soll am 7. März 2018 in einer Praxis für Physiotherapie Streit mit dem Hausmeister gehabt haben, weil der ihn nicht grüßte. „Kurze Zeit später stach der Angeschuldigte dem Zeugen B. grundlos mit zwei Fingern in dessen Augen“, heißt es in der Anklageschrift. Zudem soll Abou-Chaker den Mann per Kopfstoß und Tritten so traktiert haben, dass der eine Platzwunde und einen Nasenbeinbruch davontrug. Kriminologen sagen: Für Gangster fühlen sich solche Momente erst einmal wie kleine Siege an. Ich schlage, also bin ich.

Bushido wähnte sich lange als Gewinner

Die Clans heißen Remmo, Al-Zein, Omeirat, Miri oder eben Abou-Chaker. Experten schätzen, dass es rund 100 000 bis 150 000 Angehörige gibt, die zu diesen berüchtigten Familien zählen. Sie leben vor allem in Berlin, Bremen und dem Ruhrgebiet. Ein Drittel davon soll in der organisierten Kriminalität arbeiten. Delikte, mit denen Angehörige der Clans aufgefallen sind: Drogen- und Waffenhandel, Raubüberfälle, Zuhälterei, Schutzgelderpressung, Geldwäsche, Gewalt. Das Gewerbe hat feste Regeln, da ist man ganz deutsch: „Wenn wir für einen Kunden bei seinem Gläubiger Geld eintreiben, bekommen wir ein Drittel der zurückgezahlten Summe“, erklärt ein Clan-Angehöriger die Praxis.
 

Nach einer Razzia in Berlin / picture alliance

Der prominenteste Clan Deutschlands wähnte sich lange als Gewinner. Dessen Boss Abou-Chaker ist vor allem wegen seiner langen Zusammenarbeit mit dem Rapper Bushido bekannt, dessen Manager und Geschäftspartner er war. Das Verhältnis der beiden könnte man so beschreiben: Der Clan-Pate machte Bushido ein bisschen zum Gangster, und Bushido machte ihn dafür ein bisschen zum Popstar. Es gibt Musikvideos, in denen Abou-Chaker zu sehen ist, obwohl er nie als Sänger auffiel. Und es gab da diese ominöse Generalvollmacht, nach der der Clan-Boss über das Vermögen von Bushido verfügen durfte. Am Eingang zur einstigen „Konzernzentrale“ in Berlin-Treptow, von hier aus wurden unter anderem Immobiliengeschäfte eingestielt, stehen noch beide Namen: Ferchichi, der bürgerliche Name von Bushido, und Abou-­Chaker. Nieselregen feuchtet die Luft an, alle Türen sind verriegelt. Unten in dem Gebäude befindet sich ein Fitnessstudio und der arabische Imbiss Papa Ari, der Arafat Abou-Chaker gehört.

Mit der väterlichen Freundschaft ist es aus. Bushido bestätigte vor zwei Monaten in einem Interview mit dem Magazin Stern, dass er und Abou-Chaker sich im Streit getrennt hätten. Zugleich rechnete Bushido in seinem neuen Song „Mephisto“ mit Arafat ab, ohne in dem Zehn-Minuten-Titel dessen Namen direkt zu nennen. Bereits zuvor war der Rapper aus der Nachbarschaft von Ara­fat Abou-Chaker weggezogen und soll an einem geheimen Ort in Berlin-Mitte wohnen. Es geht offenbar um viel Geld. Bushido hat jetzt einen neuen Beschützer: Er stammt aus der Großfamilie der Remmos. Auge um Auge, Clan um Clan.

