Anja Karliczek - Die Geheimministerin

Die CDU-Politikerin Anja Karliczek wurde im März völlig überraschend Bildungs- und Forschungsministerin. Sie macht sich für den Digitalpakt stark und zieht so den Zorn der Bundesländer auf sich. Ist sie der Kontroverse gewachsen?

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Die Kritik an Anja Karliczek nimmt zu, die Nerven der Ministerin scheinen blank zu liegen / picture alliance
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Antje Hildebrandt hat Publizistik und Politikwissenschaften studiert. Sie ist Reporterin und Online-Redakteurin bei Cicero.

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Die Frau, die ein Boulevardblatt „Deutschlands geheimste Ministerin“ genannt hat, stapft in bequemen Absatzschuhen die Treppe hoch. Berlin-Spandau, das Ausbildungszentrum der Firma Siemens. Hier setzen angehende Mechatroniker an der Werkbank um, was sie im Hörsaal gelernt haben. Duales Studium heißt das neue Zauberwort für die Ausbildung. Doch den Namen der Ministerin haben die Studenten noch nie gehört. „Karli, wer?“

Anja Karliczek, die vor neun Monaten überraschend Ministerin für Bildung und Forschung wurde, ist nicht der Typ Frau, die den Raum betritt und alle Blicke sind auf sie gerichtet. Die 47-Jährige aus dem Münsterland wirkt vielmehr wie aus der Zeit gefallen, mit der Perlenkette unter dem weißen Blazer und dem Knicks, den sie andeutet, als ihre Gastgeber sie begrüßen. Man denkt an eine Kammerzofe, die sich in die Arbeitswelt des 21. Jahrhunderts gebeamt hat. Und sie passt somit nicht in die Tradition ihrer Vorgängerinnen Johanna Wanka und Annette Schavan, die eine Mathematikprofessorin, die andere Erziehungswissenschaftlerin. Als Hotelfach- und Bankkauffrau mit BWL-Fernstudium hat sie den Wissenschaftsbetrieb nie von innen kennengelernt.

Die Zweifel nehmen zu

Es mehren sich Stimmen, die fragen, ob eine wie sie tatsächlich geeignet ist, Schulsystem und Wissenschaft zu retten. Quotenfrau, katholisch, Bundestagsabgeordnete aus dem mächtigen CDU-Landesverband Nordrhein-Westfalen, reicht das als Qualifikation aus? Der Lehrermangel hat dramatische Ausmaße angenommen. Inklusion, Integration, Digitalisierung. Das alles müssen Schulen neben ihrer eigentlichen Aufgabe erledigen. Zwar hat die Kultusministerkonferenz gerade verkündet, die Verhandlungen zwischen Bund und Ländern um den von ihrer Vorgängerin initiierten Digitalpakt stünden vor dem Abschluss.

Doch gut zu sprechen sind die Bildungsminister der Länder auf Karliczek dennoch nicht. Gleich nach ihrem Amtsantritt hat sie die Kollegen mit einer Forderung aus dem Koalitionsvertrag vor den Kopf gestoßen. Ein Nationaler Bildungsrat soll künftig helfen, die Probleme des föderalen Schulsystems zu lösen – notfalls gegen den Willen der Länder. Die aber tragen 90 Prozent der Kosten. Entsprechend groß war die Empörung. „Wer nichts zahlt, der sollte auch keine Führungsrolle beanspruchen“, sagt Hamburgs Schulsenator Ties Rabe (SPD). Inzwischen habe Karliczek zwar eingelenkt. Aber er frage sich doch, ob sie damals gut beraten worden sei.

Weiß sie, worauf sie sich eingelassen hat?

An den Hochschulen sieht es nicht viel besser aus. Sie ächzen unter einem Innovationsstau. Es geht um 35 Milliarden Euro, und sie fordern daher, die Zuschüsse von Bund und Ländern um 3 Prozent jährlich zu erhöhen. Die Ministerin lehnt dies ab. Wie die Hochschulen dennoch mehr feste Stellen schaffen sollen, darüber schweigt sie sich aus.

Karliczek steht unter gewaltigem Druck. Die Große Koalition hat sich viel vorgenommen. Zehn Seiten umfasst die Liste der Versprechungen in der Bildungspolitik – von der Ganztagsgarantie für Grundschüler bis zum Pakt zur Digitalisierung der Grundschulen. Dazu kommt, dass die Bundesregierung den auslaufenden Hochschulpakt, den Pakt für Forschung und Innovation und den Qualitätspakt Lehre mit den Ländern neu aushandeln muss. Es ist ein Tauziehen um Investitionen in Milliardenhöhe.

Weiß die Neue, worauf sie sich da eingelassen hat? Eine Frau, die Wissenschaftler mit der Ankündigung verstörte, aus dem Land der Dichter und Denker müsse ein Land der Bastler und Tüftler werden? Die Forderung ist Ausdruck eines Paradigmenwechsels. Bund, Wirtschaft und Gewerkschaften wollen die duale Berufsausbildung stärken. Aber ist es sinnvoll, Akademiker gegen Praktiker auszuspielen?

Die Nerven scheinen blank zu liegen

Man hätte ihr diese Fragen gerne persönlich gestellt. Man hätte sie auch gerne gefragt, warum sie im Juli ihre beamtete Staatssekretärin Cornelia Quennet-Thielen entlassen hat. Eine Frau, die schon unter Karliczeks Vorvorgängerin Annette Schavan berufen worden war. Eine, die als durchsetzungsstark galt. Doch ein nach vielen Telefonaten vereinbartes Interview sagt Karliczeks Sprecherin in letzter Sekunde wieder ab.

Es scheint, als lägen ihre Nerven blank. Zuletzt war Karliczek in der Talkshow von Markus Lanz gegrillt worden. Wie sie denn den Schulnotstand bekämpfen wolle, fragte sie der Moderator hartnäckig. Karliczek ließ die Kritik an sich abperlen, spulte stattdessen die Versprechen aus dem Koalitionsvertrag ab. Wie eine, die für ihre Aufgabe brennt, wirkte sie nicht – wie eine, die aufgibt, allerdings auch nicht. „Durchhaltevermögen wird in der Arbeitswelt immer wichtiger“, predigt sie den Studenten bei Siemens. „Wer etwas angefangen hat, muss es auch zu Ende bringen.“

Dieser Text stammt aus der Dezember-Ausgabe des Cicero, die Sie am Kiosk oder in unserem Online-Shop erhalten.














 

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