AfD im Bundestag - Frostiger Empfang

Die Neulinge von der AfD erwartet im Bundestag eine unfreundliche Begrüßung, das war auch bei den Grünen und der PDS nicht anders. Doch statt mit kleinlichen Geschäftsordnungstricks sollten die anderen Parteien den nationalistischen Tönen inhaltlich entgegentreten

Erschienen in Ausgabe
Mit dem Alterspräsidenten hat es schon nicht geklappt, jetzt soll mit Albrecht Glaser immerhin ein AfDler Bundestagsvizepräsident werden / picture alliance
Anzeige

Autoreninfo

Dr. Hugo Müller-Vogg arbeitet als Publizist in Berlin. Er veröffentlichte zahlreiche Bücher zu politischen und wirtschaftlichen Fragen, darunter einen Interviewband mit Angela Merkel. Der gebürtige Mannheimer war von 1988 bis 2001 Mitherausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.

So erreichen Sie Hugo Müller-Vogg:

Anzeige

Sie werden unter der Reichstagskuppel bereits erwartet, die 94 neu gewählten Abgeordneten der Alternative für Deutschland (AfD). Aber nicht als willkommene Neulinge, sondern voller Verachtung, wenn nicht gar mit Abscheu. Im Frühsommer hat der alte Bundestag mit den Stimmen der Großen Koalition noch ganz schnell eine Tür zugenagelt, damit ja kein Rechtspopulist sie durchschreiten kann – die zum Stuhl des Alterspräsidenten. 

Dieses zeremonielle Amt – der Alterspräsident eröffnet nur die konstituierende Sitzung des neu gewählten Parlaments – stand traditionell dem an Lebensjahren ältesten Parlamentarier zu; Ende Oktober wird es erstmals von dem Abgeordneten mit der längsten Zugehörigkeit zum Bundestag ausgeübt. Das wird Bundes­finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) sein und nicht der zwei Jahre ältere AfD-Abgeordnete Wilhelm von Gottberg. Der schien der Bundestagsmehrheit wegen seines Parteibuchs und umstrittener Äußerungen zum Holocaust nicht würdig. Allerdings stand das so nicht in der verschwurbelten Begründung des Beschlusses. 

Grüne und PDS erlitten dasselbe Schicksal

Die AfD kann sich also auf einen frostigen Empfang einrichten. Genaueres darüber, wie das Hohe Haus mit unerwünschten Schmuddelkindern umgeht, könnten die Neulinge von altgedienten Kollegen der Grünen und der Linkspartei alias PDS erfahren. Auch die wurden von den etablierten Parteien – demokratische Wahl hin, Wählerwille her – erst einmal ausgegrenzt. Und zwar nach allen Regeln der Geschäftsordnungskunst.

Als die Grünen 1983 mit 28 von damals 530 Abgeordneten in den Bundestag einzogen, kam das im alten Bonner Plenarsaal einem Kulturschock gleich – bärtige Männer in Latzhosen und Frauen in langen Röcken und selbst gestrickten Pullovern. Es war aber nicht nur die feste Absicht der neuen Fraktion, mit allen Regeln des Protokolls zu brechen, die das Bonner Estab­lishment erregte. Vizepräsidentin Annemarie Renger befürchtete vielmehr die Wiederkehr der für den Weimarer Reichstag charakteristischen Turbulenzen.

Parlament verändert auch in umgekehrte Richtung

So schlug das Bonner Imperium zurück, wo immer es nur konnte. Es verstand sich von selbst, dass die unerwünschten Neuen keinen Sitz im Bundestagspräsidium bekamen. Ebenso wenig gestanden CDU/CSU, SPD und FDP dieser Anti-Parteien-Partei einen Sitz in den mit geheimdienstlichen Fragen befassten Ausschüssen zu. Viele Konservative sahen in den Grünen ohnehin von Ostberlin gesteuerte U-Boote. (Dass ein Grünen-MdB tatsächlich Stasi-IM war, stellte sich erst nach 1990 heraus.) Vorstellungen aus der Union, die Grünen durch einen Krawattenzwang bekleidungsmäßig zur Raison zu bringen, machte der gegenüber der „grünen Gefahr“ recht entspannt agierende Parlamentspräsident Rainer Barzel (CDU) jedoch nicht mit.

Die Grünen haben zwar den Bundestag verändert, aber das Parlament zivilisierte auch sie. Gleichwohl hielt die formale Quarantäne bis 1994 an. Nach dem knappen Wahlsieg der christlich-liberalen Koalition ahnte der damalige CDU/CSU-Fraktionschef Wolfgang Schäuble, dass die Union vielleicht doch einmal die Grünen als Partner brauchen könnte. So sorgte er gegen den Willen der SPD dafür, dass die Grünen mit Antje Vollmer zum ersten Mal eine Vizepräsidentin stellen durften. Die Geheimdienste beaufsichtigen durften sie fortan auch.

