Andreas Kalbitz und die Milzriss-Affäre - Eine bsoffene Gschicht? 

Weil er seinen Stellvertreter mit einem Fausthieb schwer verletzt hat, muss Andreas Kalbitz sein Amt als brandenburgischer AfD-Fraktionschef endgültig ruhen lassen. Kalbitz spricht von einem „Missgeschick“. Doch das dürfte ihn nicht retten.

Folgenschwerer Boxhieb: Was ist passiert zwischen Andreas Kalbitz und seinem kommissarischen Stellvertreter Dennis Hohloch? dpa
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Antje Hildebrandt hat Publizistik und Politikwissenschaften studiert. Sie ist Reporterin und Online-Redakteurin bei Cicero.

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Ein Fausthieb hat das Ende der politischen Karriere von Andreas Kalbitz besiegelt. Er traf seinen Nachfolger Dennis Hohloch in den Bauch. Nein, man hat sich nicht verlesen. Der kommissarische Chef der brandenburgischen AfD-Fraktion liegt jetzt im Krankenhaus. Milzriss lautet die Diagnose. Die Staatsanwaltschaft Potsdam prüft, „ob ein Anfangsverdacht wegen fahrlässiger Körperverletzung vorliegt.“ Im Kalbitz-Lager ist von einem freundschaftlichen „Boxhieb in die Seite“ die Rede, der heftig ausgefallen sei.  

Von einem „Missgeschick“ spricht Kalbitz, von einer „Verkettung unglücklicher Umstände“. Dagegen hatten seine Kritiker kolportiert, der Chef des Flügels hätte Hohloch krankenhausreif geprügelt. 

Das Timing ist ungünstig für Kalbitz 

Was da wirklich vorgefallen ist, werden die Ermittlungen zutage fördern. Doch auf das Ergebnis will die AfD Brandenburg nicht warten. Am Dienstag hat sie vollendete Tatsachen geschaffen. Nach einer Fraktionssitzung hat Andreas Kalbitz erklärt, dass er sein ohnehin ruhendes Amt als Fraktionschef endgültig ruhen lassen werde. 

In Brandenburg wird das als sicheres Indiz dafür gewertet, dass der Chef des inzwischen aufgelösten völkischen Flügels zumindest im Landtag keinen Fuß mehr in die Tür der Partei bekommen wird. Das Timing für die Enthüllung dieser haarsträubenden Geschichte kommt für ihn denkbar ungünstig.

An diesem Freitag entscheidet das Landgericht Berlin im Eilverfahren, ob er Rechtsschutz für seine Klage gegen seinen Parteiausschluss bekommt. Ende Juli hatte der Bundesvorstand seine Mitgliedschaft mit knapper Mehrheit aberkannt, weil Kalbitz bei seinem Eintritt in die Partei 2013 angeblich verschwiegen hatte, dass er in früheren Jahren Mitglied der inzwischen verbotenen rechtsextremen „Heimattreuen Deutschen Jugend“ (HDJ) gewesen sein soll. 

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Der Rückhalt für Kalbitz bröckelt

Mit einer endgültigen Entscheidung des Berliner Landgerichtes wird zwar nicht vor einem Jahr gerechnet. Und in Brandenburg schließt man nicht aus, dass Kalbitz ein zweites Mal gewinnt, nachdem dasselbe Gericht schon Ende Juni die Annullierung seiner Parteimitgliedschaft für unzulässig erklärt hatte.

Theoretisch könnte er dann als einfacher Abgeordneter in den Landtag zurückkehren. Doch den Roten Teppich rollen sie ihm dort nicht mehr aus. Im Gegenteil, nach der Milzriss-Meldung ist die Unterstützung im Kalbitz-Lager erheblich gebröckelt. Es heißt, auch die stellvertretende Landesvorsitzende in Brandenburg, Birgit Bessin, und der AfD-Abgeordnete und Vorsitzende des rechtsextremen Vereins „Zukunft Heimat“, Christoph Berndt, seien von ihm abgerückt. Kalbitz habe nur deshalb endgültig auf den Vorsitz verzichtet, weil ihm die Fraktion keine andere Wahl mehr gelassen habe. Sogar der Co-Vorsitzende der Bundes-AfD, Tino Chrupalla, bislang ein konsequenter Unterstützer des Flügel-Chefs, nennt seinen Rückzug „konsequent und richtig.“

