Angela Merkel - Eine, die sich nichts vorzuwerfen hat

Die große Sommer-Pressekonferenz war für Angela Merkel trotz des islamistischen Terrors ein Spaziergang. Dennoch wird sie einen Preis für ihre Flüchtlingspolitik bezahlen müssen

Hatte leichtes Spiel vor der versammelten Hauptstadtpresse: Bundeskanzlerin Angela Merkel / picture alliance
Anzeige

Autoreninfo

Christoph Schwennicke war bis 2020 Chefredakteur des Magazins Cicero.

So erreichen Sie Christoph Schwennicke:

Anzeige

Es ist nicht überliefert, ob Angela Merkel den Klassiker „Asterix bei den Schweizern“ kennt. Aber sie handelt jedenfalls danach. In dem Comic gibt es eine Szene, in der ein Mann an einem Gift sterben soll, und damit das auch eintritt, wird nicht ein Arzt auf ihn losgelassen, als die ersten Symptome kommen, sondern ein ganzes Dutzend. Nichts, so die Aussage dieser Passage, ist tödlicher als eine Horde Ärzte, die sich in ihren Diagnosen widerspricht.

Ähnlich verhält es sich bei politischen Journalisten. Einzeln möglicherweise gefährlich, in der Meute harmlos. Weil das so ist, hat die Bundeskanzlerin die große Sommer-Pressekonferenz nach den Terroranschlägen von Flüchtlingen in Deutschland vorverlegen lassen und ihren Urlaub unterbrochen. Sie wusste aus jahrzehntelanger Erfahrung: Diese große Bühne wird ihre sein. Einige wenige kritische Fragen werden sie nicht weiter dabei stören, ihre Botschaft loszuwerden. Zu unterschiedlich sind die Erkenntnisinteressen der einzelnen Kollegen, als dass aus diesem Ereignis ein echter heißer Stuhl würde. So kam es folgerichtig, dass sich schon die dritte Frage nicht mit den Toten und Verletzten der Anschläge beschäftigte und Merkels Verantwortung dafür als Flüchtlingskanzlerin. Sondern mit der Rentenanpassung von Ost und West.

Ein Grill ist definitiv etwas anderes als diese beinahe kafkaesk-surreal wohltemperierte Veranstaltung.

Eine Kehrtwende?

Zwei Dinge sind gleichwohl deutlich geworden. Angela Merkel ist mit sich selbst im Reinen. Und sie macht in mehreren Punkten eine komplett neue Politik, ohne dass das so aussehen soll. Hat sie vor einem guten Jahr im Nachgang zu ihrer „Wir schaffen das“-Sommer-Pressekonferenz noch bei Anne Will gesessen und gesagt, es liege nicht in unserer Macht, wie viele Menschen nach Deutschland kommen, vertrat sie nun mit der größten Selbstverständlichkeit die These, dass illegaler Grenzübertritt natürlich verhindert werde. Man kann das unverfroren nennen oder Chuzpe. Jedenfalls ist es das glatte Gegenteil.

Darüber hinaus stellte Merkel klar: Die Bundespolizei und die Sicherheitsbehörden werden mehr Geld und mehr Leute kriegen. Und die Bundeswehr wird bei „terroristischen Großlagen“ in Zukunft gemäß des neuen Weißbuchs auch im Innern eingesetzt. Zwei Forderungen, die seit langem von anderer Seite erhoben werden und von ihrer Regierung stets abgelehnt wurden. 

Keinerlei Selbstzweifel

Im Übrigen ließ Merkel nicht einen Gran an Selbstzweifel erkennen, ob die islamistischen Anschläge von zwei Flüchtlingen und die neuen Fälle von sexuellen Übergriffen durch Flüchtlinge in Bremen und Kirchheim/Teck ihre Flüchtlingspolitik in ein neues Licht rücken.

Einmal, als sie über die „Gefühlsebene“ redete und danach gefragt wurde, ob sie persönlich Schuldgefühle hege, sagte sie klipp und klar: Nein, das sei nicht der Fall.

Es ist das gute Recht der Bundeskanzlerin, zu diesem Urteil in eigener Sache zu kommen: sich nichts vorzuwerfen zu haben. Jeder Bürger, jede Bürgerin und damit jeder Wähler und jede Wählerin hat aber das ebenso gute Recht, in dieser Frage zu einem anderen Urteil zu kommen. Nach den Silvesterübergriffen von Köln waren die Umfragewerte von Merkel und die der CDU rapide gesunken – und hatten sich vor den Anschlägen wieder leicht erholt. Die Vorfälle von Würzburg, Ansbach und Reutlingen werden zu einem zweiten Einbruch führen.

Spaziergang der Kanzlerin in der Bundespressekonferenz hin oder her.

Anzeige