Auf sein Ehrgefühl legt Arafat höchsten Wert

Derweil eskalierte die Gewalt. Im Juni 2018 wurde auf Abou-­Chakers Imbiss geschossen, es gab Verletzte. Aus Polizeikreisen heißt es, dass es eine „Kurdenbande“ gewesen sei. Der Intensivtäter Nidal R. wurde im September auf offener Straße erschossen. In vielen Medien ist seitdem von einem „Clan-Krieg“ die Rede, bei dessen Ränkespielen niemand mehr durchsteigt. Eigentlich könnte sich Arafat Abou-Chaker in seiner Villa in Kleinmachnow zur Ruhe setzen. Aber – keiner kann aus seiner Haut – das Ehrgefühl ist angekratzt. Er soll kurz nach dem Streit unter Vertrauten gesagt haben, dass Bushido Lügen über ihn verbreite und er zurückschlagen werde – allerdings nur über die Medien.

Bislang war Arafat Abou-Chaker eher pressescheu. „Er will gar nicht in den Medien auffallen. Ist nicht so sein Ding“, sagt ein Cousin. Abou-Chakers Getreue bedrohten Journalisten, schütteten etwa vor einer Verhandlung einen Mülleimer voller Wasser in Richtung eines Kamerateams. Sich aufgockeln gehört im Gangsterberuf dazu. Und auch der Genuss: Privat ist Ara­fat Abou-Chaker ein Lebemann. Er liebt teure Klamotten von Dolce & Gabbana bis Hugo Boss, hängt gerne im feinen Grand Hyatt Hotel am Potsdamer Platz ab. Schnelle Autos der Marke Mercedes AMG sind seine Schwäche. Hunde soll er nicht besonders mögen, heißt es.

Abou-Chaker vor Gericht

Wer mit ihm näheren Umgang pflegt, bestätigt, dass Abou-Chaker seine Mitmenschen oft ausnehmend respektvoll behandelt. Auf seine gute Erziehung und sein Ehrgefühl legt er höchsten Wert. Aber wenn ihm jemand nicht passt, setzt es schnell ein paar Schellen mit der rechten Hand. Ali Mahmoud ist 36 und ein Cousin von Arafat Abou-Chaker, er lebt im Ruhrgebiet. Er hat Arme wie Kanthölzer, einen dichten, prophetischen Bart und Knasterfahrung. Sein Cousin Arafat sei locker, ein cooler Typ, lustig; einer, der vielen Leuten hilft. „Der schlichtet Streit und Ärger in unseren Kreisen – ist doch auch besser für die Polizei, wenn sie das dann nicht machen muss.“ Mitten im Gespräch ruft Arafat Abou-Chaker höchstselbst bei Ali Mahmoud an. Er will wohl wissen, wie das Interview läuft.

„Für ihn gilt die Unschuldsvermutung“

Wie kriminell ist Arafat? „Meine Familie und Cousins sind nicht so kriminell, wie sie dargestellt werden. Und was heißt kriminell? Jeder hat mal eine Leiche im Keller gehabt, jeder hat mal irgendwann Scheiße gebaut. Aber sie werden jedes Mal von der Polizei angehalten, und wenn sie keinen Führerschein dabeihaben, steht es am nächsten Tag in der Zeitung.“ Ist dieser Arafat Abou-Chaker wirklich ein gefährlicher Bandenkrimineller? Oder ein durchschnittlicher Deutsch-Araber? Sein Anwalt Burkhard Benecken (43) sitzt in einem vietnamesischen Restaurant im Prenzlauer Berg, dem Berliner Stadtteil, wo heile Welt ist statt Clan-Kriminalität. Benecken, das Haar frisch geschnitten, das Jackett sitzt, hat vegan bestellt und trinkt Jasmintee.

Er hält das ganze Thema Clans für aufgebauscht: „Natürlich gibt es auch in diesen Großfamilien Kriminelle. Aber das ist ein kleiner Anteil. Die meisten wollen einfach normal leben – wie du und ich.“ Benecken hat zuletzt Gina-Lisa Lohfink vertreten, er liebt Prozesse mit viel medialer Aufmerksamkeit. Zum laufenden Verfahren will er nichts sagen, aber er verweist noch einmal darauf, dass sein Mandant, der deutscher Staatsbürger ist, nicht vorbestraft sei. „Für ihn gilt die Unschuldsvermutung.“ In dem Prozess jedoch geht es um viel mehr als die Verletzungen des Opfers. Es geht darum, wie die Clans auch dem deutschen Rechtsstaat Blessuren zufügen. Irgendwie seien sie nicht zu packen, hätten einen Staat im Staate gegründet, oder besser gesagt: viele kleine Staaten – glauben Journalisten, Ermittler und mancher Staatsanwalt.