Die „Gurkentruppe“ lehnt sich auf   

Steffen Königer hat das überrascht. Der ehemalige AfD-Landtagsabgeordnete war 2018 aus der Partei ausgetreten, aus Protest „gegen den autoritären Führungsstil von Kalbitz“, „die Führungsunfähigkeit von Gauland und Meuthen“ und „destruktive Tendenzen in der Partei“, wie er sagt. Heute beschreibt er die Fraktion als „Gurkentruppe“, die von Kalbitz nach dem Prinzip regiert werde: „Wer nicht für mich ist, ist gegen mich. Und den mache ich kaputt.“ 

Wer sich dem Chef „mit Kadavergehorsam“ untergeordnet habe, wer nicht mit der Wimper gezuckt habe, wenn ihn Kalbitz vor anderen zusammengefaltet habe, dem hätten alle Türen offen gestanden. Dennis Hohloch, 31, Lehrer an einer Spandauer Schule, sei so einer gewesen. Freundlich, gebildet, beliebt bei seinen Schülern, sagen die einen. Ein strammer AfD-Mann, sagen die anderen. Einer, der 2018 im Trauermarsch von Chemnitz mitgelaufen und gegen Tatverdächtige gekeilt hat, „die vor 2015 nicht in unserem Land waren.“ 

Ausraster nach exzessivem Weißweinkonsum   

Königer sagt, Hohloch habe „den Bulldozer für Kalbitz gespielt“ und die Jugendorganisation (JA) der AfD in Brandenburg auf seine völkische Linie getrimmt. Als Dankeschön dafür habe der Fraktionschef ihm in den Landtag geholfen. So sei es immer gelaufen. So habe sich Kalbitz ein Netzwerk von Menschen geschaffen, die auch dann stillhielten, wenn er hinter geschlossenen Türen mal wieder völlig ausgerastet sei.  

Königer spricht von „exzessivem Weißweinkonsum“ und davon, dass der geschasste Fraktionschef manchmal schon vormittags betrunken gewesen sei. „Seine Mitarbeiter haben ihm dann Wasser in den Wein gekippt, damit er die Veranstaltung am Abend noch durchhielt.“ Dass Kalbitz ausgerechnet seinem Zögling in die Magengrube geboxt haben soll, kann sich Königer nur so vorstellen. „Wenn er betrunken war, hat er schon mal die Kontrolle über seine Reflexe verloren.“ Er sagt, als Erklärung für den Schlag in die Milz hätte Kalbitz auch sagen können, das sei „so eine bsoffene Gschicht“ gewesen. „Aber dazu fehlte ihm der Mut.“ 

Verbaler Faustschlag in die Milz von Kalbitz 

Das Netzwerk. Kai Laubach spricht vom „System Kalbitz“. Er sagt, das Erfolgsgeheimnis des Flügels sei die Arbeitsteilung zwischen Kalbitz und Björn Höcke gewesen: „Höckes Job war es, für öffentliche Erregung zu sorgen. Kalbitz hat das Netzwerk kontrolliert.“ 

Kai Laubach ist dieser Tage ein gefragter Interviewpartner. Auch er gehört zu den Männern, die einst von Kalbitz gefördert worden sind. 2017 holte er ihn als Grundsatzreferent in die Fraktion. Der diplomierte Betriebswirt und Chef des rechten Mode-Labels „Deutsches Gewand“ reagiert gereizt, wenn man ihn auf seine Vergangenheit in der Identitären Bewegung anspricht. Er sagt: „Ich hab einzelne Aktionen mitgemacht.“ 

„Andreas, bitte geh!“  

In der AfD Brandenburg gilt er als kluger Kopf. Jetzt hat er die Personaldebatte über Andreas Kalbitz mit einem Facebook-Post ins Rollen gebracht. Dieser Post ist mit einem Appell betitelt: „Andreas, bitte geh!“ Er enthält schwere Anschuldigungen gegen den Flügel-Chef. Und er ist in einem Ton geschrieben, der erahnen lässt, wie in Brandenburgs AfD miteinander gesprochen wird. Man kann sagen: Es ist ein verbaler Faustschlag in die Milz von Kalbitz.

