Angela Merkel - Die erfolgreichste sozialdemokratische Kanzlerin der Geschichte

Kaum noch jemand zweifelt ernsthaft daran, dass Angela Merkel im September erneut zur Bundeskanzlerin gewählt wird. Schuld daran ist vor allem das linke Lager, das immer wieder in von ihr gestellte Fallen hineintappt. Dabei gäbe es in einem Feld dringenden Handlungsbedarf

Angela Merkel: die Kybernetikerin der Macht / picture alliance
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Stephan-Götz Richter ist Herausgeber und Chefredakteur des Online-Magazins „The Globalist“, zusätzlich schreibt er auf seiner deutschen Webseite. Er hat lange Jahre in Washington, D.C. verbracht und lebt und arbeitet seit 2016 in Berlin.

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Die gesamte deutsche Linke – von der SPD über die Grünen bis hin zur Linkspartei – verzweifelt gerade an der anscheinenden Unausweichlichkeit von Angela Merkel als Kanzlerin. Wer sich zum Verzweifeln verdammt sieht, sollte zunächst einmal alles daransetzen, seinen Widersacher wirklich zu verstehen. Aber gerade hier hapert es. Stattdessen geben sich Linke reinem Wunschdenken hin und beklagen obendrein, dass sich die tumben Deutschen von Merkel scheinbar unwiderstehlich umgarnen lassen. Wenn hier aber einer tumb ist, dann sind es nicht die Durchschnittsbürger, sondern die politische Elite des gesamten linken Lagers. Denn dort hat man immer noch nicht verstanden, wie Merkel ihnen regelmäßig perfekte Fallen stellt.

Erst versprechen, dann zurücknehmen

Das Paradebeispiel ist die Flüchtlingskrise. Dort betrieb Merkel zum Verzücken aller links stehenden Politiker – und zum Grauen aller rechts stehenden – auf einmal eine links ausgerichtete Politik. Um aber die eigene politische Identität nicht zu verlieren, taten sich die links stehenden Politiker fortan damit hervor, noch mehr Liberalität und Entgegenkommen gegenüber Flüchtlingen zu fordern. Wenn sich Merkel vom damaligen Enthusiasmus in der Bevölkerung bestätigt und ermutigt sah, dann überdrehten zwangsläufig alle Politiker, die links von ihr stehen. In just diesem Moment hatte Merkel, die Kybernetikerin der Macht, bereits gesiegt. Denn sie bekleidet politische Positionen nicht nur deshalb, weil sie inhaltlich davon überzeugt ist. Ihr geht es – innerparteilich und innenpolitisch – auch immer darum, solche Positionen zu beziehen, die geeignet sind, ihre reellen oder potenziellen politischen Widersacher zu paralysieren. Mittels dieses recht simplen, aber rigoros durchgezogen Prinzips verschafft sich Merkel einen strategischen wie auch taktischen Vorteil.

Um beim Beispiel der Flüchtlingspolitik zu bleiben, achtet sie bei allem vermeintlichen Draufgängertum stets darauf, eine perfekte, politische Rückversicherung zu haben. Sobald sich die Stimmung in der Bevölkerung dreht, kann die Kanzlerin ihre eigenen Stellschrauben stückweise nach rechts drehen. So behält sie politisch die Oberhand. Denn bei allem Optimismus und Tatendrang der deutschen Bevölkerung hinsichtlich der massiven Aufnahme von Flüchtlingen, bestand das offensichtliche Risiko, dass sich diese Stimmungslage ändern würde. Dieser Stimmungswandel ist mittlerweile eingetreten. Merkel kann nach und nach ihre sachpolitischen Rückzugsgefechte antreten, ohne dafür aber einen politischen Preis zu zahlen. Darin liegt ihr politisches Genie. Auch wenn jenes mehr ihr selbst, als der Gesellschaft nützt. Denn diejenigen, die in politischer Opposition zu ihr stehen, hatten sich gezwungen gesehen, sie noch weiter links zu überholen. Unter solchen Vorzeichen genügt dann ein einziger Vorfall, wie etwa der Anschlag Anis Amris, um allen Beteiligten das politische Ungleichgewicht anschaulich vor Augen zu führen.