Ein mildes Urteil wäre eine Niederlage

Es ist eine eigene Welt, in der sich die Clans bewegen. Bei Streitigkeiten ruft niemand die Polizei, stattdessen wird ein Friedensrichter, meist ein hochgeschätzter alter Mann, eingeschaltet. Dann gibt es Urteile auf Schmerzensgeld, Schadenersatz, eine Körperverletzung kann leicht schon mal 50 000 Euro kosten, oder es wird die einfache Beilegung des Konflikts mit einem Handschlag verfügt – alles am staatlichen Gewaltmonopol vorbei.

Doch auch bei den Diaspora-Arabern wird mit Traditionen gebrochen: Dort, wo die organisierte Kriminalität vorherrscht, werden die Friedensrichter immer öfter ausgebootet, anschließend verhandeln die Helden der Großfamilien die Strafen einfach selbst. „Uns fickt keiner“, heißt es dann. Und der Rechtsstaat keilt zurück. Vor allem im Ruhrgebiet und ein bisschen auch in Berlin bemüht man sich im Moment um eine Null-Toleranz-Politik gegenüber den Clans. Immobilien und Geld werden beschlagnahmt, es gibt Razzien in Shisha-Bars, ein rigoroses Durchgreifen etwa beim Verkauf von Tabak ohne Steuermarke oder beim Parken in zweiter Reihe.
 

Rechtsanwalt Burkhard Benecken

Prozessbeobachter finden: Würde Abou-Chaker verurteilt, wäre das ein Signal aus Berlin für die ganze Republik. Der Staat wäre doch stärker als gedacht. Schon ein mildes Urteil hingegen wäre eine Niederlage. Aber sollte man diesen Prozess wirklich symbolisch so aufladen? Nichts zu gewinnen haben die unbescholtenen Mitglieder einer Großfamilie. Zum Beispiel Naim Obeid, 36 Jahre alt. Er ist ein Cousin von Ali Mahmoud, dem Cousin von Arafat Abou-Chaker. Zwischen den Familienzweigen besteht ein enges Netz. Obeid sagt aber, er habe keinen einzigen Eintrag im Strafregister, darauf legt er Wert. Stattdessen machte er sein Fachabitur, danach eine Ausbildung zum Sport- und Fitnesskaufmann. Heute führt er sein eigenes Studio.

„Die Justiz ist nicht gerecht“

Das „Casa Sports“ in Oer-Erkenschwick im Ruhrgebiet hat nichts von einer schmuddeligen Muckibude, wo bärtige Muskelmänner ihre Eisen stemmen und es nach Schweiß und Klostein riecht. In diesem Gym mit 2000 Quadratmetern Sportfläche, einer Sauna- und Wellness-Landschaft gibt es für trainierende Eltern und deren Nachwuchs die „Flipp Flopp Kinderwelt“, ein Spieleparadies mit Hüpfburg und Kletterwänden. In der „Bella Casa Lounge“ essen die Gäste Pizza und Burger. Hinter dem Ecktresen im Restaurant hängt ein Foto, Gruppenbild mit Mann. „Das ist der Bürgermeister“, sagt Naim Obeid. Der komme immer gerne. Was er damit eigentlich sagen will: Schau her, wie integriert ich bin.

Die Obeids kamen 1986 wie die Abou-Chakers als palästinensische Kriegsflüchtlinge nach Deutschland, lebten vorher in Lagern im Libanon. Da war Naim Obeid vier Jahre alt. „Wir wurden hier in Oer-Erkenschwick in Flüchtlingscontainern untergebracht, waren Flaschensammler, haben uns wirklich durchgebissen.“ Naim Obeid war Klassensprecher in der Schule und klaute nicht mal Kaugummis, während mancher vom Clan längst Kleinganove geworden war. Seine Frau ist Deutsche, kennengelernt haben sie sich beim Training, das Paar hat drei Kinder.
 

