AfD und Grüne - Wilde Haufen – damals und heute

Bei ihrem Parteitag präsentierte sich die AfD als zerstrittene Ansammlung der Unzufriedenen. Ganz so wie es Grünen in ihren Anfängen taten. Das ist nicht die einzige Parallele zwischen den verfeindeten Parteien. Was lässt sich aus der Entwicklung der Grünen für den Umgang mit der AfD lernen?

Grünen-Abgeordnete im Bundestag 1983: „Sammelbecken für die Unzufriedenen“ / picture alliance
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Die Partei stellte sich „als ein Sammelbecken für die Unzufriedenen und Unmutigen dar, für jene, die Unbehagen empfinden. Ein wirklich politisches Programm haben sie nicht, schon gar nicht ein Rezept dafür, wie man die moderne Industriegesellschaft alternativ handhaben könnte. Alles, was sie haben, sind vage und sich stark voneinander unterscheidende Ideen“ – so könnte eine Zusammenfassung des AfD-Parteitags am vergangenen Wochenende lauten. Schließlich präsentierte sich die Partei, die nun zum ersten Mal im Bundestag vertreten ist, in Hannover als wilder, zerstrittener Haufen. Rechtsradikale, Völkische, Verschwörungstheoretiker, Neoliberale, National-konservative und enttäuschte Mitglieder der etablierten Parteien – sie alle tummelten sich dort, lieferten sich Wortgefechte, intrigierten gegeneinander. Doch die eingangs zitierte Passage stammt aus einem Artikel der Zeit, den die Herausgeberin Marion Gräfin Dönhoff 1978 schrieb. Und zwar über die Grünen. 

Parallelen in den Anfängen

Grüne und AfD – beide Parteien repräsentieren jeweils das Feindbild der jeweils anderen. Sie könnten sich ferner kaum sein, denkt man. Doch erinnert der Aufstieg der AfD in vielem sehr stark an den der Grünen vor 40 Jahren. Bei der Gründungsveranstaltung der damaligen Alternativen Liste kamen die Veteranen aus zahlreichen linksradikalen Gruppen zusammen. Die waren alles andere als zimperlich. Sie brüllten in Vorlesungen Professoren und gemäßigte Studenten nieder und prügelten sich auf der Straße mit Polizisten. Prominentester Gewalttäter war Joschka Fischer, Mitglied einer berüchtigten „Putztruppe“ in Frankfurt. Doch auch gesinnungspolitisch gab die Partei an ihren Rändern merkwürdigen Anschauungen ein Forum. Mitglieder feierten Mao Tse-tung, verantwortlich für den Tod von Millionen Chinesen, und bekennende Pädophile waren ebenso darunter wie solche, die sich gar nicht so klammheimlich über die RAF-Morde freuten.

Auch die Reaktionen der damals etablierten Parteien unterscheiden sich kaum von denen auf die AfD heute. CSU-Urgestein Franz Josef Strauß bezeichnete die Grünen als „trojanische Sowjet-Kavallerie“, und die FDP-Größe Otto Graf Lambsdorff fürchtete eine „späte Vereinigung von Marx und Morgenthau“ (der US-Politiker Henry Morgenthau hatte nach dem Zweiten Weltkrieg vorgeschlagen, Deutschland in einen Agrarstaat zurückzuentwickeln). Wie die AfD in diesem Jahr mit Wilhelm von Gottberg, wollten die Grünen 1983 den Alterspräsidenten stellen, der die Eröffnungsrede der konstituierenden Sitzung des Bundestags halten würde. Doch dann wurde publik, dass Werner Vogel ein sehr aktives Mitglied der NSDAP gewesen war. Einige Grüne fürchteten, dass auch noch Vogels sexuelle Vorliebe für Kinder bekannt werden könnte. Vogel trat sein Mandat nicht an. 

Wird die AfD für rechts, was die Grünen für links waren?

