Merkels Absage an fünfte Amtszeit - Wirklich nicht? „Nein. Nein, wirklich nicht!“

Wenn für Angela Merkel einmal eine Sache zu einer Frage der Ehre geworden ist, erweise sie sich als richtig oder falsch, komme, was wolle, dann bleibt sie dabei. Das gilt auch für ihre Absage an eine etwaige fünfte Amtszeit. Zu einem historischen Satz, der ihre Kritiker jubilieren und ihre Befürworter trauern lässt.

Ich bin dann mal weg: Angela Merkel in Abschiedspose im Kanzleramt / dpa
Anzeige

Autoreninfo

Christoph Schwennicke war bis 2020 Chefredakteur des Magazins Cicero.

So erreichen Sie Christoph Schwennicke:

Anzeige

Während Angela Merkel im ZDF-Interview spricht, erklingen im Kopf diese Liedzeilen, das rollende R und die rauchig-rauhe Stimme der Piaf: 

„Non, rien de rien, non, je ne regrette rien
Ni le bien qu'on m'a fait, ni le mal
Tout ça m'est bien égal ...“

Frei übersetzt: Nein, ich bereue nichts, nichts, aber auch gar nichts, nicht das Gute, nicht das Schlechte, all das ist mir völlig schnurz. 

Angela Merkel - die Piaf der Politik 

Angela Merkel ist die Édith Piaf der deutschen, ja der zeitgenössischen Politik. Bei aller Ideologiefreiheit oder Prinzipienlosigkeit (die einen sagen so, die anderen sagen so) zieht sich ein Merkmal, ein Muster durch ihre gesamte politische Laufbahn, es ist gleichsam ihr politisches Glaubensbekenntnis: Rücke nie von einer Entscheidung ab, räume nie einen Fehler ein, und sei er noch so offensichtlich. Das kann man, wiederum je nach Gusto, konsequent oder starrsinnig nennen. 

Wenn in äußersten Ausnahmen das doch einmal sein muss, weil es deinen Machterhalt gefährdet, dann suche dir einen exogenen Grund, der deine Kehrtwende plausibel erscheinen lässt. Einmal hat sie bei ihrer Schubumkehr in Sachen Atomkraft diesen exogenen Grund in der Reaktorkatastrophe von Fukushima gefunden. In der Flüchtlingskrise hatte sie den das einzige Mal nicht, war aber nach einem Rencontre mit dem palästinensischen Flüchtlingsmädchen Reem in Rostock im Frühsommer 2015 zu dem Schluß gekommen, dass ihr das Image der Kaltherzigen (der Stern titelte mit einem erbarmungslos harten Portrtätfoto seinerzeit: „Die Eiskönigin“) die Macht kosten könnte. Aber auch in diesem Fall hielt sie das Muster: durchziehen, auf keinen Fall Fehler einräumen. Bis die nächste Krise die alte überlagert. Und also kam Corona. Exogen. Und sie war das leidige Thema auf diese Weise los.

Horst Seehofers letzte Hoffnung

Nach ihrem notorischen anfänglichen Zaudern (ein weiterer grundlegender Charakterzug, den sie selbst immer zu ihren Gunsten als Nachdenklichkeit auslegt) und einer gewissen Wurschtigkeit („Nun sind sie halt mal da“, sagte sie in der Fraktion im Zuge der Flüchtlingskrise, es würden sich eben 60 bis 70 Prozent anstecken, sagte sie zu Beginn der Coronakrise zuerst an eben jenem nichtöffentlichen Ort), hatten wieder große Teile der Bevölkerung den Eindruck, dass sie bei ihr und der Union in ganz guten Händen sind. Zumal ihr Kontrahent in der Flüchtlingskrise, der stürmische CSU-Chef Markus Söder, die Amtsinhaberin erfolgreich zum Jagen getragen hatte.

Dass ausgerechnet Horst Seehofer dieser unterschwelligen Debatte mit einer öffentlichen Einlassung Schub verschaffen wollte, hat einen tragikomischen Kern. Er, der sich wie Söder erfolglos gegen Merkels Flüchtlingspolitik stemmte, will sich jetzt als Polit-Methusalem unter ihre Rockschöße flüchten wie der Vater von Oskar Matzerath bei der kaschubischen Bäuerin in Günter Grass‘ Blechtrommel. Jedes neue Machtregime in der Union, wer immer es bildet, wird Seehofer nicht mehr als Teil der Lösung ansehen. Merkel ist da anders, wie man an Wolfgang Schäuble sehen konnte. Eine Restchance auf eine Laufzeitverlängerung könnte sich Seehofer bei Merkel ausrechnen. Bei jedem anderen nicht. 

Diese Restchance auf ihre eigene Laufzeitverlängerung hat Merkel nun bei all all jenen zerstäubt, die sich davon Vorteile erhofft hatten. „Nein. Nein, wirklich nicht.“ Und auf die Nachfrage, ob das Nein also stehe: „Aber ganz fest!“ Darin schwang fast Vorfreude auf das Leben danach und auf alle Fälle mehr Absolutheit als an die vergleichsweise weniger apodiktische Aussage im gleichen Interview, dass die reduzierte Mehrwertsteuer zum Jahresende ausläuft.

Das Nein steht? „Aber ganz fest!“

Dieser Satz von ihr und vor allem sein Zusatz in der „Was nun?“-Sendung des ZDF werden in den Kanon der historischen Sätze aus ihrem Munde eingehen. Wenn man Hinweise aus vertraulicheren Runden mit ihr Glauben schenken darf, dann ist sie zu der Auffassung gelangt, dass sie das auch physisch nicht mehr schaffe und sich das nicht mehr zumuten wolle. Vor Jahren sagte sie selbst einmal, sie wolle das Amt nicht als „Wrack“ verlassen. An diese Aussage wurde zuletzt erinnert, als sie mit seltsamen Zitteranfällen bei Zeremonien im Stehen auffiel. 

Davon ist nichts mehr zu sehen. Im Gegenteil. Sie macht den Eindruck, als habe ihr die Bewältigung der Corona-Pandemie und der wirtschaftlichen Folgen eine dritte Luft gegeben. Umso respektabler die Erkenntnis, es dennoch gut sein zu lassen. Dazu gehört die eiserne Willensstärke, den eigenen Machttrieb zu überwinden, mit dem alle Spitzenpolitiker in solchen Ausnahmepositionen ausgestattet sind. Das hat, auch wenn das manche nicht gerne hören, wirkliche Größe.  

Anzeige