AfD - „Es war wie in einer Sekte"

Franziska Schreiber ist nach vier Jahren aus der AfD ausgestiegen. Warum sie sich heute für ihr Engagement schämt und ihr der Austritt trotzdem schwer gefallen ist, erläutert sie im Interview. Sie wundert sich auch, warum der Verfassungsschutz die Partei im Osten nicht beobachtet

Protest- oder Regierungspartei? Mit ihrem Austritt stellte Frauke Petry die Weichen für die Radikalisierung der AfD / picture alliance
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Autoreninfo

Antje Hildebrandt hat Publizistik und Politikwissenschaften studiert. Sie ist Reporterin und Online-Redakteurin bei Cicero.

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Auf ihrem T-Shirt steht „No one stays the same“. Franziska Schreiber, 27, sitzt im Hof der Bundespressekonferenz vor einer Cola. Gerade hat sie hier ihr Buch vorgestellt: „Inside AFD: Der Bericht einer Aussteigerin." Es erzählt davon, wie sie als Vorsitzende und Pressesprecherin der Jungen Alternative (JA) in Sachsen und als Mitglied im Bundesvorstand des AfD-Nachwuchses so weit in eine Parallelwelt abrutschte, dass sie es nicht mehr aushielt und 2017 aus der Partei austrat. Schreiber lebt in Dresden. Der Politik hat sie den Rücken gekehrt. Sie arbeitet als Redakteurin für ein Online-Portal. 

Frau Schreiber, Ihr Buch heißt „Inside AFD“: Der Bericht einer Aussteigerin. Das klingt nach Enthüllungen über eine Sekte.  
Der Effekt ist beabsichtigt. „Inside" suggeriert ja, dass es sich um einen Raum handelt, in den nicht jeder reinkommt, und ein bisschen so ist es auch mit der AfD. Ihre sektenartigen Strukturen sind auffällig. Das beginnt schon beim Anwerben. 

Was meinen Sie damit? 
Mit neuen Mitgliedern hat man sich erstmal in einer kleinen Gruppe getroffen. Diese Treffen liefen immer nach demselben Schema ab: Man hat ihnen viele Fragen gestellt, um ihnen zu zeigen, dass man sich für sie interessiert. Plötzlich hat einer dem Neuling widersprochen, nur damit die anderen dem Neuling beipflichten konnten. So hat man das Gefühl erzeugt: Hier bist Du aufgehoben. 

In Ihrem Buch bezeichnen Sie die Partei als rassistisch, nationalistisch, revisionistisch und fremdenfeindlich. Sie waren vier Jahre lang selber Mitglied, im Bundesvorstand und für die Pressearbeit der Jugendorganisation der AfD in Sachsen zuständig. Fällt die Kritik nicht auch auf Sie zurück?  
Klar, fällt die Kritik auch auf mich zurück. Ich habe mich bemüht, in dem Buch auch meine eigenen Fehler zu reflektieren. 

Franziska Schreiber

Sie kommen aus einer Familie, die sich selbst als weltoffen bezeichnet. Ihr Großvater war SPD-Mitglied, Ihre Mutter steht den Grünen nahe. Was hat die AfD für Sie so attraktiv gemacht, dass Sie ihr 2013 beigetreten sind? 
Linke und Grüne argumentieren häufig sehr emotional. Das hat mich abgeschreckt. Bei der AfD hatte ich dieses Gefühl am Anfang nicht. Ihr Gründer, Bernd Lucke, hat immer faktenorientiert und sachlich gesprochen. Dieser professorale Stil hat mir gefallen. Ich glaube, ich habe mich mit der AfD von meiner Familie abgegrenzt.  

Mit welchen Inhalten hat die Partei Sie angesprochen? 
Die AfD war neu, das war wichtig. Als ich 2009 das erste Mal wählen durfte, hatte ich CDU und FDP gewählt. Gerade die Liberalen haben mich dann aber enttäuscht. Die hatten auf Bürgernähe gesetzt. Davon habe ich dann aber leider gar nichts gemerkt. Die AfD hat versprochen, die kleinen Leute zu entlasten und die Bürokratie abzubauen. Das hat mich angesprochen.   

Wann haben Sie gemerkt: Das geht in eine ganz andere Richtung?
Das war 2015, als Frauke Petry Bernd Lucke als Parteivorsitzenden abgelöst hat. Die Leute, die gegen Lucke geschossen hatten, haben auf einmal gegen Petry geschossen. Und da habe ich gemerkt: Okay, hier geht es gar nicht darum, Bernd Lucke loszuwerden. Die meisten Mitglieder wollen jemanden an der Spitze sehen, der knallhart nationalistische Töne anschlägt. Jemanden wie Björn Höcke oder Alexander Gauland. 