Verachtung, ja teilweise Hass

Nicht besser, sondern noch schlechter ging es der SED-Nachfolgepartei PDS, als diese nach den Einheitswahlen 1990 ebenfalls ins Bonner Bundeshaus einzog. Deren Abgeordnete fielen zwar nicht durch unbotmäßige Bekleidung auf. Auch protestierten sie nicht wie einst die Grünen während einer Kohl-Rede mit einem Transparent vor dem Rednerpult. Aber selbst um Fairness bemühten westdeutschen Abgeord­neten fiel es schwer, ehe­mals hochrangige Funktionsträger des SED-Staates wie den Wahlfälscher Hans Modrow als Demokraten unter Demokraten zu respektieren oder zumindest zu akzeptieren.

Den Abgeordneten der PDS schlug stattdessen Verachtung, ja teilweise Hass entgegen. Von einem normalen parlamentarischen Arbeitsverhältnis konnte in den beiden Wahlperioden von 1990 bis 1998 keine Rede sein. Lange Zeit gehörte es zum Ritual, dass die meisten Bundestagsabgeordneten den Plenarsaal demonstrativ verließen, sobald ein PDS-Redner das Wort ergriff. Die verbliebenen sparten nicht mit Zwischenrufen, die die PDS-Mandatsträger direkt für das Unrecht in der DDR verantwortlich machten, und überschütteten sie mit Häme wegen der desolaten Lage der DDR-Wirtschaft. Als der für die PDS in den Bundestag gewählte Schriftsteller Stefan Heym 1994 als Alters­präsident amtierte, druckte die Regierung Kohl/Kinkel die Rede nicht im amtlichen Bulletin ab.

Späte Anerkennung

Parteiübergreifende Betroffenheit über das vergiftete Klima löste indes 1992 der Selbstmord des thüringischen Abgeordneten Gerhard Riege, SED-Mitglied seit 1946, aus. Als dessen Spitzeltätigkeit für die Stasi bekannt wurde, nahm er sich das Leben. In seinem Abschiedsbrief an seine Frau hieß es, er habe Angst gehabt vor dem Hass, der ihm im Bundestag entgegenschlage.

Anders als bei den Grünen gestand die Mehrheit der PDS einen Bundestagsvizeposten zu, nachdem sie 1998 Fraktionsstärke erreicht hatte. Doch 2005 demütigten vor allem Abgeordnete der CDU/CSU den PDS-Kandidaten Lothar Bisky, indem sie ihn vier Mal bei der Wahl durchfallen ließen. Als von 1998 an Rot-Grün regierte, wurde die PDS deutlich besser behandelt; schließlich war die Partei im Osten längst zum Koalitionspartner der SPD aufgestiegen. Auch nahm Kanzler Schröder ganz selbstverständlich Vertreter von PDS wie Grünen auf Auslandsreisen mit, was Kohl stets abgelehnt hatte.

AfD nicht in Märtyrerstatus bestärken

Die Gaulands, Weidels und Meuthens können sich also darauf einstellen, dass man ihnen das parlamentarische Leben möglichst schwer machen wird. Falls die alten Parteien an der bewährten Praxis festhalten, jeder Fraktion einen Vizepräsidenten zuzugestehen, würde ein AfD-Abgeordneter künftig Sitzungen leiten und etwaige Ordnungsrufe erteilen. Bei den Altparteien gibt es aber Pläne, die Zahl der Vize­präsidenten des Bundestags so weit zu verringern, dass die AfD selbst als drittstärkste Partei nicht im Bundestagspräsidium vertreten sein würde. Das wäre nicht nur eine offenkundige Trickserei; es würde die AfD auch in ihrem Märtyrerstatus bestärken.

Käme es am Ende doch noch zur Neuauflage der Großen Koalition, stünde der AfD als größter Oppositionsfraktion der Vorsitz im wichtigen Haushaltsausschuss zu. Um das zu verhindern, würde eine Anti-AfD-Mehrheit wohl an der Geschäftsordnung herumbasteln.

Im neuen Bundestag werden AfD-Abgeordnete versuchen, die Parlamentsmehrheit mit nationalistischen oder rechtsradikalen Tönen zu provozieren, sie werden austesten, wie viel parlamentarisch an Ausländerfeindlichkeit gerade noch geht. Doch statt mit kleinlichen Geschäftsordnungstricks sollten die anderen Parteien solchen Versuchen inhaltlich klar und kompromisslos entgegentreten. Womöglich erlebt der Bundestag aber auch eine Wiederholung einer anderen Entwicklung der achtziger Jahre. Rainer Barzel stellte in seinen Memoiren fest, die ständigen Provokationen Joschka Fischers von den Grünen wären nach einiger Zeit verpufft, weil der „bald seine Kraft und Intelligenz den Querelen innerhalb seiner Gruppe zuwenden musste“. Mit innerfraktionellem Streit muss auch bei der AfD gerechnet werden.

Dieser Text stammt aus der Oktober-Ausgabe des Cicero, die Sie in unserem Online-Shop erhalten.

 

 

 

 

Anzeige