Naim Obeid und Ali Mahmoud

Über Arafat will Obeid nicht schlecht reden. „Natürlich muss das jetzt verhandelt werden, aber es wird so dramatisiert. Man will ihm an den Karren.“ Auch Ali Mahmoud, der bei dem Gespräch dabei ist, stimmt zu: „Leider werden nicht alle Leute vor Gericht gleich behandelt. Die Justiz ist nicht gerecht.“

Sehnsucht nach neutraler Bewertung

Für Obeid war Gewalt nie eine Lösung. „Ich antworte mit Liebe“, sagt er. Ali Mahmoud sagt, er lebe heute auch ehrlich, sein Verhalten früher sei falsch gewesen. Aber er und seine Familie würden oft benachteiligt. „Von den Lehrern musste ich mir immer anhören, wie schlimm meine Sippe doch ist. Banken verweigern Leuten, ein Konto zu eröffnen, nur weil sie den Nachnamen Abou-Chaker haben. Einen Job zu finden im Angestelltenverhältnis, ist quasi unmöglich. Und wenn man, wie ich, in die Selbstständigkeit geht, heißt es: ‚Wo da wohl das Geld herkommt?‘“ Es gebe auch rumänische Banden, über die werde aber nicht gesprochen.

Naim Obeid gibt ihm recht. Er sehne sich nach einer neutralen Bewertung. Auch wenn er einem Clan angehöre, fühle er sich doch fast als Deutscher. „Ich werde oft zu Unrecht ins falsche Rampenlicht gestellt. Verdächtigt. Dabei arbeite ich 17 Stunden am Tag. 40 Mitarbeiter haben durch mich einen Job.“ Es ginge hier doch um einzelne Menschen und nicht um Kollektivschuld. Aber kultiviert der Clan nicht auch selbst dieses Image? Obeid wiegt den Kopf.

Berlin hinkt mal wieder hinterher

Ein nachdenkliches Gesicht zeigt auch Michael Müller häufig. Der Regierende Bürgermeister von Berlin gibt sich kämpferisch. „Wenn Mitglieder von kriminellen Clans glauben, sich über Recht und Gesetz hinwegsetzen zu können, dann irren sie“, sagt er, „wir werden ihnen diese Stadt nicht überlassen. Der Rechtsstaat greift durch.“ Doch in Polizeikreisen in Berlin heißt es, die organisierte Kriminalität in der Stadt sei deshalb so stark, weil die Polizei schwachgespart wurde. Michael Böhl, Kriminalhauptkommissar und ehemaliger Berliner Vorsitzender des Bundes Deutscher Kriminalbeamter, ist sich sicher: Die dünne Personaldecke ist der Grund dafür, dass der Kampf gegen die Großfamilien in Deutschland so oft verloren geht. Hunderte Stellen bei der Kripo fehlten.
 

Naim Obeid

In Behördenkreisen heißt es auch: Berlin hinkt mal wieder hinterher. So ein konsequentes Durchgreifen wie derzeit in Nordrhein-Westfalen tauge nicht zur Blaupause für die Hauptstadt, weil dort Personalmangel, schlechte Führung und polizeiliche Versäumnisse zusammenkämen. Beim LKA in Düsseldorf lachen sie heimlich über die Berliner Kollegen. „Seit die Geldwäscheverfolgung an den Zoll abgegeben wurde, liegt sie praktisch danieder“, kritisiert auch Böhl. Und außerdem: In manche Gegenden der Hauptstadt trauten sich Streifenpolizisten gar nicht mehr ohne ausreichende Unterstützung. Die könne durchaus zehn bis 20 Mann ausmachen. „Wir müssen nachhaltig bleiben, ich hoffe, wir zerschlagen diese Clan-Strukturen. Noch ist es eine Unterwanderung unserer Gesellschaft.“