Wieso sind Sie nicht schon damals ausgetreten? 
Ich hatte den Ehrgeiz, mich zu vernetzen, um ein Gegengewicht zu diesem Teil zu bilden und das Schlimmste zu verhindern. 

Mit Frauke Petry als Vorbild? 
Genau. Die Frau ist hochintelligent, hat Selbstbewusstsein und weiß, was sie will. Sie ist dabei sehr bodenständig und klar in ihren Aussagen. 

Wieso hat ihr das alles am Ende nichts genützt?
Was sie überhaupt nicht hat, ist diplomatisches Geschick und ein Gespür dafür, was Menschen emotional brauchen im Gespräch. Sie kann nicht mit Menschen umgehen. 

Hat Petry als Frau aus dem Osten einen Sympathie-Bonus gehabt? 
Für die AfD-Mitglieder bestimmt. Der Osten galt ja als sowieso als mutiger. Den Menschen wird nachgesagt, sie seien noch nicht so angepasst und trauten sich mehr. Siehe PEGIDA. 

In Ihrem Buch schreiben Sie, die AfD im Osten hätte schnell eine andere Entwicklung genommen als im Westen. Woran machen Sie das fest?
Die Funktionäre im Osten sagen Dinge, die im Westen keiner sagen würde. 

Sie spielen auf die Rede von Björn Höcke an, der das Holocaust-Mahnmal als Schandmal bezeichnete?
Ach, noch schlimmer fand ich seine Lehre von den verschiedenen Menschentypen bei Afrikanern. Die orientiert sich ja an der Rassentheorie des Nationalsozialismus. Sowas geht echt nur im Osten. 

Warum? 
Weil vielen die demokratische Erziehung fehlt. Die politischen Tabus müssen aber für Ost- und Westbürger die gleichen sein.   

Aber Herr Höcke ist im Rheinland aufgewachsen. 
Echt? Ich dachte, der lebt schon immer in Thüringen. Aber auch die Pegida-Bewegung wird immer mit Dresden assoziiert, obwohl die Teilnehmer aus dem ganzen Bundesgebiet angereist sind, aus Berlin, Bayern oder Nordrhein-Westfalen. 

Apropos Pegida –  die Patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes. In Sachsen liegt der Ausländeranteil gerade mal bei 4,4 Prozent. Woher rührt der Fremdenhass, wenn es kaum Fremde gibt?
Dem Osten fehlen die vielen positiven Erfahrungen, die der Westen mit Integration gemacht hat. 

Nehmen Sie sich da selbst aus?
Nein, gar nicht. Wie viele andere in meiner Generation hatte ich auf dem Höhepunkt der Flüchtlingswelle zum ersten Mal Kontakt mit Arabern. Ich weiß noch, wie ich mit 16 nach Berlin gefahren bin und an einem Bankschalter von einem arabisch aussehenden Mann bedient wurde. Ich habe mich gefragt, wie ich den ansprechen sollte. Ich habe es mit Englisch probiert. Dabei habe ich hinterher erfahren, dass der sogar berlinert.

Syrische Bürgerkriegsflüchtlinge wurden 2015 mit offenen Armen empfangen. Dagegen fühlen sich viele der 18 Millionen Ostdeutschen immer noch als Bürger zweiter Klasse. Ist der Hass auf Flüchtlinge so etwas wie ein Racheakt an der Bundesregierung? 
Der Bundeskanzlerin würden sie es vielleicht nicht anlasten, die kommt ja selber aus dem Osten. Es ist aber schon ein Racheakt am Westen. Die Menschen haben mit dem Hass auf Flüchtlinge ein Machtinstrument entdeckt, mit dem sie ihren Unmut ausdrücken können. 

Sie sind Jahrgang 1990 und kennen die DDR nur aus Erzählungen. Gibt es trotzdem etwas, was Sie von Wessis unterscheidet?
Ja, natürlich. Ich erinnere mich zum Beispiel daran, dass mir meine Großmutter und meine Mutter immer gesagt haben, dass ich nicht antworten sollte, wenn mich Lehrer nach meiner politischen Meinung befragen. Man dürfe niemandem vertrauen. Diese Angst, dass einen der Staat abhört, die haben die Leute mit ins wiedervereinigte Deutschland genommen. 

