CDU-Abgeordneter Andreas Mattfeldt - „Das politische Handeln wurde immer stärker am Mainstream ausgerichtet“

Der CDU-Bundestagsabgeordnete Andreas Mattfeldt spricht im Cicero-Interview über das Entstehen von „Werteunion“ und „Union der Mitte“. Sein Vorwurf: Die Parteiführung der Union richte sich zu sehr nach den Themen, die en vogue sind

Andreas Mattfeldt fordert konkrete Antworten von seiner Partei
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Autoreninfo

Bastian Brauns leitete das Wirtschaftsressort „Kapital“ bei Cicero von 2017 bis 2021. Zuvor war er Wirtschaftsredakteur bei Zeit Online und bei der Stiftung Warentest. Seine journalistische Ausbildung absolvierte er an der Henri-Nannen-Schule.

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Andreas Mattfeldt ist seit 2009 CDU-Bundestagsabgeordneter für den Wahlkreis Osterholz-Verden.

Herr Mattfeldt, das Thema Klima spielt derzeit die größte Rolle in der Bundespolitik. Halten Sie das für richtig?
Wir müssen angesichts der Debatte um die Klimakrise aufpassen, dass wir nicht den Blick fürs Ganze verlieren. Es gibt auch noch andere, genauso wichtige Themen. Leider wird man häufig nicht mehr gehört, wenn man zum Beispiel die kritische Lage im Pflegebereich anspricht, gerade auch mit Blick auf die Zukunft. Gerade der älteren Generation ist dies besonders wichtig. Ich will, dass wir in Würde alt werden können. Dafür halte ich es hier für zwingend erforderlich, Pflegekräfte besser zu entlohnen.

Der Klimawandel gilt als gefährlich für die Menschheit und ist wohl auch deshalb oberste Priorität.
Natürlich ist der Klimawandel ein wichtiges Thema. Aber wir stoßen auch in anderen Bereichen, wie im eben erwähnten Gesundheitsbereich, inzwischen an Grenzen. Hier wird es sogar gefährlich, denn es geht um Menschenleben. Erst kürzlich musste, wie ich einem Fernsehbeitrag entnehmen musste, die Intensivstation für Kinder an der Medizinischen Hochschule Hannover schließen, weil nicht genügend Pflegepersonal da war.

Wo kommen dann die schwerkranken Kinder hin?
Das bedeutet vermutlich dann weitere Wege. Je nachdem, was die Kinder für Erkrankungen haben, müssen sie dann nach Bremen, Oldenburg, Salzgitter oder gar nach Leipzig gebracht werden.

Über Pflege wurde und wird aber doch viel berichtet.
Wir verlieren aber den Blick fürs Ganze, weil deutschlandweit medial derzeit fast ausschließlich über den Klimawandel und nicht mehr über andere Themen gesprochen wird, die den Menschen auch unter den Nägeln brennen. Auch wenn ich kein Gesundheitspolitiker bin, bin ich nicht erst seit meine Tochter eine Ausbildung zur Krankenschwester macht für das Gesundheitsthema sensibilisiert. Aber die Gespräche, die ich seither mitbekomme, zeigen mir, dass wir hier auf einen Supergau zulaufen, weil nicht genügend junge Menschen aufgrund zu geringer Bezahlung bei zu hoher Belastung den Pflegeberuf erlernen. Angebot und Nachfrage müssen auch den Preis auf dem Arbeitsmarkt bestimmen.

Dass viele Medien sich mit dem Klimathema beschäftigen, heißt aber doch nicht, dass es auch Politiker tun müssen. Sie könnten doch andere Themen setzen?
Es liegt in der Genetik der Politiker, dass sie Themen in den Blickpunkt rücken, die medial von Interesse sind. Hiervor ist auch unsere Bundeskanzlerin nicht gefeit, die naturgemäß sehr medienaffin sein muss und sich deshalb an Themen ausrichtet, die gerade en vogue sind.

Nur wer beliebt ist, wird wiedergewählt und kann so auch gestalten. Dies scheint Angela Merkel seit 16 Jahren ganz gut gelungen zu sein.
Ich mache jetzt seit mehr als 30 Jahren Politik und bin gleichzeitig noch Unternehmer. Ich stelle aber fest, dass gerade in den vergangenen zehn Jahren das politische Handeln immer stärker am Mainstream ausgerichtet wurde. Natürlich spielen auch die sozialen Medien hier eine Rolle. Man möchte möglichst viele Likes bekommen. Ich glaube, Franz Josef Strauß sagte mal, er mache das, worauf es ankommt und nicht das, was ankommt. Ich glaube das trifft es.

