AfD-Parteitag - Showdown im schnellen Brüter

Der AfD-Vorsitzende Jörg Meuthen greift in seiner Rede auf dem Bundesparteitag offen die Radikalen und ihre Schutzherren in der Partei an. Er will die AfD vor Beginn des Superwahljahres auf einen moderaten Kurs bringen. Scheitert er wie zuvor Lucke oder Petry?

AfD-Bundessprecher auf dem Bundesparteitag im nordrhein-westfälischen Kalkar / dpa
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Autoreninfo

Moritz Gathmann ist Chefreporter bei Cicero. Er studierte Russistik und Geschichte in Berlin und war viele Jahre Korrespondent in Russland.

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„Debatten über einen vermeintlichen realpolitischen und einen vermeintlichen fundamentaloppositionellen Flügel, aus meiner Sicht sowieso eine komplett trügerische Wahrnehmung, helfen uns da kein Jota weiter.“ Das sagte Jörg Meuthen auf dem Parteitag seiner Partei im April 2017 in Köln, damals wie heute in der Rolle des Bundessprechers.

Doch seine damalige Rolle war seiner heutigen völlig entgegengesetzt: 2017 wurde die zweite Parteivorsitzende Frauke Petry öffentlich gedemütigt, weil sie die Partei kurz vor der Bundestagswahl auf einen moderaten Kurs einstimmen und Radikalinskis wie den Thüringer Landesvorsitzenden Björn Höcke ausschließen wollte. Dreieinhalb Jahre später, im stillgelegten Schnellen Brüter nahe dem nordrhein-westfälischen Kalkar, der heute als Veranstaltungsort genutzt wird, ist es Meuthen, der sich wenige Monate vor der Bundestagswahl gegen die Fundamentalopposition in der Partei wendet.

Meuthens Überraschungsangriff

Der Parteitag ist eine gute Stunde alt, da startet Meuthen vor den 600 Delegierten völlig überraschend seinen Generalangriff auf die Vertreter des (offiziell aufgelösten) Flügels und deren Schutzherren im Bundesvorstand der Partei. Gerade noch hatte Meuthens Co-Bundessprecher Tino Chrupalla die Einheit der Partei beschworen, nun kritisiert Meuthen diese Forderung als „leere Worthülse“. Die AfD benötige nicht nur „Gemeinsamkeit an inhaltlichen Positionen, sondern auch an sozialen Verhaltensweisen und gemeinsamem oder jedenfalls kompatiblem Sprachgebrauch.“

Konkret prangert Meuthen den Gebrauch des Begriffes „Corona-Diktatur“ an: „Wir leben in keiner Diktatur, sonst könnten wir diesen Parteitag heute wohl auch kaum abhalten. Und die Behauptung, es sei anders, stellt im Grunde die Systemfrage und bringt uns ohne jede Not in ein Fahrwasser, das uns massiv existentiell gefährdet“, sagt Meuthen. Das ist ein kaum versteckter Angriff auf den Fraktionschef und Ehrenvorsitzenden Alexander Gauland, der im Bundestag von der Corona-Diktatur gesprochen hatte.

Meuthen wendet sich gegen jene, die von „außerparlamentarischer Opposition und Systemwechsel schwärmen.“ Die könnten „gerne weiter Revolution oder Politkasperle spielen“, sollten das aber „woanders tun, nicht in der AfD“. „Wir werden nicht mehr Erfolg erzielen, indem wir immer aggressiver, immer derber, immer enthemmter auftreten“, so Meuthen, „sonst verliere man viele Menschen, die sich nach einer Alternative zur Politik Merkels sehnen.“

Attacke gegen Ehrenvorsitzenden Gauland

Meuthen will mit seiner Rede offenbar eine Entscheidung in einem Streit herbeiführen, dessen erneuten Ausbruch er in diesem Jahr herbeigeführt hatte: Sollte die AfD die Radikalen aus der Partei werfen – oder besteht gerade im Zusammenspiel von Leuten wie Björn Höcke und den „Gemäßigten“ das Erfolgsrezept der AfD? Für Letzteres stand seit der Gründung der Partei Alexander Gauland. Diejenigen, die es anders sahen, sind regelmäßig gescheitert und in der politischen Bedeutungslosigkeit verschwunden: 2015 Bernd Lucke, 2017 Frauke Petry.