Perfekte Verbrechen sind die, die man nicht sieht

„Wir haben mit denen gut zu tun“, sagt ein Polizist, der in Berlin lange gegen die Familie Abou-Chaker und andere Clans ermittelt hat und eigentlich nicht mit Journalisten reden darf, es ginge vor allem um Schutzgelderpressung, Drogenhandel und Zuhälterei. Die Clans gingen äußerst brutal vor, sagt er. Im Keller eines Shisha-Cafés sei sogar gefoltert worden. Hammer und Beil waren die Werkzeuge. Allerdings zog der wichtigste Zeuge seine Aussage zurück – „wohl gegen ein beträchtliches Schweigegeld“, fügt der Ermittler hinzu.

Ali Mahmoud

Perfekte Verbrechen sind die, die man nicht sieht. Das Zusammentragen von Beweisen gegen Familie Abou-Chaker sei höchst mühsam, sagt der Ermittler. Es ist wie beim Perlentauchen: Man muss genau schauen und findet trotzdem nicht viel, weil die Dinger im trüben Wasser verborgen sind.

Einer, der sich nicht hat einschüchtern lassen, ist Michael Kuhr, dem eine Security-Firma in Berlin gehört. Vor fünf Jahren klingelte eines Tages die Polizei an seiner Tür. Der heute 56-Jährige hörte, es gebe Hinweise, dass Ara­fat Abou-Chaker ihn ermorden lassen wolle, die Waffe dafür sei bereits besorgt worden.

„Den Arabern ist nicht zu trauen“

In Kuhrs Büro hängen bunte Artikel über ihn an den Wänden: Der Focus war da, die Vanity Fair, die Bild, der Tagesspiegel – alle schrieben über Kuhrs Geschäft mit der Sicherheit. Kuhr sind die Artikel so heilig wie die Pokale, die er als sechsmaliger Weltmeister im Kickboxen gewann. Er trägt eine Glock 19 unter dem Pulli, 15 Patronen im Magazin und eine im Lauf. „Ich empfand diese Bedrohung damals wie einen Ritterschlag, weil sie zeigt, dass mich die organisierte Kriminalität als ernsthaften Gegner anerkennt.“ Kuhr hatte schon lange vor der Clan-Kriminalität öffentlich gewarnt.

Dann gab es eine sogenannte Gefährderansprache: Die Polizei redete mit Arafat Abou-Chaker und machte ihm deutlich, dass sie ihn im Auge hätte. Kuhr traf sich ebenfalls mit Abou-Chaker, der alle Vorwürfe abstritt. Kuhr sagt, er rede mit „dem Arafat“ und seinen Brüdern, wo immer er sie sehe. Aber sie wüssten, auf welcher Seite er stehe.

Der Bodyguard Michael Kuhr beschützt regelmäßig Klienten, die nach Immobilien-Deals mit den arabischen Clans bedroht werden. „Da wird Druck ausgeübt, und die Gangster fordern horrende Provisionen, von denen vor dem Kauf nie die Rede war.“ Kuhr sagt, er warne vor solchen Geschäften. Den Arabern sei nicht zu trauen. Er stehe ja eigentlich auf Multikulti – „aber manche Integrationsversuche bei diesen Clans sind hoffnungslos. Die Zukunft tickt für diese Leute.“

Der Druck und die Drohungen nehmen zu

Nach dem Sinn manchen Gebarens fragt sich auch Detlef Hornstein. Seine Erlebnisse zeigen, wie das System Clan-Kriminalität funktioniert: angreifen, zuschlagen, einschüchtern, aussitzen. Der 59-jährige Konzertveranstalter hatte vor ein paar Jahren einen Deal mit Bushido über fünf Konzerte. Nach dem ersten Konzert bauten die Roadies die Technik ab. Auf einmal stiegen drei Männer aus Bushidos Tourbus aus, schrien die Helfer an und bedrohten sie mit Springmessern und Totschlägern. „Ihr arbeitet viel zu langsam“, riefen sie.
 

