AfD-Störaktion im Bundestag - Diese Partei hat keine Gratis-PR verdient

In einer aktuellen Stunde hat der Bundestag die AfD für die Übergriffe der YouTuber bei der Novelle des Infektionsschutzgesetzes gerügt. Damit sind die Politiker wieder in die alte Falle getappt. Denn der AfD geht es nicht um den Diskurs, sondern um Aufmerksamkeit.

Ehrliche Entschuldigung oder rituelle Heuchelei ? Alexander Gauland / dpa
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Antje Hildebrandt hat Publizistik und Politikwissenschaften studiert. Sie ist Reporterin und Online-Redakteurin bei Cicero.

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Dieser Kommentar sollte hier eigentlich nicht stehen. Denn wer will sich schon die Kritik gefallen lassen, er springe über jedes Stöckchen, das ihm die AfD hinhalte – egal, wie kritisch er über ihre neueste Provokation berichte? Der Partei ist es am Ende wurscht, wie über sie berichtet wird. Für sie zählt nur, dass über sie berichtet wird. Es geht um Aufmerksamkeit.

Die bekam die Partei heute gratis. In einer Aktuellen Stunde befasste sich der Bundestag mit der Stör-Aktion von YouTubern am Rande der Debatte über das Infektionsschutzgesetz am Mittwoch. An dem Tag war plötzlich eine Handvoll Aktivisten mit ihren Handy-Kameras in die heiligen Hallen der Demokratie geplatzt und hatte Politiker bedrängt, gegen die Novelle zu stimmen. Die AfD hatte es möglich gemacht; einen Besucherausweis, mehr brauchten die ungebetenen Gäste nicht, um den Laden aufzumischen. 

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Alle gegen einen 

Ein Aufschrei der Empörung hallte durchs Haus. Und das Echo hallt noch immer nach. Der Deutschlandfunk kündigt die „Aktuelle Stunde“ an, als wäre etwas passiert, was die Nation an den Rand eines Abgrundes geführt hätte. Dabei sind es dann wieder nur die üblichen Gefechte, die im Parlament ausgetragen werden. CDU, SPD, Grüne, Linke und FDP, alle sind sich einig, dass die AfD diesmal aber wirklich zu weit gegangen sei. 

Von „Nazis“ ist die Rede und davon, dass AfD-Abgeordnete Kollegen aus anderen Fraktionen bedrohten: „Ihr Körnerfresser – euch kriegen wir auch noch!“ Es passiert dann, was immer passiert. Die Eskalationsspirale schraubt sich hoch. Auf dem Höhepunkt brüllt der AfD-Politiker Armin Paul Hampel: „Ich lasse mich nicht als Nazi beschimpfen.“ Und spätestens jetzt lacht sich die Social-Media-Abteilung der AfD ins Fäustchen. 

Der Opferstatus als Markenkern 

Endlich hat sie bekommen, was sie will. Den Nazi-Vergleich. Er muss als Beweis dafür herhalten, dass die Partei eben keiner mag. Dass sie das Schmuddelkind ist, mit dem keiner spielen, geschweige denn regieren will. Ein Opfer. 

Es ist der Markenkern der Partei, die sich als Sprachrohr der Beleidigten, Zu-kurz-Gekommenen und Frustrierten versteht. Alle ihre Kampagnen laufen darauf hinaus, den Widerstand der anderen zu provozieren, um sich am Ende selbst zum Opfer zu stilisieren. So gesehen mag ihre Aktion mit den YouTubern wieder gezeigt haben, wie dilettantisch ihre Abgeordneten Intrigen einfädeln.

Zündstoff für die Regierung 

PR-technisch aber war sie ein voller Erfolg. Was ist schon eine Rüge des Ältestenrates oder des Bundestags gegen die Reichweite, die die AfD bekommt, wenn junge YouTuber gratis Werbung für ihren Widerstand gegen das Infektionsschutzgesetz machen? Wenn sie sich in eigenen Videos als Märtyrerin feiern kann? 

Das Timing für die Aktion war kein Zufall. Kaum ein Gesetz der Nachkriegszeit ist so umstritten wie das Infektionsschutzgesetz. Es setzt Grundrechte der Bürger vorübergehend außer Kraft. Aber wie lange dieses „vorübergehend“ dauert, kann noch keiner sagen. Für die Regierung birgt das Zündstoff.

Die Stunde der Opposition 

Denn ihr Krisenmanagement überzeugt immer weniger. Die Nerven der Bürger liegen blank. Sie verlangen Rechenschaft darüber, warum die Politik das öffentliche Leben in ein künstliches Koma versetzt hat. Auch die Opposition im Parlament ist aus ihrer Duldungsstarre erwacht. Und so schlägt die Stunde der AfD. 