Meuthen hatte den Kampf aufgenommen, als er im Frühjahr mit seiner Mehrheit im Bundesvorstand der Partei den Rauswurf des Rechtsaußen Andreas Kalbitz durchsetzte. Seitdem stehen ihm dort unversöhnlich Fraktionschefin Alice Weidel, Meuthens Co-Sprecher Tino Chrupalla und der Thüringer Stephan Brandner gegenüber. Mit Gauland hat Meuthen auch den Ehren- und zweiten Fraktionsvorsitzenden gegen sich.

Im Phoenix-Interview direkt nach der Rede schießt Gauland scharf zurück. Meuthens Auftritt sei „in Teilen spalterisch“ gewesen. „Man muss bis zuletzt um die Einheit kämpfen“, sagt der einzige „Gründervater“ der AfD, der bis heute in der Partei ist. Auch Meuthens Angriff gegen die Verbrüderung der AfD mit der Bewegung gegen die staatlichen Corona-Maßnahmen weist Gauland zurück: Das sei „viel zu undifferenziert, das alles für Leute zu halten, die spinnen.” Das hatte Meuthen allerdings auch nicht behauptet.

Weidel macht den Abgang

Nach Gauland tritt eine eisig lächelnde Alice Weidel vor die Kameras, die sich zu der Nichtaussage durchringt, sie hätte sich „mehr programmatische Aspekte gewünscht.“ Meuthens Rede habe sie dennoch „nicht als Angriff verstanden.” Am Ende bricht sie in bewährter Manier das Interview ab, als der Moderator den Begriff „sozial-nationalistisch“ für die Ausrichtung des Flügels in der Sozialpolitik tituliert.

Mit großer Spannung erwartet der Parteitag nun die Wahlen in den Bundesvorstand, die überraschenderweise noch am Samstagabend abgehandelt werden. Würden Meuthens Gegner es als Chance nutzen, um ihm den scharfen Angriff zu vergelten? Darauf deutet eine Abstimmungsniederlage über den Antrag auf ein "bedingtes Grundeinkommen" von 500 Euro für deutsche Staatsbürger hin, den Meuthen ausdrücklich unterstützt hatte.

Meuthen baut seine Mehrheit im Bundesvorstand aus

Aber dann marschieren Meuthens Kandidaten durch. Carsten Hütter wird zum neuen Bundesschatzmeister gewählt, zu seinem Stellvertreter Christian Waldheim. Beide setzen sich knapp gegen Kandidaten des Flügels durch. Auch in der Nachfolge von Andreas Kalbitz kann sich knapp Meuthens Kandidatin Joanna Cotar durchsetzen - gegen den Kandidaten Maximilian Krah, den der sächsische Landesverband ins Rennen geschickt hatte. Damit hat Meuthen seine Mehrheit im Bundesvorstand nun sogar noch ausgebaut: Seine Gegner bringen es nur noch auf vier, Meuthen kommt auf zehn Stimmen.

Weitgehend in der Bedeutungslosigkeit verschwindet vor dem Hintergrund von Meuthens Rede das mit klarer Mehrheit beschlossene Renten- und Sozialkonzept der AfD: Nach sieben Jahren Existenz schließt die AfD damit diese programmatische Leerstelle. Das Konzept bestätigt bei der Rente das bestehende Umlagesystem, die Familienpolitik bekommt einen "patriotischen" Einschlag: Für ein Kind mit deutschem Pass und mit Lebensmittelpunkt in Deutschland soll der Staat bis zum 18. Lebensjahr 100 Euro auf ein Sparkonto einzahlen.

Der Parteitag beweist zwei Dinge: Jörg Meuthen hat anders als seine glücklosen Vorgänger Lucke und Petry für seinen gemäßigten Kurs eine knappe Mehrheit in der Partei. Das könnte sich allerdings ändern, wenn die Wahlen im nächsten Jahr zu Misserfolgen werden. Zum anderen hat der Flügel mit Kalbitz' Parteiausschluss einen wichtigen Mehrheitenbeschaffer verloren: Während Höcke auf den Parteitagen eher passiv wirkt, war Kalbitz derjenige, der in den Delegiertenreihen für die Mehrheiten sorgte.

Eine Chance, sich an Meuthen zu rächen, haben die Delegierten übrigens noch: Am Sonntag wird ein Antrag des Rechtsaußen Dubravko Mandic behandelt, der den Parteitag auffordert, "Meuthens spalterisches Gebaren zu missbilligen."

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