Was stört sie konkret?
Wir Politiker handeln eben nicht nach Franz Josef Strauß, sondern machen häufig nur das, was ankommt. Vielen ist wichtig, dass ihr Name irgendwo auftaucht. Dafür macht man häufig jeden Quatsch mit. Man geht in Comedy-Sendungen und lässt sich durch den Kakao ziehen. Gerade junge Abgeordnete sind dafür anfällig. Ob das dem Land und den Wählern zuträglich ist, bezweifle ich.

Glauben Sie, dass dieses sich nach dem Wind Drehen dazu geführt hat, dass innerhalb der Union nun Gruppierungen wie die Werteunion oder die Union der Mitte entstanden sind?
Ich gehöre keiner dieser Gruppierungen an, weil ich glaube, dass die Union das nicht braucht. Ich halte das für albern. Wir haben in den letzten Jahrzehnten immer unterschiedliche Sichtweisen manchmal auch verbal hart diskutiert, haben aber immer einen Kompromiss gefunden. Das zeichnet die Union aus. Und ich bin sicher, hier kommen wir auch wieder hin.

Jetzt finden Sie aber offensichtlich keinen Kompromiss mehr.
Wir erleben, dass einige konservative Kräfte sich nicht mehr mitgenommen fühlen. Ich meine ganz normal in der Mittelschicht der Gesellschaft verortete Menschen, die etwa in Fragen der inneren Sicherheit härtere politische Entscheidungen fordern. Natürlich steht das alles auch in einem Zusammenhang mit dem Jahr 2015, wo täglich zigtausend Menschen unsere Grenze passieren konnten, ohne kontrolliert zu werden. Dies war mit der DNA der CDU-Wählerschaft nicht mehr vereinbar. Wenn wir ehrlich sind, hat sich die Partei bis heute davon nicht wieder komplett erholt, obwohl wir vieles im Nachhinein korrigiert haben.

Eine Antwort will nun die Werteunion geben.
Ja, natürlich hat sich die Werteunion gegründet, um gerade auch Menschen, die ich zu unserer Stammwählerschaft zähle, nicht zu verlieren. Ich sehe diese Gründung als Weckruf, stellenweise sogar als Hilferuf: Vergesst uns nicht! Es ist für einen CDU-Wähler unvorstellbar, sein Kreuz bei der AfD zu machen oder gar dorthin zu wechseln. Als Antwort auf die Werteunion hat es dann den Anschein, dass die sogenannte Union der Mitte aus Kreisen gebildet wurde, denen das Parteiprogramm der Grünen vielfach sehr nahe ist. Zur Wahrheit gehört aber: Beides sind Gruppierungen, die eher schmal organisiert sind und die der Organisationsstruktur der Unionsparteien nicht als offizielle Gliederungen angehören.

Aber sie sagen selbst, Ihre Basis tickt deutlich konservativer. Zugleich zieht die Parteiführung in Richtung grün. Zeigen diese Gruppierungen nicht, dass die blau-grünen Polaritäten auch quer durch ihre Partei gehen?
Genau das ist es. Und dieser Riss geht auch durch die ehemalige Volkspartei SPD. Auch dort hat man den Eindruck, dass die Partei folgendes diskutiert: Gehen wir nach ganz linksgrün oder müssen wir populistischer in Richtung rechts agieren? Genauso wie wir es in der Gesellschaft erleben, spiegelt es sich auch in den Volksparteien wider. Bei mir im Wahlkreis habe ich das Gefühl, dass sich ein großer Teil der Parteibasis der Werteunion näher fühlt als der Union der Mitte.

Warum gelingt Ihnen heute nicht mehr, was in den letzten Jahrzehnten offenbar gelungen ist?
Wer sich an das Aufkommen der Republikaner in den 80er Jahren erinnert, weiß, dass wir auch seinerzeit heftigste Diskussionen geführt hatten. Damals ging es immer darum, dass rechts von der Union kein Platz für eine andere Partei vorhanden sein darf. Leider haben wir der Alternative für Deutschland in bestimmten Themen einfach zu viel Platz gelassen und ganz pragmatisch denkende Bürger nicht mitgenommen, beziehungsweise haben diese unser Handeln nicht mehr verstehen können. Vielfach wundere ich mich allerdings auch, dass viele Kollegen in der Union heute nicht mehr das aussprechen mögen, was sie über viele Jahre hinweg auf Basis unseres CDU-Parteiprogrammes richtig fanden.

