AfD-Spitzenduo Weidel/Chrupalla - Meuthens Niederlage

Die Mitglieder der AfD haben sich in einer Mitgliederbefragung klar für Alice Weidel und Tino Chrupalla als Spitzenkandidaten für die Bundestagswahl entschieden. Für Parteichef Jörg Meuthen bedeutet das einen Rückschlag.

Das Spitzenduo der AfD 2021: Alice Weidel und Tino Chrupalla am Dienstag in Berlin / dpa
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Moritz Gathmann ist Chefreporter bei Cicero. Er studierte Russistik und Geschichte in Berlin und war viele Jahre Korrespondent in Russland.

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Die AfD-Basis hat gesprochen: Fraktionschefin Alice Weidel und Co-Parteichef Tino Chrupalla führen die Partei als Spitzenduo in den Bundestagswahlkampf. Bei einer Mitgliederbefragung bekam das Team mehr als 71 Prozent der Stimmen, wie die AfD am Dienstag bekanntgab. Joana Cotar und Joachim Wundrak erhielten gut 24 Prozent der Stimmen. Allerdings nahmen an der Online-Abstimmung nur 48 Prozent der rund 32.000 AfD-Mitglieder teil.

Das Ergebnis spricht dennoch eine deutliche Sprache: Die Partei-Basis hat das von Co-Parteichef Jörg Meuthen ins Rennen geschickte Duo Cotar/Wundrak klar abgelehnt. Das liegt weniger an den sich gemäßigt positionierenden Kandidaten an sich, sondern eher daran, dass sie für das Meuthen-Lager standen. Denn seit letztem Jahr ist die Partei tief gespalten: Auf der einen Seite stehen Jörg Meuthen und ein großer Teil der Parteiführung in den westlichen Landesverbänden, auf der anderen Seite die östlichen Landesverbände, die sich gegen Meuthens konfrontativen Kurs gegenüber Björn Höcke und andere Flügel-Vertreter stellen. Der Teil der Partei, der sich selbst als Teil des Flügels sieht oder zumindest der Meinung ist, dass völkische und rechtsradikale Positionen zur AfD gehören, hat nun seine Muskeln gezeigt.

Meuthen-Lager hat schwache Kandidaten

Man kann Jörg Meuthen immerhin zugutehalten, dass er das Desaster kommen sah: Der AfD-Parteichef hatte sich dafür eingesetzt, für seine Partei ein „Duo der Versöhnung“ zur Bundestagswahl zu schmieden: ein Kandidat aus seinem Lager, einer aus dem seiner Gegner. Dagegen sperrte sich aber sowohl sein Co-Parteichef Tino Chrupalla, mit dem er in inniger Feindschaft die Partei führt, als auch Alice Weidel, die sich eine führende Rolle in der Partei erhalten will, obwohl sie über keine eigene Machtbasis verfügt.

Gegen die bekannten Gesichter Weidel und Chrupalla konnte das Meuthen-Lager nur wenig aufbieten: Die Bundestagsabgeordnete Joana Cotar ist in der Partei relativ unbekannt, steht im Bundesvorstand aber treu an Meuthens Seite, der Drei-Sterne-General Joachim Wundrak ist erst seit 2019 öffentlich in der AfD aktiv, in Niedersachsen kandidiert er auf Listenplatz 1 für den Bundestag.

Der Parteichef hat sich verrechnet

Der heutige Tag beweist aufs Neue, dass Jörg Meuthen sich im innerparteilichen Machtkampf verrechnet hat: Er verweist gerne auf die stabile Mehrheit, über die seine „Gemäßigten“ im Bundesvorstand verfügen. Dort steht Meuthen mit einer Übermacht von acht Stimmen gegen Chrupalla, Weidel, Stephan Brandner und Stephan Protschka. In einer von Funktionärsdenken geprägten Partei könnte Meuthen mit einer derartigen Mehrheit „durchregieren“. Aber die auch im achten Jahr ihrer Existenz basisdemokratisch geprägte Partei versetzt Meuthen einen Rückschlag nach dem anderen.

Zu den Fehlern Meuthens gehört auch seine Überzeugung, dass er eine Partei, in der seit über einem Jahr offen um die Macht gekämpft wird, von Brüssel aus lenken kann: Meuthen, seit 2015 einer der beiden Parteichefs, sitzt seit 2017 im Europa-Parlament. Auch bei der diesjährigen Bundestagswahl wird er nicht antreten.

Partei weiter gespalten

Auf einer Pressekonferenz am Dienstag war Weidel und Chrupalla die Genugtuung über ihren innerparteilichen Sieg anzusehen. Chrupalla beschrieb seinen Kurs als „integrativen“ und das Ergebnis als „Signal für ein Ende der innerparteilichen Richtungsdebatte“. Das Votum sei eine „Mahnung für uns, dass wir uns zu einen haben“. Aus der Sicht Chrupallas und seiner Unterstützer steht Jörg Meuthen mit seinem Bemühen, AfD-Mitglieder mit rechtsradikaler Vergangenheit wie Andreas Kalbitz auszuschließen, für die Spaltung der Partei.

Dass die Partei jedoch auch vier Monate vor der Bundestagswahl fern jeder Einigung steht, zeigt die Situation im Landesverband Niedersachsen: Der wird seit letztem Jahr von einem Vertreter des Chrupalla-Lagers geführt, bei der Listenaufstellung für die Bundestagswahl setzten sich jedoch durchgängig Vertreter des Meuthen-Lagers durch. Der Versuch, diese Liste zu annullieren, wurde von den Kreisverbänden mit der Einberufung eines Sonderparteitags torpediert, auf dem Mitte Mai der Landesvorstand abgewählt werden sollte. Wegen Überfüllung des Saals bei der AfD darf jedes Parteimitglied an Landesparteitagen teilnehmen – musste der jedoch abgebrochen werden.

Mit „neuer sozialer Frage“ und Dexit in den Wahlkampf

Das nun gewählte Spitzenduo will mit der „neuen sozialen Frage“ in den Wahlkampf ziehen, wie Weidel sagte: So bezeichnet sie „die Gefährdung hunderttausender Arbeitsplätze“ durch die Corona-Maßnahmen und die Abwanderung von Humankapital durch den auf Umweltschutz orientierten Umbau der Wirtschaft. Aber auch der „Dexit“ steht im vor kurzem beschlossenen Wahlprogramm. Zur Frage eines möglichen deutschen EU-Austritts sagte Tino Chrupalla am Dienstag in der lapidaren Art eines Malermeisters: „Ein totes Pferd kann man nicht ewig reiten.“

Für die Bundestagswahl peilt die AfD Alice Weidel zufolge eine Verbesserung ihres Ergebnisses von 2017 an, also mehr als 12,6 Prozent. Derzeit steht die Partei in Umfragen zwischen zehn und zwölf Prozent.

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