AfD und Grüne - Die Angstethiker

AfD und Grüne sind im Umfragehoch. Dabei sind die einen das Feindbild der anderen. Trotzdem haben sie viele Gemeinsamkeiten. Sie präsentieren sich als „Alternativen“, sind wertkonservativ und leidenschaftliche Gesinnungsethiker. Ihr erstes Opfer ist die Freiheit. Von Matthias Heitmann

Nur eine Seite der Medaille: Grüne und AfD gerieren sich beide als Warner vor den Auswüchsen der Moderne / picture alliance
Anzeige

Autoreninfo

Matthias Heitmann ist freier Publizist und schreibt für verschiedene Medien. Kürzlich hat er das Buch „Entcoronialisiert Euch! Befreiungsschläge aus dem mentalen Lockdown“ veröffentlicht. Seine Website findet sich unter www.zeitgeisterjagd.de.

So erreichen Sie Matthias Heitmann:

Anzeige

Während sich sowohl die Unterscheidbarkeit als auch die Popularität der einstigen Volksparteien auf immer neue Tiefststände zubewegt, profitieren zwei Parteien von dieser Entwicklung. Ihre Namen nennt man nur selten in einem Atemzug: die AfD und die Grünen, die der SPD den Rang als zweitstärkste Partei abspenstig zu machen drohen. Interpretiert werden diese politischen Verschiebungen als Folge der zunehmend profillosen, weichgespülten und unglaubwürdigen Volksparteien. Fast meint man, Erleichterung darüber zu verspüren, dass nach Jahren der Alternativlosigkeit diese Ära nun ein Ende finden könnte mit dem Erstarken zweier entgegengesetzter Formationen. Doch diese Hoffnung auf eine Wiederbelebung der politischen Kultur ist leider unbegründet. Denn das Interessante an beiden Parteien sind weniger ihre Unterschiede als vielmehr ihre überaus Gemeinsamkeiten. Die sind aber auch problematisch.

Grün und Blau: Angst aus politischer Überzeugung

Bei der Frage, warum Grüne und AfD Politik machen, finden sich viele Gemeinsamkeiten. Diese ergeben sich aus einer verbreiteten Angst vor der Zukunft und führen dazu, dass sich beide Parteien als Warner und Mahner vor den Auswüchsen der Moderne gerieren. Aus dieser moralisch erhöhten Position heraus ist die gesinnungsethisch unterfütterte Herangehensweise an Konflikte und Herausforderungen ein beliebtes stilistisches Mittel. Lediglich in den konkreten Ausprägungen dieser Zukunftsangst unterscheiden sich die Parteien: Während die Grünen traditionell auf die Gefahren durch Umweltzerstörung und Klimaveränderung fokussieren, konzentriert sich die AfD vor allen Dingen auf das Migrationsthema. Man könnte auch sagen: Während Grüne vor den Fluten polaren Schmelzwassers warnen, befürchtet die AfD die Überflutung des Abendlandes durch subtropische Menschenmassen.

In mehr als 35 Jahren haben die Grünen ihre Politik in allen gesellschaftlichen Bereichen verankert und treten entsprechend professionell auf. Die AfD steht dagegen erst am Anfang dieser Entwicklung. Wie das viel diskutierte „ZDF-Sommerinterview“ mit dem AfD-Chef Alexander Gauland deutlich machte, bestechen die Deutschalternativen derzeit nicht durch breite politische Konzepte und Visionen für gesamtgesellschaftliche Veränderungen. Stattdessen suchen sie ihr Heil in der Konzentration auf Schlüsselthemen. Das kann man kritisieren – ein Blick in die Geschichte der grünen Partei macht aber deutlich, wie wenig neu oder gar spektakulär diese Strategie ist.

Vaterland vs. Mutter Natur

Parallelen zwischen den Grünen und der AfD zeigen sich auch an ihrem Auftreten in der medialen Öffentlichkeit. Die Feststellung, die AfD versuche mit markigen und provokanten Aussagen Aufmerksamkeit zu erregen und sich als Themensetzer zu positionieren, ist sicherlich richtig. Doch auch dies eignet sich nicht zum Vorwurf, denn mit genau dieser Taktik schafften es die jungen Grünen, ihr nicht minder apokalyptisches Weltbild in die Mitte der Gesellschaft hineinzutragen. Interessant ist zudem, dass beide Parteien ihre Provokationskultur mit anti-elitärem Vokabular auskleiden, es zugleich aber mit einer gehörigen Portion Staatsgläubigkeit kombinieren: Im grünen Denken ist „Otto Normalverbraucher“ das Objekt der Umerziehung von oben. Dieser habe jedes Gespür und jede Verbindung zu „Mutter Natur“ verloren. Bei der AfD dominiert hingegen die Überzeugung, man müsse den „deutschen Michel“ aus seinem Tiefschlaf wecken, damit er nicht von fremden Kräften überrannt wird.

Beide Erziehungskonzepte ähneln sich in ihren Grundstrukturen frappierend: Sie unterstellen den Menschen Realitätsblindheit und eine nicht zu rechtfertigende Naivität hinsichtlich der Zukunft des Landes beziehungsweise der Welt. Überraschend ist das nicht. Schon seit ihrer Gründung im Jahr 1980 haben bei den Grünen antimoderne, wertkonservative und eher national oder regional orientierte Haltungen eine politische Heimat gefunden. Mit dem Zerfall linker Strömungen haben sich wertkonservative und globalisierungskritische Haltungen als stilbildend bei den Grünen etabliert.