Was meinen Sie?
Ich selbst habe mal in einer Bundestagsrede gesagt, dass viele Menschen in Deutschland den Eindruck haben, dass wir die Kontrolle über unsere Grenzen verloren haben und wir Grenzkontrollen als souveräner Staat wieder einführen müssen. Ich wurde von da an als Konservativer unserer Partei dargestellt, zu denen ich mich bis dahin eigentlich überhaupt nicht zählte. Meine ganze Vita und wie ich meine mein Leben als wirtschaftsliberaler Unternehmer passen hierzu zwar nicht, aber das ist auch egal. Leider führt eine solche Einordnung dazu, dass man häufig nicht mehr das sagt, was man denkt, sondern fast schon unnatürlich abwägt, was man denn ausspricht. Als direkt gewählter und wirtschaftlich unabhängiger Abgeordneter lasse ich mir das nicht nehmen.

Nicht nur Sie beklagen fehlende innerparteiliche Diskussionen. Aber passt das überhaupt zur Union?
Gerade innerparteiliche Diskussion ist zwingend erforderlich. Wenn wir innerhalb der Parteien nicht mehr intensiv Meinungen abwägen, weil man Angst hat, dass eine zu konservative Meinung oder Äußerungen einer politischen Karriere nicht förderlich sind, haben wir ein echtes Problem. Ich bleibe dabei, wer sich innerparteilich nicht mehr streiten kann, wird auch keinen klaren Kompass für die Ziele der Partei entwickeln können. Im Übrigen kann man dann auch in der verbalen Auseinandersetzung mit dem politischen Mitbewerber nur noch schwerlich bestehen. Es ist Aufgabe der Parteiführung, diese innerparteilichen Diskussionen intern zu fördern. Der neue Fraktionsvorsitzende Ralph Brinkhaus lässt dieses zu und dies hat bereits innerhalb der Unionsfraktionen zu einer besseren Diskussionskultur geführt. So sieht Führung aus.

Ihre Partei wirkt beim Thema Klimaschutz dennoch nach wie vor so, als würde sie nur reagieren, aber nicht agieren. Wie klug stellt sich Ihre Parteivorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer da an?
Leider sehe ich bei allen Parteien bislang nur zu viel Aktionismus und keine Strategie mit rotem Faden, die langfristig einen Ausgleich zwischen dem wirtschaftlich machbaren und klimapolitisch notwendigen aufzeigt. Man hat den Eindruck, nahezu alle Parteien überbieten sich beim Thema Klima gegenseitig. Dabei dürfen wir nicht immer nur sagen, aus welchen versorgungssicheren Energiequellen wir aussteigen wollen, sondern wir müssen den Bürgern auch sagen, in welche modernen Energiequellen wir zukünftig einsteigen werden. Wir müssen immer ganz konkret schauen, was wir tun können und in welcher Region.

Was schwebt Ihnen den konkret vor?
Ich bin überzeugt, wir brauchen eine Wasserstoffstrategie genauso wie eine Energiespeicherstrategie. In den vergangenen Jahren haben wir Milliarden Euro in Forschung gesteckt. Das war auch vernünftig so. Seit letztem Jahr, übrigens schon vor Greta, setzen wir diese Forschungen um. Beim Thema Wasserstoff als Speicher- und Treibstoffmedium sind wir zum Beispiel heute viel weiter als vor zwei Jahren. Gerade weil ich glaube, dass die Aufgabe der Energiewende so riesig ist, kann es klug sein, ein eigenes Energieministerium für diese Aufgabe einzusetzen. Diesen Vorschlag habe ich der Vorsitzenden Annegret Kramp-Karrenbauer auch unterbreitet.

Die Elektrifizierung des Verkehrs, aber auch die Herstellung von Wasserstoff wird unseren Strombedarf massiv erhöhen. Schon jetzt sind die Strompreise die höchsten Europas. Wenn wir aus der Kohle rausgehen, müssten wir dann nicht eigentlich in der Kernkraft bleiben vorerst? Die AfD zumindest fordert das inzwischen.
Wenn es wirklich so schlimm um uns steht, wie die Klima-Aktivisten und auch die angebliche Mehrheit der Wissenschaftler sagen, dann stirbt die Menschheit ja anscheinend sehr bald den CO2-Tod. Deshalb kann es nur klug sein, CO2-arme- oder CO2-neutrale Energien einzusetzen. Nur erneuerbare Energien alleine, das sagen selbst Grüne in der Kohlekommission, werden nicht ausreichen. Neue hochmoderne Kernkraftwerke mit weniger Endmüll können natürlich eine Lösung sein. Wenn Sie so etwas aber aussprechen, bekommen Sie einen Shitstorm. Das musste selbst Greta erleben. Die Grünen sind immer gut, wenn es um Ausstiege geht, aber nicht wenn es um Einstiege geht. Wir müssen uns schon die Frage stellen, woher denn der Strom, wenn wir ihn nicht selbst produzieren, kommen soll? Wenn er dann aus polnischen Kohlekraftwerken kommt, mag zwar die deutsche Seele beruhigt sein, die CO2-Bilanz hat sich damit aber nicht verändert.

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