Anne Will zu Thüringen - Das Elend der Republik

Bei „Anne Will“ diskutierte politisches Spitzenpersonal über die Krise in Thüringen. Vor allem Peter Altmaier von der CDU und FDP-Mann Wolfgang Kubicki machten einen verheerenden Eindruck. Die Sklerose der Politik zeigte sich auf geradezu dramatische Weise. Und die Union geht den Weg der SPD.

Runde in Rage – Anne Will am Sonntagabend zu Thüringen / Screenshot ARD
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Alexander Marguier ist Chefredakteur von Cicero.

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Als am vergangenen Mittwoch die politische Bombe in Erfurt explodierte, war ich gerade in Thüringen. Allerdings rein zufällig im Zug Richtung Österreich, um ein paar Tage Ski zu fahren. Die Talkshow von Anne Will gestern Abend war sozusagen meine persönliche Rückkehr in die deutsche Realität. Beziehungsweise Nicht-Realität, denn das muss man auch erst einmal fertigbringen: Eine Gesprächssendung über eine politische Krise in einem ostdeutschen Bundesland zu produzieren, ohne dass auch nur ein einziger Politiker aus diesem Bundesland anwesend ist. Sahra Wagenknecht stammt zwar aus Jena, als gelernte Thüringerin ist sie bisher allerdings eher nicht in Erscheinung getreten.

Politischer Eliten-Talk

Und wahrscheinlich ist das auch schon der erste Teil der Misere: Dass die Leute in der sogenannten Provinz den Eindruck haben, die Vertreter der politischen Elite sprächen am liebsten nur untereinander, so wie sich Ärzte auf einem Kongress über irgendwelche Patienten mit bemerkenswerten Krankheiten unterhalten. In dem Fall lautet die Diagnose über den thüringischen Patienten: Mangelnde Abgrenzungsfähigkeit gegenüber Rechts. Allerdings ging es in diesem Expertengespräch vor allem um die Symptome, nicht um die Ursachen. Sahra Wagenknecht machte da zwar eine Ausnahme: „Nur mit Abgrenzung allein werden Sie die AfD nicht klein kriegen“, sagte sie in die Runde. Aber das war offenbar schon zu viel Analyse für den Rest der Belegschaft.

Weil ich ja, wie gesagt, die vergangenen Tage nicht in Berlin war, habe ich versucht, die Will-Sendung gestern mit den Augen eines Auswärtigen zu sehen, der mit der Ausgangssituation zwar vertraut ist, aber die Akteure im Fernsehen nur vom Hörensagen kennt. Und da stellt sich zwangsläufig die Frage: Warum schicken CDU und FDP, also jene Parteien, die jetzt so richtig in Verschiss geraten sind, ausgerechnet Peter Altmaier und Wolfgang Kubicki ins Rennen? Wer die beiden gestern Abend erlebt hat, muss sich dann doch fragen, ob Schadensbegrenzung nicht die bessere Strategie gewesen wäre. Stattdessen redeten sich Altmaier und Kubicki um Kopf und Kragen. Wer will eigentlich ernsthaft Parteien wählen, die von solchen Leuten repräsentiert werden?

Kubicki gibt den Stegner

Der FDP-Abgeordnete und Bundestags-Vizepräsident schafft es inzwischen tatsächlich, seinem Landsmann Ralf Stegner von der SPD dahingehend Konkurrenz zu machen, innerhalb eines Talkshow-Auftritts ein Maximum an potentiellen Wählern zu vergraulen. Bekanntlich hatte Kubicki seinem Parteifreund Thomas Kemmerich am Mittwoch noch überschwänglich zur Wahl zum thüringischen Ministerpräsidenten gratuliert; bei Will dagegen nannte er gestern Kemmerichs Wahl im Brustton der Überzeugung einen „beschämenden Vorgang“. Auf Anne Wills Frage, wie es zu diesem Stimmungsumschwung gekommen sei, schwurbelte Kubicki irgendetwas davon, er sei am Mittwoch ja in Straßburg gewesen – als ob man an der deutsch-französischen Grenze seinen politischen Kompass abgeben müsse. Die Krönung allerdings war Kubickis Feststellung, er selbst sei „mental stärker als Thomas Kemmerich“ und hätte die Wahl deshalb nicht angenommen. Mehr braucht man zum Zustand der FDP eigentlich nicht zu sagen.

