Anschlag in Münster - Auch Deutsche unter den Tätern

Die Reaktionen auf den Anschlag in Münster zeigen, wie überhitzt die Terror-Diskussion ist. Bei den Behörden ist die Erleichterung spürbar, dass der Täter ein Deutscher war, die AfD wirkt geradezu enttäuscht. Nur für die Opfer spielt die Nationalität des Mörders keine Rolle

Trauer vor dem „Kiepenkerl“ in Münster / picture alliance
Anzeige

Autoreninfo

So erreichen Sie Constantin Wißmann:

Anzeige

Es war der erste wirkliche Frühlingstag in Münster am vergangenen Samstag. Ein schöner Tag, um die Einkäufe zu erledigen oder auch einfach sinnlos durch die Innenstadt zu flanieren und danach oder zwischendurch sich in einen der Stühle setzen, die endlich wieder draußen standen. Die Szene vor dem Münsteraner „Kiepenkerl“ wird sich ganz ähnlich in tausenden deutschen Städten zugetragen haben, Idylle und Harmlosigkeit in diesem freundlichen, wohlhabenden Land. 

Schweigen derzeit nicht möglich

Und dann, aus dem Nichts, rast ein Transporter mitten hinein in die Idylle, reißt mehrere Menschen hinaus aus allem, was sie lieben, zwei von ihnen für immer, drei kämpfen noch in den Krankenhäusern darum. Es ist eine schreckliche, grausame Tat. Und eine Tragödie. Ein Ereignis, das sich mit Worten nicht fassen lässt, und so gedenken wir solchen Ereignissen normalerweise mit Minuten des Schweigens. 

Aber Schweigen im Angesicht des Entsetzens, das sprachlos macht, das ist derzeit in diesem schönen und wohlhabenden Land nicht möglich. Denn das Land ist nervös, überhitzt, nicht nur am Frühlingsanfang. Und so begann schon Minuten nach der Münsteraner Tragödie ihre Politisierung. 

Spürbare Erleichterung bei den Behörden

Man konnte bei den Verlautbarungen der Politikern und der Behörden die Erleichterung förmlich spüren, so sehr beeilte man sich, zu verkünden, dass man einen „islamistischen Hintergrund” ausschließen könne, es sich bei dem Täter nur um einen Deutschen handele, sogar einen richtigen „Paßdeutschen” wie es hieß. Und man kann die Erleichterung sogar verstehen. Ein deutscher Täter kann ja auch nicht wie Anis Amri im Zuge des behördlichen Chaos nach der Flüchtlingskrise nach Deutschland gekommen sein. Und so bleibt den verantwortlichen Stellen eine ähnliche Pannen-Chronik wie im Fall des Berliner Breitscheidplatzes erspart. 

Infame AfD-Reaktionen

Kalkulierter, und damit infam, war die Reaktion von führenden AfD-Politikern. Noch bevor irgendwelche gesicherten Informationen über die Tat bekannt waren, twitterte die stellvertretende AfD-Fraktionsvorsitzende Beatrix von Storch in Versalien „Wir schaffen das”, jenen berühmten Satz der Bundeskanzlerin Angela Merkel, und dahinter ein Kotz-Emoji. Die Botschaft war klar: Merkels Flüchtlingspolitik sei indirekt verantwortlich für das Attentat von Münster. Auch Norbert Kleinwächter, von Storchs Fraktionskollege im Bundestag, twitterte, ebenso ohne Faktenkenntnis, gleich los: „Wann begreift diese Regierung, dass Islamisten, diese irren Zeitbomben, schlichtweg nicht nach und erst recht nicht zu Deutschland gehören?” Kleinwächter löschte diesen Tweet später.

Von Storch aber legte am nächsten Tag noch nach und schaffte es, in einer verschwurbelten Argumentationskette doch wieder den Islam für die Tat von Münster verantwortlich zu machen. Schließlich sei der deutsche Täter ein Nachahmer gewesen. 

Dass der Täter sich auch bei einer ganzen Reihe von hellhäutigen Christen, die in Norwegen oder in den USA Anschläge verübten, Inspiration hätte finden können, verschweigt von Storch aber. So wird man den Eindruck nicht los, dass einige Politiker geradezu darauf warten, dass eine solch schreckliche Tat passiert, um dann schneller als die Fakten ihre Botschaften in die Welt zu senden. Zynischer geht’s nicht. 

Von Einzelnen nicht auf Gruppen schließen

Welche Botschaft aber bleibt aus Münster? Vielleicht die, dass man bei aller Wut und Trauer nicht eines der wichtigsten Prinzipien unseres Rechtstaats vergisst: für die Taten Einzelner nicht ganze Gruppen verantwortlich zu machen, ob es nun die Gruppe junger Männer mit Migrationshintergrund oder die der hellhäutigen Designer mittleren Alters mit psychischen Problemen ist. Die Einzigen, für die es keine Rolle spielte, ob der Mörder Jens oder Anis heißt, waren in Münster die Opfer. Das ist das traurige Resümee der ersten heißen Tage in diesem Jahr.

Und damit hätten die Terroristen, egal welcher Couleur, ein Ziel erreicht. Denn das sind niemals die unmittelbaren Opfer – auch wenn sie natürlich am schlimmsten betroffen sind. Das Ziel sind immer wir, die Überlebenden. Uns wollen die Mörder zeigen, welche Macht sie über unser Leben haben, dass sie es jederzeit auslöschen können, wenn sie nur wollten. Und sie wollen erreichen, dass wir in der Angst davor unser Leben ihrem Leben anpassen, indem auch wir Hass und Misstrauen verbreiten. Nur wenn wir das nicht zulassen, bleiben sie machtlos. Und ihre Verbrechen eben das: unmenschliche Verbrechen. 

Anzeige