Tausende Menschen aus der ganzen Republik sind am Mittwoch angereist, um vor dem Reichstagsgebäude gegen die Novelle des Infektionsschutzgesetzes zu demonstrieren. Querdenker haben schon seit Tagen auf allen Social-Media-Kanälen dazu aufgerufen, nach Berlin zu kommen. Diese neue APO samt der dazugehörigen Wutbürger ist die Zielgruppe der AfD. 

Ein Schlupfloch ins Parlament 

Und in dieser aufgeheizten Atmosphäre öffnen zwei AfD-Abgeordnete YouTubern ein Schlupfloch ins Parlament. Der Bundestag richtet sich an diesem Tag auf den Ernstfall ein. Erst Ende August war es Demonstranten gelungen, Absperrgitter zu überwinden und die Treppen zum Reichstagsgebäude hochzulaufen. Nur drei Polizisten standen noch zwischen der Tür und der Menschenmenge. Solche Bilder will das Parlament vermeiden. 

Alarmstufe rot im Bundestag 

Es bekommt dafür ganz andere. Plötzlich stehen da ungebetene Gäste im Bundestag und im Jakob-Kaiser-Haus. Sie haben keine Waffen, aber Handy-Kameras. Sie beschimpfen Wirtschaftsminister Peter Altmaier als „Arschloch“ oder als „kleiner Wannabe-King“.

Sie stellen sich dem grünen Fraktionschef Anton Hofreiter und dem innenpolitischen Sprecher der FDP, Konstantin Kuhle, in den Weg. Sie verschaffen sich Zugang zu Abgeordneten-Büros. Videos dieser Überfälle laden sie schon im Internet hoch, während der Bundestag noch berät.

Alles Idioten in der Regierung 

Die Botschaft der Videos ist eindeutig: Wir waren drin. Wir haben die Polizei und die Ordner ausgetrickst. Wir haben diesen Altmaier und seine Kollegen so richtig vorgeführt. So, liebe Leute, sieht unsere Regierung aus. Alles Idioten.

Wir, das sind eine Handvoll YouTuber und Blogger. Die Aktion fällt aber auf die Partei zurück, die den Aktivisten an diesem besonderen Tag Zugang zu den Gebäuden verschafft hat: die AfD – genauer: die beiden Bundestagsabgeordneten Petr Bystron und Udo Hemmelgarn.

Eine eindeutige Distanzierung klingt anders 

Bystron gehört dem völkischen Flügel der Partei an, Hemmelgarn steht den Reichsbürgern nahe. Man weiß nicht, ob sie auf eigene Faust gehandelt haben, oder ob die Aktion mit der Parteispitze abgesprochen war. Am Ende ist das aber auch fast egal. 

Noch am Abend der Aktion sagt der Parlamentarische Geschäftsführer der AfD, Bernd Baumann, seiner Fraktion lägen keine Erkenntnisse vor, dass AfD-Abgeordnete unbefugte Personen in den Bundestag eingeschleust hätten. „Sollten Gäste, die von einzelnen Abgeordneten regulär angemeldet worden seien, gegen die Hausordnung verstoßen haben, werden wir diesen Vorwürfen nachgehen.“ Aber dieses Beschwichtigen gehört zum Spiel der AfD. 

Lügen und Ausflüchte 

Die beiden AfD-Fraktionschefs Alice Weidel und Alexander Gauland entschuldigen sich für den Vorfall. Aber wer soll ihnen das glauben, wenn sie behaupten, die beiden Abgeordneten Udo Hammelgarn und Petr Bystron treffe keine Schuld? Der eine hat zwar eingeräumt, er hätte zwei YouTuber eingeladen, aber angeblich nicht gewusst, was sie dort vorhatten.

Und der andere hat schlichtweg die Unwahrheit gesagt. Dem Cicero hatte Bystron noch am Donnerstagvormittag gesagt, er habe Rebecca Sommer nicht eingeladen. Nur zwei Stunden später ruderte er zurück. Ihm blieb nichts anderes übrig. Die Bundestagspolizei hatte seinen Namen als Gastgeber der YouTuberin auf ihrer Liste entdeckt. 

Angriff aufs Herz der Demokratie 

Die anderen Parteien im Bundestag kennen das Spiel die AfD. Und doch gehen sie ihr immer wieder auf den Leim. Natürlich war die Aktion mit den YouTubern ein Tabubruch. Aber das ist das Geschäftsmodell der AfD. Der Versuch, Abgeordnete zu beeinflussen, sei ein Angriff auf das „Herz der Demokratie“, so haben es Politiker von SPD, CDU, Linken, Grünen und FDP fraktionsübergreifend formuliert. 

Sie wären gut beraten gewesen, die Ereignisse nüchtern zu analysieren, um den Vorfall nicht größer zu machen, als er ist. Diese Art von Werbung in Form einer Aktuellen Stunde hat diese Oppositionspartei nicht verdient. 

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