ALG Q - Teures Placebo statt Wundermittel

Mit dem „Arbeitslosengeld Q“ erhoffen sich die SPD und Martin Schulz den großen Sprung. Kritiker sehen in dem Konzept jedoch eher eine Brücke zur Frühverrentung auf Kosten der Sozialkassen. Und das ist nicht das einzige Problem

Mit dem „ALG Q“ will Martin Schulz Wahlen gewinnen / picture alliance
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Alexander Marguier ist Chefredakteur von Cicero.

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„ALG Q“: So heißt in Kurzfassung das Wundermittel, mit dem die SPD Wahlen gewinnen möchte. Die Abkürzung klingt sogar ein bisschen wie ein medizinischer Wirkstoff, in der Langfassung wird daraus allerdings ein Begriff aus dem arbeitsmarktpolitischen Wortschatzkästchen mit den üblichen Komposita aus Fordern und Fördern: „Arbeitslosengeld Qualifizierung“. Bei genauerer Betrachtung handelt es sich jedoch um ein teures Placebo, an dessen Wirkung man vor der Verabreichung schon sehr fest glauben muss, damit überhaupt irgendetwas passiert.

Eine neue ABM-Maßnahme?

Nutzen soll „ALG Q“ denn auch vor allem den Sozialdemokraten, welche zur Stimmenmaximierung im Wahlkampf die im linken Lager verhasste Agenda 2010 zurückdrehen wollen, ohne dass es allzu sehr nach einem reinen Retro-Programm aussieht. Deswegen die verheißungsvolle Ergänzung „Q“, denn Qualifizierung ist natürlich erst einmal eine prima Sache in einer vom rasenden Fortschritt angetriebenen Arbeitswelt. Der Staat als Garant für lebenslanges Lernen, das könnte ja durchaus gut passen zu einer ambitionierten Sozialpolitik für das 21. Jahrhundert. Wenn es doch nur nicht bloß eine reine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme für die Fort- und Weiterbildungsindustrie wäre. Und genau darauf läuft es hinaus.

Laut Beschluss des SPD-Vorstands wird mit dem „ALG Q“ ein Rechtsanspruch auf Weiterbildung geschaffen, der künftig auch ohne Ermessensentscheidung der Arbeitsagentur bestehen soll. Wer nach drei Monaten in der Arbeitslosigkeit keine neue Beschäftigung gefunden hat, dem muss die Bundesagentur für Arbeit (BA) also eine Weiterbildungsmaßnahme anbieten – und zwar unabhängig davon, ob die BA das für sinnvoll erachtet oder nicht. Wurde die Dauer dieser Qualifikationsmaßnahme bisher zur Hälfte auf die Zahldauer des Arbeitslosengelds I (ALG I) angerechnet, so soll nach dem Willen der SPD in Zukunft das „ALG Q“ in Höhe des ALG I während der gesamten Qualifikation weitergezahlt werden, ohne dass sich die bestehende Anspruchsdauer auf ALG I verringert.

Qualifizierung für den Ruhestand

Wer also bisher Anspruch auf zwölf Monate ALG I hatte und eine einjährige Qualifizierungsmaßnahme absolviert, soll künftig insgesamt 24 anstatt bisher 18 Monate lang ALG I erhalten. Weil die Bezugsdauer von ALG I bei Personen ab 50 Jahren schrittweise auf 24 Monate steigt, könnte demnach ein über-58-Jähriger insgesamt vier Jahre lang ALG I beziehen. Das wäre dann gewissermaßen eine Qualifizierung für den bevorstehenden Ruhestand – weshalb Kritiker im „ALG Q“-Konzept auch nichts anderes sehen als eine Brücke zur Frühverrentung, und zwar auf Kosten der Sozialkassen. Ob auf diese Weise die von Martin Schulz beklagte „Gerechtigkeitslücke“ geschlossen werden kann, ist eher fraglich.

Zumal noch weitere Ungereimtheiten hinzukommen. Während die SPD die Kosten für „ALG Q“ auf maximal eine Milliarde Euro pro Jahr beziffert, prognostizieren Wirtschaftsforschungsinstitute ein Vielfaches davon. Womit noch längst nicht klar ist, ob das Geld auch sinnvoll investiert würde. Der Arbeitsmarktexperte und VWL-Professor Stefan Sell etwa stellt die Frage, was für Qualifizierungsmaßnahmen denn laut dem Willen der SPD künftig angeboten werden müssten: „Ist damit eine abschlussbezogene berufliche Weiterbildungsmaßnahme gemeint, die natürlich erst einmal richtig teuer kommt, weil sie einen neuen oder überhaupt einen Berufsabschluss ermöglicht? Oder reicht das Angebot eines drei- oder viermonatigen Computer- und Internetkurses, der von vielen Teilnehmern als Zumutung erlebt wird?“

Pseudo-Optimierung für den Wahlkampf

Darüber hinaus bezweifelt Stefan Sell, dass die Bundesagentur für Arbeit (geht es nach der SPD, soll sie in „Bundesagentur für Arbeit und Qualifizierung“ umbenannt werden) „nach der inhaltlichen Entleerung und dem fachlichen Downgrading beim Personal wirklich noch qualifiziert ist, Menschen zu qualifizieren“. Für Sell gehört das „ALG Q“ jedenfalls in die Rubrik „Simulation von Verbesserungen“. Solcherlei Pseudo-Optimierungen sind zwar in Wahlkämpfen nichts Neues – man denke nur an die Mütterrente oder die Autobahn-Maut. Aber ernsthafte Lösungen für bestehende Probleme wären sicherlich besser geeignet, um das Vertrauen der Bürger in die Politik zurückzugewinnen.

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