Angela Merkel - Last Woman Standing?

Die Bundestagswahl hat die Volksparteien und ihre Spitzenvertreter schwer erschüttert. Doch während die Tage von Martin Schulz und Horst Seehofer bereits gezählt scheinen, tut Angela Merkel so, als könne ihr die Wahlschlappe nichts anhaben. Wenn sie sich da mal nicht täuscht

Das desaströse Wahlergebnis und gescheiterte Koalitionsverhandlungen könnten sogar die Kanzlerin mitreißen / picture alliance
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Christoph Schwennicke war bis 2020 Chefredakteur des Magazins Cicero.

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Man kennt das vom Kegeln: Manchmal wackeln die Kegel lange, bevor sie fallen. Oder sie stabilisieren sich am Ende doch wieder und bleiben stehen. Die Wählerinnen und Wähler haben am vergangenen Sonntag eine beherzte Kugel in Richtung Bahnende geschoben und einen Volltreffer gelandet. 

Besonders die drei Schlüsselfiguren der Großen Koalition hat es getroffen, alle drei wanken. Nur eine tut so, als stünde sie felsenfest. 

Schulz ist nur noch Übergangsverwalter

Fangen wir bei der SPD an. Martin Schulz hat das All-Time-Low für diese einst stolze Partei eingefahren und mit Müh und Not die „2“ vorne im Ergebnis gehalten. Seine rigorose Absage an eine weitere Große Koalition hat ihn für die ersten empfindlichsten Stunden nach der Wahl stabilisiert. Aber schon in den Folgetagen zeigt sich, wie fragil das Podest ist, auf das ihn die SPD erst vor wenigen Monaten mit einer 100-Prozentwahl zum Parteichef gehoben hat.

Altvordere wie Otto Schily und Franz Müntefering zweifeln öffentlich daran, dass es richtig von ihm war, Andrea Nahles an seiner Statt zur Fraktionschefin zu machen. Und in der Tat ist diese Personalie schon der erste Beleg dafür, dass Schulz in der SPD nicht  mehr machen kann, was er will, sondern mächtige Leute einbinden muss. Mit der Personalie Nahles hat Schulz klar gemacht: Ich bin nur noch Übergang. Die Zukunft der SPD machen Andrea Nahles und Hamburgs Erster Bürgermeister Olaf Scholz unter sich aus. 

Seehofer ist von der Rolle

Einen Übergang sehnen sich in der CSU schon lange einige Herrschaften herbei. Und deshalb wackelt, ja taumelt von den drei großen Kegeln besonders Horst Seehofer. Diese Woche hat er bei diversen Pressekonferenzen öfter „Äh gesagt als Edmund Stoiber in seinen fahrigsten Tagen. Der Mann ist von der Rolle. Zu Recht. Knapp 39 Prozent für die CSU in Bayern. Das schneidet ein bis auf die Knochen. Seehofers Aufbegehren gegen Merkels Flüchtlingspolitik ist dafür nicht der Grund. Sondern erst sein Einknicken und Wieder-Einreihen.

Genussvoll plakatierte die AfD: Wer CSU wählt, bekommt Merkel. Ein tödlicher Slogan für Seehofer. Mit dem Trick eines Wahlparteitags im November, mitten in den Koalitionsverhandlungen, versucht er sich zu retten. Aber das muss nicht weiterhelfen. Die CSU ist eine Putschpartei, sie macht das zur Not auf offener Bühne, und in Bayern sind Wahlen im kommenden Jahr. Mit hoher Wahrscheinlichkeit wird Seehofer da nicht mehr antreten. Die Wähler in Bayern sind durch mit ihm. 

Merkel wankt

Damit zum größten Kegel, Angela Merkel. Sie hat die Wähler-Kugel voll erwischt und fast neun Prozentpunkte gekostet. Und doch tut sie so, als sei sie unerschütterlich, als sei ihr Fuß mit Klebstoff an der Kegelbahn fixiert. Die CDU ist im Unterschied zu ihrer bayerischen Schwester überhaupt keine Putschpartei, sondern eine Kuschpartei. Deshalb muss man hier eine höhere Sensibilität an den Tag legen, was Erosionserscheinungen der Macht angeht. Das mit 77 Prozent in CDU-Kategorien erbärmliche Wahlergebnis ihres Knappen Volker Kauder zum abermaligen Fraktionschef ist so eine Erosionserscheinung. Und der Umstand, dass sich ein Mitglied der sogenannten Werteunion, einer Anti-Merkel-Veranstaltung innerhalb der CDU, öffentlich für eine Trennung von Parteivorsitz und Kanzlerschaft ausgesprochen hat, ist es auch. 

Merkel hat bei der Buchvorstellung einer Biografie von Gerhard Schröder einmal im Beisein ihres Vorgängers gesagt, dass sie dessen Schritt, als Kanzler den Parteivorsitz abgegeben zu haben, als dessen größten Fehler angesehen und nie verstanden habe. Die Werteunion kann sich also viel wünschen. Dennoch wird dieses Wahlergebnis von 32,9 Prozent weiter wie Säure an der Säule Merkel fressen. Sie hat die drei schlechtesten Wahlergebnisse der Union seit 1949 zu verantworten. Die Wahl war ein Referendum über ihre verfehlte Flüchtlingspolitik. Und nicht einmal ein ungebremster Wirtschaftsboom und faktische Vollbeschäftigung haben sie vor diesem schlechten Wahlergebnis bewahrt. Normalerweise trägt diese Sänfte wie von selbst ins Kanzleramt. 

Jamaika keineswegs sicher

Deshalb ist Merkel auch noch nicht durch. Jamaika, das Bündnis aus CDU,CSU, FDP und Grünen beflügelt Fantasien in den Zeitungsredaktionen. „Alles so schön bunt hier“, hat Nina Hagen einmal gesungen. Aber so ein bunter Wimpel wie die Jamaikaflagge will erstmal vernäht sein. Und muss dann erstmal auch in jedem Sturm und jedem Wind halten. 

Deshalb sei die Behauptung gewagt: Die letzten Tage der Angela Merkel als Kanzlerin sind angebrochen. Tage, Wochen, Monate, vielleicht Jahre. Aber nicht mehr eine ganze Legislatur. Es kann sein, dass es gar nicht zu einer Jamaika-Koalition kommt, weil – Stichwort Kegel! – Horst Seehofer Merkel im Fallen mitumreißt und eine solche Koalition verhindert, bevor sie angefangen hat. Und wenn Jamaika doch kommt, dann kann ein Bündnis solch divergierender Kräfte jederzeit zerreißen wie eine fadenscheinige Fahne. 

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