Talk bei Anne Will nach den Landtagswahlen - „Das weise ich zurück!“

Nach einem insbesondere für die CDU verheerenden Wahl-Sonntag wird sich in der Sendung von Anne Will an Erklärungen versucht. Das führt zu einigen bizarren Statements. Aber klar ist: Der Bundestagswahlkampf hat begonnen, und die Union ist schwer in der Defensive.

Bundesfinanzminister und SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz / dpa
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Alexander Marguier ist Chefredakteur von Cicero.

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Wie verheerend dieser Landtagswahl-Sonntag für die CDU verlaufen ist, zeigt sich auch daran, wen die Partei abends dann noch zu Anne Will geschickt hat: den ehemaligen Innenminister Thomas de Maizère. Ein „Ex“ durfte also (mit schneidigen Inhalten und wenig Substanz) dem Fernsehpublikum nicht nur erklären, warum es für die Union in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz so stark bergab ging. Sondern auch, was das alles mit den jüngste Masken-Skandalen und Aserbaidschan-Verwicklungen gewisser Bundestagsabgeordneter aus den eigenen Reihen zu tun hat.

Den Auftakt in der Runde aber machte Bundesfinanzminister Olaf Scholz, seines Zeichens auch SPD-Kanzlerkandidat. Scholzens Kernbotschaft: Es sei nunmehr klar geworden, dass politische Mehrheiten auch ohne CDU und CSU möglich sind. Als die Moderatorin daraufhin wissen wollte, ob damit auch rot-rot-grüne Machtoptionen gemeint seien, reagierte Scholz mit der ihm eigenen Fähigkeit, sein Nicht-Sagen-Wollen in halbwegs gravitätische Worte zu hüllen. Kurzum: Er ging der Frage aus dem Weg, sprach von einer „zuversichtlichen Perspektive“ und bezeichnete die SPD ohne mit der Wimper zu zucken als „fröhliche Partei“.

Von einer „fröhlichen Partei“ mit Blick auf die CDU zu sprechen, so viel Selbstverleugnung wollte de Maizière sich dann doch nicht zumuten. Zwar attestierte er Olaf Scholz, bei diesem verschwimme regelmäßig „die Grenze zwischen Selbstbewusstsein und Übermut“. Gleichwohl gestand der einstige Merkel-Adlatus: Dass die Union den nächsten Bundeskanzler stellen werde, sei seit dem Wahlausgang von diesem Sonntag ungewiss. Angesichts der Tatsache, dass die Bundeskanzlerin mit ihrer gesamten Politik während der zurückliegenden Jahre zu fast jedem Preis so ziemlich alles unternommen hat, damit an CDU und CSU vorbei kein Weg ins Kanzleramt führt, ist das natürlich das Eingeständnis eines totalen Scheiterns: Da hat man sich anderthalb Dekaden lang überall angebiedert und steht am Ende womöglich doch mit leeren Händen da. Eine bittere Erkenntnis.

Habecks Tiefenströmung

Grünen-Chef Robert Habeck hätte an einem Abend wie diesem natürlich auftrumpfen können, denn zumindest die Landtagswahl in Baden-Württemberg war für die Grünen ein voller Erfolg. Aber weil er sich nun einmal imagemäßig auf die Rolle des bescheidenen Grüblers festgelegt hat, verzichtete er auf jegliche Großspurigkeit. Und versuchte sich vielmehr in der einstudierten Rolle des besorgten Politik-Intellektuellen: Es gebe, abseits der aktuellen Wahlergebnisse, in diesem Land eine „Tiefenströmung des erodierenden Vertrauens in die Politik“. In der Tat, wer wollte Habeck in diesem Punkt widersprechen?

Im Gegenteil: Auch Christiane Hoffmann, Hauptstadtkorrespondentin des Spiegel, setzte die sinkende Zustimmung der Bevölkerung zur Corona-Politik der Bundesregierung in Verbindung mit den Landtagswahlergebnissen. Es sei also keineswegs so, dass mit Malu Dreyer in Rheinland-Pfalz und Winfried Kretschmann in Baden-Württemberg lediglich zwei beliebte Politiker in ihrem Amt bestätigt worden seien: „Das war keine reine Persönlichkeitswahl.“ Weswegen Kretschmann froh sein dürfte, dass seine Partei im Bund nicht mitregiert. Ein Punkt, den Robert Habeck nur allzu gern aufgriff. An dieser Stelle ließ er seine ansonsten selbstauferlegte Zurückhaltung nämlich Beiseite und sprach ausdrücklich von einer „schlechten Corona-Politik“ der Bundesregierung mit einer katastrophalen „Gesamtkoordinierung“.