Gegen all das wirkt der Auftritt der AfD nach dem Bundestagseinzug geradezu harmlos, ausgenommen einiger verbaler Ausfälle etwa des neuen AfD-Vorsitzenden Alexander Gauland und des volksstolzen Björn Höcke. Heute sind die Grünen eine staatstragende Partei. Als sie in der Regierung waren, führten die einstigen Pazifisten Deutschland – mit Joschka Fischer an der Spitze – an der Seite der USA in die Kriege um Bosnien und Afghanistan. Und sie beißen ebenso gegen den Neuling, wie sie vor 30 Jahren gebissen wurden.

Cem Özdemir bekannte schlicht „mit der AfD reden wir nicht“. Und seine Kollegin Kathrin Göring-Eckardt sagte, mit der AfD würden „Nazis und Rassisten“ im Bundestag sitzen. Doch was spricht eigentlich dagegen, dass die AfD eine ähnliche Entwicklung durchmacht, wie es ihre Feinde von den Grünen gezeigt haben? Könnte die AfD nicht dem rechten Rand der bürgerlichen Gesellschaft eine Stimme geben, so wie es die Grünen für den linken Rand taten?

Beim Glyphosat treffen sich die Parteien

Wenn man genauer hinschaut, entdeckt man sogar Parallelen zwischen den Parteien in ihrem heutigen Zustand. Das zeigt sich beim Thema Glyphosat. Im Bundestag wollen die Grünen einen Antrag für einen möglichst schnellen und vollständigen Glyphosat-Ausstieg einbringen. Dabei können sie auch auf die Stimmen der AfD hoffen. Die Erklärung der Vorsitzenden Alice Weidel ist purer Grünen-Sound: „Wir können nicht weiter tatenlos zusehen, wie auf Kosten der Gesundheit unserer Bürger skrupellos die Interessen von Chemiekonzernen vertreten werden. Damit ist auch unseren Bauern in Deutschland nicht geholfen.“

Das kommt nicht von ungefähr. Wiederum Die Zeit bemerkte bei einem Besuch des AfD-Denkers Götz Kubitschek: „Das Vertraute ist die Kombination aus trotziger ländlicher Selbstversorgung, einer großen Bibliothek und aktivem, wenn möglich herrschaftsgefährdendem politischem Protest: jeder, der in den achtziger Jahren in bestimmten Häusern im Wendland gewesen ist, erkennt es wieder.“
So lässt sich dann auch verstehen, warum ein Grünen-Mitgründer wie Bernd Grimmer, heute im Führungszirkel der AfD aktiv ist. Er selbst formuliert es so: „Der Grund, mich für die Grünen zu engagieren, war derselbe, warum ich heute bei der AfD bin.“ Und zwar sei es „die demokratische Erstarrung des Landes.“ Damals wie heute hätte es einen Parteienblock gegeben, nur dass die Grünen heute ein Teil davon wären.

Boykott und Isolation führen nur weiter nach außen

Die Grünen wurden nach 1983 nach und nach weniger radikal – auch weil die SPD sie zähmte – bis dahin, dass sie heute in Baden-Württemberg mit Winfried Kretschmann einen veritablen Landesvater stellen und im Bund am stärksten für eine Koalition mit der CDU und der FDP kämpften. Ihr Beispiel zeigt, dass ein ähnlicher Weg für die AfD, etwa in einer rechtsbürgerlichen Koalition mit der CDU und der FDP, möglich wäre.

Eine AfD ohne deutschnationale Kraftsprüche könnte dann eine Art rechtes Korrektiv sein, wie es die Grünen, zum Beispiel beim Klimaschutz, von links waren. Momentan bewegt sich die Partei zwar stramm in die entgegengesetzte Richtung, wie die Verluste von Bernd Lucke und von Frauke Petry an der Parteispitze sowie der Parteitag am vergangenen Wochenende offenbarten. Doch ebenso ist davon auszugehen, dass Isolation und Boykott durch die etablierten Parteien die AfD nur weiter nach außen treiben. Wie Gräfin Dönhoff 1978 schrieb: „Es zeugt für die Immobilität und Phantasielosigkeit unserer Parteien, daß sie so ausschließlich auf die alten Wert- und Vorstellungsmuster fixiert sind“. Zugegeben: Dass der Impuls dazu von den Grünen ausgeht, wäre von allen Beteiligten zu viel verlangt. Es hätte aber einen besonderen Charme. 

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