Merkels Sozialpolitik

In der Sozialpolitik, einem anderen wichtigen Schlachtfeld, verhält es sich ähnlich. Wer die kybernetische Vorgehensweise Merkels bedenkt, der wundert sich nicht, warum das große Gerechtigkeitsprojekt des Martin Schulz jenseits der SPD bei den Wählern keine Anhänger findet. Denn auch hier gilt, dass die Kanzlerin sich durchweg so positioniert hat, dass sie weiteren Begehr­lichkeiten der SPD effektiv das Wasser abträgt. Merkel ist auf ihre Weise die erfolg­reichste sozial­demo­kratische Kanzlerin der deutschen Geschichte. Im Unterschied etwa zu Helmut Schmidt und Gerhard Schröder wird die CDU-Partei­vorsitzende nicht dadurch im Gedächtnis bleiben, weil sie irgendwelche strukturpolitischen Reformen vorgenommen hat. Ganz im Gegenteil: sie ist dadurch hervor­getreten, dass sie schon viele der Schröderschen Reformen zurückgefahren hat. Auch auf dem Feld der Sozialpolitik beweist sie, dass sie genau soweit zu gehen bereit ist, wie dies die Bevölkerung bei maximalem Optimismus zu tolerieren geneigt ist.

Für das gesamte politische Spektrum, das links von ihr positioniert ist, bedeutet das aber nichts anderes, als dass Merkel ihnen erneut eine Falle gestellt hat. Denn nach den Prinzipien der Parteipolitik müssen ihre Widersacher, um ihre Identität zu bewahren und die Erwartungshaltung ihrer Mitglieder zu erfüllen, die Kanzlerin links übertrumpfen. Wenn Merkel aber schon von sich aus bestrebt ist, das sozialpolitische Paradies zu erreichen, dann hat sie ihre politischen Opponenten genau dort, wo sie sie immer haben wollte: auf dem politischen Abstellgleis.

Die Grenzen sind erreicht

Denn in einem Steuer- und Abgabenstaat, der innerhalb der OECD nur noch von Belgien übertroffen wird, sagen sich selbst junge Menschen, dass bei allem Streben nach Gerechtigkeit die Grenzen des Machbaren erreicht sind. Weiterer Fortschritt kann unter nicht mehr durch eine noch größere Gießkanne, sondern nur noch durch eine Optimierung des Wasserflusses aus der ohne­hin schon sehr großen Gießkanne erreicht werden. Da gehört eine Verbesserung des staatlichen Ausgabenwesens mit an die vorderste Stelle.

So sinnvoll eine gut ausgestattete öffentliche Hand ist, kann es nicht Sinn der Gesellschaft sein, immer noch mehr öffentliche Planstellen für jedwede Notwendigkeit zu schaffen. Grundsätzlich muss die Flexibilität im öffentlichen Dienst nachhaltig erhöht werden. Vor allem muss man sich fragen, warum es für bestimmte Verwaltungsvorgänge nicht möglich ist, Beamte und Angestellte wenigstens zeitweise zum Einsatz zu bringen, die an anderer Stelle unterbeschäftigt sind. Darüber hinaus gilt, dass der behäbige deutsche Amtsschimmel noch nicht im beginnenden 21. Jahrhundert angekommen. Dass wir im Zeitalter der Apps leben und dass diese sehr wohl auch auf lokaler Ebene zur Koordination von Projekten zwischen öffentlicher Hand und Bürgern genutzt werden können, scheint in Deutschland noch immer nicht realisiert worden zu sein. Und das, obwohl die partizipative Bürgerbewegung inzwischen jahrzehntealt ist. 

Staatsausgaben durchforsten

Ein sorgfältiges Durchforsten des öffentlichen Ausgabenwesens könnte einigen Spielraum aufzeigen. Dieser kann besser für andere, dringende soziale Aufgaben benutzt werden. Trotz des großen Beamten- und Angestelltenapparates, den wir als Gesellschaft unterhalten, nehmen die Kostenüberschreitungen immer groteskere Dimensionen an. Dies wirft kein gutes Licht auf die Kompetenz des gesamten Apparates.

Das aber wird Angela Merkel politisch nicht angehängt. Denn eine Opposition, die aus Gründen der eigenen Identität immer nur darauf bedacht ist, dass sie Merkel bei ihren diversen Schachzügen nach links immer dadurch zu attackieren sucht, dass man noch weiter nach links will, ist ineffektiv. Eine solche Opposition ist kein Widerpart für eine vielleicht zynische, dafür aber doch hocheffektive Kybernetikerin der Macht.

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