Nachsatz von Olaf Scholz, der einem mit der ständigen Hypothek seiner SPD-Mitgliedschaft schon fast leid tut: Deutschland müsse ein „starkes Industrieland bleiben“, und das „Zukunftsprogramm“ seiner Partei werde dafür sorgen, dass das auch passiert. Ob das so mit Saskia Esken und Kevin Kühnert schon im Detail abgesprochen ist? Egal, der Kanzlerkandidat kann angesichts eines knapp zweistelligen Ergebnisses der Sozialdemokraten in Baden-Württemberg vor Kraft kaum laufen und verfügt über das erstaunliche Talent, sich damit nicht einmal lächerlich zu machen. Auch das eine Leistung.

Im zweiten Thementeil der Sendung ging es dann um die aktuellen Skandale und die Frage, ob die Unionsparteien ein strukturelles Problem mit allerlei Mauscheleien hätten. Robert Habeck bekräftigte noch einmal seine diesbezügliche Erkenntnis, CDU und CSU fehle es an entsprechendem Unrechtsbewusstsein. Das zeige sich schon daran, dass deren Fraktionschef Ralph Brinkhaus sämtliche seiner Abgeordneten um eine schriftliche Ehrenerklärung habe bitten müssen, keine krummen Geschäfte mit Atemschutzmasken und ähnlichen Dingen gemacht zu haben. De Maizière konterte leicht empört („das weise ich zurück!“), kam dann aber dennoch zu dem Schluss, man habe in seiner Partei jetzt „genug zu tun“.

Strukturelles Problem bei der Union?

Olaf Scholz trat an dieser Stelle ausdrücklich nicht dafür ein, dass Parlamentsabgeordnete keine Nebeneinkünfte haben sollten, weil man anderenfalls eben auch Selbstständige davon abhalten würde, bei Wahlen zu kandidieren. Gleichzeitig müsse aber sichergestellt sein, dass es keine Verquickung zwischen Amt und Nebeneinkünften geben dürfe. Scholz fügte hinzu, als Finanzminister habe er gerade in den Unionsreihen immer wieder mit Abgeordneten zu tun, die erkennbar Lobyinteressen vertreten würden.

Thomas de Maizière musste an diesem Punkt daran erinnern, dass hier zwei Themen miteinander vermischt würden und die aktuellen Skandale einiger Unionsleute nichts mit Lobbying zu tun hätten, sondern mit anderweitigem Fehlverhalten. Mit dem viel diskutierten Lobbyregister jedenfalls hätten die derzeitigen Fälle Nikolas Löbel / Georg Nüßlein auch nicht verhindert werden können, und überhaupt sei das alles „keine Krise der gesamten Partei“. Die Nervosität in innerhalb der CDU lässt zwar anderes vermuten, und de Maizières Verweis auf die Lobbytätigkeit des SPD-Altkanzlers Gerhard Schröder mochte auch nicht so recht verfangen. Aber immerhin reagierte Olaf Scholz darauf erkennbar kleinlaut.

Die Runde endete mit ungewollter Komik, als Anne Will von Robert Habeck wissen wollte, ob denn nun Annalena Baerbock oder aber er selbst die Kanzlerkandidatur antreten würden. Das werde zwischen Ostern und Pfingsten entschieden, so seine Antwort. Nachfrage Will: Ob er seiner Co-Parteichefin als Frau den Vorsitz lassen würde? Habeck: Wenn sie „als Frau sagen würde, dass sie die Kanzlerkandidatur beansprucht“, dann schon. Die Erkenntnis: Grünen-Politikerinnen können offenbar in unterschiedlichen Aggregatzuständen auftreten; also als „Frau“ und als „Politikerin“. Ob das die Mutter des Gedankens war, sei zu dieser späten Stunde dahingestellt.

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