Heimatschutz ist ein urgrünes Anliegen

Die Übereinstimmungen zwischen grünem und AfD-Klientel zeigen sich auch im Verhältnis zum Megatrend Globalisierung. Beide Gruppen sehen sich als Vertreter der Globalisierungsskeptiker und -gegner. Dem grünen Milieu gilt die Globalisierung als Gefahr für die gesamte Welt wie auch für die eigene Lebensweise, die man in mühsamen politischen Kleinkämpfen mit strengen Naturschutzbestimmungen eingehegte und so einigermaßen gewissenstauglich und ethisch korrekt gestaltet. Die Furcht vor asiatischen Marktüberflutungen richtet sich nicht gegen die Gastronomen aus Nah- und Fernost, wohl aber gegen deren elektronische Kleingeräte.

In AfD-Kreisen unterscheidet man bei der Begründung der Globalisierungsgegnerschaft nicht zwischen ökonomischen und kulturellen Verschiedenheiten. Es wird vielmehr das Gefühl der eigenen Entfremdung und Bedrohtheit ins Zentrum gerückt. Der nicht eben weite Schritt vom tendenziell grünen Globalisierungskritiker zum Modernisierungsopfer à la AfD wird zumeist nur durch eine dünne ideologische Membran verdeckt: Es ist unter anderem das Verhältnis zur deutschen Geschichte und die darauf basierende politische und kulturelle Sozialisation, das die traditionell eher links stehenden und eher antideutsch als patriotisch tickenden Grünen vom AfD-Umfeld trennt. Natürlich gefällt man sich auf beiden Seiten in dieser vorgetäuschten Frontstellung: Keines der beiden Lager könnte sich eingestehen, dass man gemeinsam zu den Profiteuren des Niedergangs der politischen Kultur zählt.

Ob mono oder multi: Kultur gilt als Gefängnis

Selbst in Fragen des Zusammenlebens von Menschen aus unterschieden Erdteilen sind sich bündnisgrüne Vorstellungen und AfD-Positionen ähnlicher, als man gemeinhin denkt. In keiner der beiden Parteien sind klassisch rassistische, also auf der genetisch bedingten Minderwertigkeit bestimmter Menschengruppen begründete hierarchische Vorstellungen mehrheitsfähig. Unterschiede werden heute kulturell begründet. Während im grünen Milieu eine Vielfalt der Kulturen innerhalb einer Gesellschaft wertgeschätzt wird, bevorzugen große Teile des AfD-Umfeldes eine monokulturelle Ausrichtung der Gesellschaft. Doch so einfach ist die Sache nicht. Denn genauso wenig, wie im AfD-Programm die Schaffung ausländerfreier Zonen gefordert wird, ist der grüne Multikulturalismus ein Spiegelbild des alltäglich gelebten Miteinanders unterschiedlicher Menschen.

Tatsächlich gleicht der Multikulturalismus grüner Lesart eher einer Aneinanderreihung verschiedener (mono-)kulturell definierter Räume, die alle als in sich homogen betrachtet und möglichst hermetisch voneinander abgeriegelt werden. Es ist diese Konstruktion einer „vielfältigen“ Gesellschaft, die nicht nur ein striktes Management von oben erfordert, sondern auch innerhalb dieser kulturell definierten Gruppen der Herausbildung autoritärer Strukturen Vorschub leistet und damit den Individuen nur wenige Freiheiten lässt. Letztlich legten diese so entstandenen und entsprechend konservativ orientierten Parallelgesellschaften erst den Grundstein dafür, dass vielen Menschen heute eine mehr oder minder erzwungene kulturelle wie politische Homogenisierung als die womöglich bessere, weil sicherere Alternative gilt.

Freiheitsfeinde als Alternative?

All diesen Beispielen für die erstaunliche Ähnlichkeit der beiden angeblich so verschiedenen politischen Universen liegt eine zentrale gemeinschaftliche Grundüberzeugung zugrunde: In beiden Parteien dominiert ein negatives, starres und statisches Menschen- und Gesellschaftsbild. Menschen werden als in ihrer Kultur gefangene und kaum lern- und veränderungsfähige Objekte betrachtet und behandelt. Sie benötigen moralische Führung, autoritäre Zurechtweisung sowie eine freiheitsfeindliche Verbotskultur, um sich in der komplexen Wirklichkeit zurechtzufinden. Daher rührt auch die in beiden Orientierungen ausgeprägte Fixierung auf einen starken Staat, der reguliert, eingrenzt, schützt und führt.

Dass zwei inhaltlich so tief in der Vergangenheit verwurzelte Formationen wie die Grünen und die AfD heute als „die Alternativen“ wahrgenommen werden, zeigt einerseits die verheerenden Auswirkungen der Ära der Alternativlosigkeit, die die westliche Politik in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten prägte. Wer ganze Generationen auf den Status quo einschwört, kontinuierlich auf die Veränderungsbremse tritt und niedrigen Erwartungen an die Zukunft das Wort redet, braucht sich nicht wundern, wenn politische Kreativität und Innovationsbereitschaft kaum noch anzutreffen sind. Die gute Nachricht aber lautet: Mit dem Ende der politischen Eiszeit wird deutlich, wie sehr Veränderungen heute tatsächlich gebraucht und auch herbeigesehnt werden. Die Nachfrage ist also da, das Angebot ist hingegen noch bescheiden.

 

Anzeige