Und diese Angst ist das größte Kapital der AfD, schreiben Sie. 
Ja, es ist diese Angst vor allem Neuen und das Gefühl, dass immer alles schlimmer wird. Leute, die so denken, findet man geballt bei der AfD. Das macht das Klima unerträglich. Es ist nur Gemecker. 

Aber diese Angst vor dem sozialen Abstieg gibt es doch auch im Westen. 
Natürlich. Aber im Osten ist sie weiter verbreitet. Es ist eine Folge der Erfahrungen in der DDR. Jeder Nachbar hätte ein Spion sein können. So entsteht Misstrauen. 

Und das macht sich die AfD zunutze? 
Ja, aber das war von Bernd Lucke nicht so geplant. Der wurde von dieser Entwicklung in den Landesverbänden der neuen Bundesländer selber überrollt. 

In Ihrem Buch schreiben Sie, dass viele AfD-Mitglieder aus rechtsextremen Verbindungen kamen, einige sogar aus dem NSU-Umfeld. Warum, glauben Sie, hat der Verfassungsschutz da nicht mal genauer hingeguckt? 
Das frage ich mich bis heute. Es hat ja einige Treffen zwischen Frauke Petry und Verfassungsschutzchef Hans-Georg Maaßen gegeben. Frau Petry hat mir erzählt, Herr Maaßen hätte ihr sogar Tipps gegeben, was sie machen sollte, damit der Verfassungsschutz die AfD in Thüringen nicht beobachtet. Zum Beispiel sollte sie ein Parteiausschlussverfahren gegen Björn Höcke einleiten. 

Herr Maaßen bestreitet das heute. 
Das wundert mich nicht. Es ist doch ein Unding, wenn eine Behörde solche Warnungen ausspricht und damit verhindert, dass sie selbst aktiv wird. 

Schon der NSU-Prozess hat ein merkwürdiges Licht auf den Verfassungsschutz geworfen. Er hat V-Männer finanziert, die in engem Kontakt zu dem vermeintlichem Mördertrio Uwe Bönhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe standen. 
Das würde erklären, warum die AfD in Thüringen bis heute nicht beobachtet wird. Das ist ein Skandal. Dieser Landesverband ist der radikalste. Wer Björn Höcke widerspricht, wird niedergemacht. Es ist wie in einer Sekte.  

In Thüringen steht auch die Wiege der NSU. Ist das ein Zufall? 
Glaube ich nicht. Einige NSU-Mitglieder haben sich der Identitären Bewegung angeschlossen. Und die haben auch Anschluss an die Jugendbewegung der AfD gesucht.  

Trotzdem haben Sie gesagt, Sie hielten Alexander Gauland für noch gefährlicher als Björn Höcke. Warum?Weil er so niedlich wirkt, wie ein tüdeliger Opa. Man denkt, der haut nur aus Versehen Sachen raus ...

... wie den Satz, das Dritte Reich sei nur ein Vogelschiss in der Geschichte gewesen. Meint der das wirklich so, wie er es sagt? Oder geht es ihm nur darum, Aufmerksamkeit zu provozieren?
Der meint das ernst. Der hat ein Gespür dafür entwickelt, was die Basis hören will.

Damit hat die AfD zwar Pluspunkte bei den Wählern gewonnen. Mit 17 Prozent liegt sie jetzt nur noch knapp hinter der SPD. Aber wer will mit einer Partei eine Regierung bilden, die kein anderes Thema außer dem Flüchtlingsthema hat?
Die AfD de-intellektualisiert sich. Die Leute, die das mittragen, haben nicht den weitesten Horizont. Die machen aus reiner Empörungslust mit. Das schaukelt sich hoch. Es ist chick, aufs Establishment zu scheißen. 

Manövriert sich die AfD damit nicht in eine Sackgasse?
Das hängt davon ab, welches Ziel sie hat. Auf dem Parteitag in Köln wurde klar gesagt, man habe keine Lust, mit irgendjemandem zu koalieren, auch nicht langfristig. Sie will eine reine Protestpartei bleiben. 

Als Pressesprecherin der Jugendorganisation der AfD haben Sie das Spiel der Partei jahrelang mitgespielt. Sie haben sogar Holocaust-Leugner in Schutz genommen. 
Das habe ich nie getan. 

Sie haben auf Facebook geschrieben, den Holocaust zu leugnen, gehöre zur Meinungsfreiheit. 
Ich habe gesagt, dass dieses Leugnungsverbot den Verschwörungstheoretikern in die Hände spiele, weil sie es in ihre Verschwörungstheorien miteinbauen.  