Auch Laubach schreibt von „einem unkontrollierten, besoffenen Verhalten.“ Aber er geht noch weiter. Der zurückgetretene AfD-Fraktionschef hätte Hohloch „beinahe fahrlässig getötet“. Er habe ausgerechnet „den Jungen in den Dreck gezogen, der dir in den letzten stürmischen Wochen immer politischen Rückhalt, Freundschaft und Treue entgegengebracht hat.“ Er habe auch noch versucht, politisches Kapital aus der Geschichte zu ziehen, indem er seinen partei-internen Kritikern eine „Schmutzkampagne“ gegen ihn unterstellte. Andreas Kalbitz will sich nicht öffentlich zu den Vorwürfen äußern. „Ich werde Äußerungen auf dem Niveau von vulgären Beschimpfungen und persönlichen Hasstiraden nicht kommentieren", sagt er auf Anfrage von Cicero

Ohrfeige für einen AfD-Bundestagsabgeordneten 

Es sei nicht das erste Mal gewesen, dass Kalbitz gegenüber Parteifreunden handgreiflich geworden sei, sagt Laubach. Kurz, nachdem ihn sein Mentor ihn in die Fraktion geholt habe, sei er bei einem Treffen in einer Kneipe Zeuge geworden, wie er einem gestandenen AfD-Bundestagsabgeordneten mitten im Gespräch plötzlich „eine gelangt habe“ – und das ohne erkennbaren Anlass. „Eine Unterwerfungsgeste“, mit der er ihn, den Neuling in der Fraktion, wohl beeindrucken wollte, sagt er heute. „Damals habe ich es einfach auf den Alkohol geschoben.“ 

Völlig betrunken und gewalttätig habe er seinen Chef danach noch häufiger erlebt, schreibt Laubach auf Facebook. Und er schildert, wie Kalbitz einem jüngeren Mitarbeiter namens Kevin 2019 bei einer Fraktionsklausur „in die Fresse geschlagen“ habe, weil der ein Telefongespräch abrupt beendet habe. „Schleimige Kröte“. „Parteikrebs“. „Mickriger Charakter“. Das sind so Etiketten, die er seinem Ex-Chef anhängt. 

Den richtigen Zeitpunkt verpasst 

Was man eben sagt, wenn man seine Wut lange unterdrückt hat. In den eigenen vier Wänden. So etwas auf Facebook zu veröffentlichen, zeugt nicht von gutem Stil. Aber Laubach bleibt dabei. Er habe jedes Wort „wohl gewählt“, sagt er. Schließlich wollte er der Partei die Augen dafür öffnen, wie Kalbitz ihn und andere tyrannisiert habe. Und eine andere Sprache als diese verstünden die Anhänger von Kalbitz nun mal häufig nicht. 

„Besorg dir Personenschutz", haben ihm Freunde geraten. Laubach sagt, er habe keine Angst. Diesen Triumph gönne er Kalbitz nicht. Aber warum hat er sich erst jetzt aus der Deckung gewagt, obwohl er doch, wie er sagt, schon nach einem Jahr „innerlich gekündigt“ hatte? Laubach sagt, er habe lange darauf gewartet, dass andere die Initiative ergreifen. Vielleicht zu lange. „Ich bin überzeugt, dass jetzt der richtige Zeitpunkt war.“ 

Die Angst der AfD vor dem Verfassungsschutz 

Wohl war. Die Angst vor einer Beobachtung durch den Verfassungsschutz geht in der Partei um. Sie trägt einen Namen: Andreas Kalbitz. Auch deshalb ist er in der AfD jetzt so isoliert, dass ihm vermutlich auch ein Erfolg vor Gericht kaum noch nützen würde. Laubach sagt es nicht ohne Genugtuung. Und was, wenn die Kalbitz-Getreuen doch wieder umkippen? Es wird für einen Moment still am Ende des Telefons.

Dann sagt Kai Laubach: „Die Milzriss-Affäre dürfte als Grund für einen neuen Parteiausschluss reichen.“  

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