Bodyguard Michael Kuhr

„Die haben meine Mitarbeiter bedroht und in der primitivsten Fäkalsprache beleidigt. Es wäre fast zu Gewalt gekommen.“ Hornstein kündigte den Vertrag, nachdem ihm Bushido die Namen der betreffenden Personen nicht nennen wollte. Es seien Angehörige „der Berliner Familie“ gewesen. Detlef Hornstein erstattete Anzeige, erhielt anschließend anonyme Drohungen per Mail und Telefon: „Verhalte dich ruhig – sonst passiert was.“ Das Verfahren wurde letztlich eingestellt. Der Kontakt mit den Clans machte Hornstein aktiv: Er engagiert sich heute politisch in der SPD, ist Kreistagsabgeordneter in Ostwestfalen. Er will die Welt verändern helfen und sich keine Ungerechtigkeit mehr bieten lassen.

Von ähnlichen Erfahrungen berichtet auch Mohamad Al Masri aus Essen. Der 52-Jährige ist seit fünf Jahren Schöffe am Landgericht. Doch er bekam Ärger mit dem örtlichen Al-Zein-Clan, weil er nicht kooperierte. Für die Großfamilie sind Vorwürfe gegen die nordrhein-westfälische Justiz immer auch gegen Al Masri gerichtet. Ende 2014 besuchten sie zu sechst seine Konditorei. Nachdem sie üppig gegessen und getrunken hatten, warfen sie seinem Mitarbeiter einen Euro hin und gingen. „Ich habe sie angezeigt. Da flog bei mir ein Stein in eine Scheibe.“ Der Druck wurde größer. Al Masri schickte seine Familie zur Sicherheit in den Libanon zurück. Zwei Jahre waren sie getrennt. „Dann flog eine Rauchgasbombe in meinen Laden.“ Er wäre beinahe erstickt.

Das Bild bleibt Diffus

Al Masri schrieb dem damaligen Oberbürgermeister und den Essener Ratsfraktionen Briefe. Er fühlte sich allein gelassen. [...] Die Verfahren zu den Strafanzeigen, die Al Masri stellte, wurden allesamt eingestellt.
 

Mohamad Al Masri in seiner Bäckerei

In Berlin wird derweil verhandelt. Am ersten Verhandlungstag in der Causa Arafat Abou-Chaker antworten alle Zeugen, außer dem verletzten Hausmeister selbst, dem Richter sehr vorsichtig. Einer verweigert trotz eines verhängten Ordnungsgelds jedwede Aussage. Eine andere Zeugin relativiert ihre Einlassungen aus dem polizeilichen Vernehmungsprotokoll. Sie könne sich kaum noch erinnern und wisse alles nur vom Hörensagen. Ob die Familie Abou-Chaker sie bedroht habe, damit sie nicht oder falsch aussagt, fragt der Richter. Sei verneint *leise. So bleibt das Bild diffus.

Koran-Suren mit Botschaften an die Gegner

Das Urteil wird für den 7. Dezember erwartet. Wird Arafat Abou-Chaker verurteilt und kann die Berliner Justiz einen Erfolg verbuchen? Oder gibt es wieder einen Freispruch, den der Clan-Boss als Sieg feiern würde? Burkhart Benecken, der Strafverteidiger, mahnt: „Es muss endlich um die Verfolgung von Straftaten gehen und nicht um die Verfolgung von arabischen Nachnamen.“

Naim Obeid, der Palästinenser ohne Vorstrafen, meint: „Was man mit kriminellen Flüchtlingen machen sollte? Ich finde: Abschieben!“
Arafat Abou-Chaker selbst postete in den vergangenen Monaten öfter Koran-Suren bei Instagram mit Botschaften an seine Gegner. In einer heißt es: „Möge Allah solche Menschen zur Wahrheit leiten oder sie und ihre Familie vernichten.“

 

Fotos: Marcel Schwickerath


Dieser Text stammt aus der Dezember-Ausgabe des Cicero, die Sie am Kiosk oder in unserem Online-Shop erhalten.














 

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