Aber in Ihrem Buch schreiben sie auch, Sie hätten bewusst Fakten verdreht, um Aufmerksamkeit zu erreichen.
Wenn man Erfolg in einer Partei haben will, macht man da eben mit. 

Man widerspricht auch nicht, wenn Parteigenossen nach Ihrer Darstellung im Buch äußern, sie würden sich wünschen, dass es endlich einen Terroranschlag gibt? 
Es gab viele solcher Momente des Selbstekels. Aber dann denkt man an die vielen Leute, die man in der Partei kennt. Mein ganzes Sozialleben hat sich dort abgespielt. Ich hatte kaum noch Kontakt zu anderen Leuten. Man lebt wie in einer Filterblase. Eine Zeit lang geht das gut. Aber dann wird der Leidensdruck zu hoch. Du merkst: Du bist nicht mehr Du selbst. 

Wann war bei Ihnen der Punkt erreicht?
Nach dem Terroranschlag auf den Breitscheidtplatz in Berlin. Da haben viele AfD-Mitglieder geschrieben, endlich hätten sich ihre Befürchtungen bestätigt. Mitgefühl für die Opfer? Null. Das hat mich angewidert. Ich sah mich genötigt, auf der die Facebookseite der Jugendorganisation der AfD zu schreiben: „Keine Häme nach außen.“ Das war mein moralisches Empfinden. Aber ich musste es als Taktik verkaufen. 

Trotzdem hat es noch neun Monate gedauert, bis Sie offiziell ausgetreten sind ... 
... zusammen mit Frauke Petry. Die konnte sich nicht mit ihrem Antrag durchsetzen, die AfD regierungsfähig zu machen. Es war der letzte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Ich hatte keine Lust mehr, Dinge zu verteidigen, hinter denen ich nicht stand. 

War es nicht eher so, dass sie mit dem Austritt Ihrer Mentorin Ihre Felle wegschwimmen sahen? 
Nein, das war das Ergebnis eines langen Prozesses der Entfremdung. Ich habe jetzt nach der Veröffentlichung meines Buches erfahren, dass ich damit nicht allein bin. Es gibt viele Mitglieder des gemäßigten Flügels, die unter dieser kognitiven Dissonanz leiden. Aber entweder haben die Angst vor dem Verlust ihres Soziallebens. Oder sie sagen: Wenn wir gehen, haben die Radikalen gewonnen. 

Wie hat sich dieses Zerrissen-Sein bei Ihnen geäußert?
Ich bin sehr reizbar geworden. Meine Familie konnte gar nicht mehr mit mit reden. Beim leisesten Vorwurf bin ich an die Decke gegangen. Um den Stress zu kompensieren, habe ich mich mit Essen vollgestopft und viel getrunken. Am Ende hatte ich 30 Kilo zugenommen. Die sind jetzt aber wieder runter. 

Warum haben Sie jetzt ein Buch über ihre Erfahrungen in der AfD  geschrieben?
Für mich war das wie eine Therapie. 

Stellenweise liest es sich eher so, als wollten sie ihr schlechtes Gewissen erleichtern. 
Das war für mich nicht ausschlaggebend. Ich stehe nicht in der Öffentlichkeit. Ich hätte auch leise gehen können. Am Ende macht man es sowieso niemandem Recht. 

Wer soll das Buch denn lesen?
Menschen, die mit der Faust in der Tasche die AfD wählen. Ich wünsche mir auch, dass es das eine oder andere Mitglied liest. Einige Rückmeldungen habe ich schon bekommen. Mir haben Bekannte gesagt, sie seien auch ausgetreten. 

Was sagt die Partei dazu? 
Von der Leitung kam keine Reaktion. Es gab aber versteckte Morddrohungen in den sozialen Medien. „Pass auf Dich auf, Du weißt, dass Du gefährlich lebst.“ Ein GIF zeigte eine Frau, die am Galgen baumelt. 

Nehmen Sie so etwas ernst? 
Eigentlich nicht. Es wäre PR-technisch dämlich, wenn sie mir was antun würden. Ich hoffe, dass sie noch bis zwei denken können. 

Bereuen Sie es, der Partei beigetreten zu sein?
Schwere Frage. Ich habe in der AfD viele Dinge getan, die ekelhaft waren. Die Zeit hat mir aber gezeigt, wer ich bin und wer ich sein möchte. Insofern tu ich mich mit dem Bereuen schwer.

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