Altmaier als opportunistischer Trauerkloß

Anders als Wolfgang Kubicki mit seinem frivol-aggressiven Opportunismus versuchte sich CDU-Wirtschaftsminister Peter Altmaier als eine Art reumütiger Trauerkloß. Wobei in der Person Altmaiers das ganze Elend der Union zu einem einzigen Menetekel gerinnt. Oder was soll man von einem CDU-Politiker halten, der allen Ernstes die CSU in Mithaftung für die Thüringer Geschehnisse nimmt, um schließlich treudoof zu fordern: „Wir haben eine gemeinsame Verpflichtung, mit dem Tricksen aufzuhören!“ Ein paar Takte später verteidigte Peter Altmaier die Demissionierung des unbotmäßigen Ost-Beauftragten Christian Hirte mit den salbungsvollen Worten, es habe sich eben „die Frage gestellt, ob Hirte in dieser exponierten Position bleiben könne“.

Die Antwort ist bekannt. Dazu passend servierte Altmaier eine abgestandene Polit-Stanze nach der anderen: Vertrauen zurückgewinnen, die Menschen in Thüringen… und so weiter und so fort. Das war Merkel-Apparatschiktum in Reinform mit dem Sound der ausgehenden DDR. Wer Peter Altmaier gestern Abend gesehen hat, spürt instinktiv, dass die CDU eigentlich ganz dringend eine Regeneration in der Opposition bräuchte. Aber sie hat eben erfolgreich daran gearbeitet, dass genau das nicht mehr passieren kann.

Obwohl, wer weiß? Jedenfalls wirkten Sahra Wagenknecht von der Linken und sogar Juso-Chef Kevin Kühnert deutlich souveräner und reflektierter als ihre Gegenüber von CDU und FDP. Man muss Kühnerts politischer Agenda nicht zustimmen, aber natürlich hat er Recht mit der Feststellung, dass da bei der CDU „gerade etwas ins Rutschen gerät, was die Abgrenzung gegenüber Rechts angeht“. Und selbstverständlich liegt Wagenknecht vollkommen richtig, wenn sie die CDU in Mithaftung nimmt für die Protesthaltung der AfD-Wähler. Dass ausgerechnet eine Linkenpolitikerin daran erinnern muss, nicht alle AfD-Wähler seien gleichzeitig auch Fans von Björn Höcke, spricht für einen Realitätssinn, dem Leute wie Altmaier sich hartnäckig verweigern (zumindest öffentlich). Und so landete Sahra Wagenknecht am Ende der Sendung abermals einen Volltreffer mit dem Satz: „Die Leute merken, dass die CDU gar keine eigene Strategie mehr hat, sondern sich einfach nur noch durchwurstelt.“

Weidel, die Höcke-Apologetin

Alice Weidel von der AfD war übrigens auch zu Gast und gefiel sich für ihre Partei halb in der Helden- und halb in der Opferrolle. Der Heldenpart, weil die AfD in Thüringen angeblich ja nur Rot-Rot-Grün habe verhindern wollen. Der Opferpart, weil man jetzt wieder in die Nazi-Ecke gestellt werde. So weit, so erwartbar – nur Weidels vehemente Verteidigung des AfD-Rechtsaußens Björn Höcke nahm teilweise recht bizarre Züge an. Ansonsten war Weidels Auftritt eigentlich nicht der Rede wert; einzig der Zoff mit der Spiegel-Journalistin Melanie Amann über Alice Weidels neue Rolle als Höcke-Apologetin hatte Unterhaltungswert. Der Rest wirkte wie einstudiert und hölzern vorgetragen.

Insgesamt war das eine Sendung, die vor allem den politischen Stillstand, die gesellschaftliche Sklerose in der Bundesrepublik wiederspiegelte: Die Positionen sind verhärtet, die Protagonisten ergehen sich in Vorwürfen. Und wenn alles nichts hilft, wird die Auferstehung des Dritten Reichs heraufbeschworen. Nach fünf Tagen im Ausland holt einen Anne Will also verlässlich auf den Boden der deutschen Tatsachen zurück. „Verstörend“ nannte Melanie Amann diese Atmosphäre zu Recht. Sie erinnerte auch daran, das eklatante Autoritäts- und Führungsproblem innerhalb der CDU könne bis zur nächsten Bundestagswahl dazu führen, „dass von dieser Partei nur noch eine rauchende Ruine übrig ist“. Man könnte es auch den Kramp-Karrenbauer-Weg nennen.

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