AfD - Ein deutsches Ereignis

Die AfD könnte bei der Wahl am 24. September erstmals in den Bundestag einziehen. Nur wofür steht die Partei eigentlich? Eine Spurensuche

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Möglicherweise kommt man dem Phänomen AfD näher, wenn man sie weniger als Partei und mehr als Metapher betrachtet / picture alliance
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Autoreninfo

Sophie Dannenberg, geboren 1971, ist Schriftstellerin und lebt in Berlin. Ihr Debütroman „Das bleiche Herz der Revolution“ setzt sich kritisch mit den 68ern auseinander. Zuletzt erschien ihr Buch „Teufelsberg“

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1: Bad Dürrenberg

„Bad Dürrenberg hat ein Zigeu­nerproblem.“ Die Frau, die diesen Satz ausspricht, ist um die 60 und solariumbraun. Ihre Haare sind schwarz gefärbt, und sie trägt eine weite Blumenbluse mit einem Glitzerdrachen darauf. Normalerweise geht sie nicht zur Wahl. Aber vielleicht macht sie im September ein Kreuz bei der AfD. Die Frau hat keine Ahnung, wie so ein Satz in der Medienwelt rumkommt, vermutlich nicht mal, dass man so was nicht sagt. Sie lebt ja nicht in der Medienwelt, sondern in einem kleinen Ort im tiefsten Sachsen-Anhalt, fernab der großen Städte.

Bad Dürrenberg hat knapp 11 000 Einwohner. Auf dem kurzen Fußweg vom Bahnhof in die Innenstadt kommt man an zwei Schönheitssalons und drei Reisebüros vorbei. An die Seitenstraßen schmiegen sich lange Schuppen voller Garagen. Vielleicht sind das die Indizien der Sehnsucht nach einer sauberen, schönen Ferne. 

Bürgerdialog im Gartenlokal

Natürlich gibt es in Bad Dürrenberg auch eine Kleingartenkolonie. Rosen, Hecken, Jägerzäune. Dessen Zentrum bildet ein betonierter Parkplatz mit Geländer, auf den sechs Autos passen und wo Fußballspielen verboten ist. Gegenüber die Gartengaststätte Mitte. Hier lädt die AfD-Fraktion des Landtags Sachsen-Anhalt am 12. Juni zum „Bürgerdialog“. Nervös wird die ankommende Reporterin durch die Gardinen beobachtet. In letzter Zeit gab es immer wieder Angriffe auf die AfD. Schmierereien, eingeschlagene Scheiben. Sicherheitshalber hat Bad Dürrenbergs Direktkandidat Hans-Thomas Tillschneider sein Büro im Gebäude der Polizeiwache. Er wartet jetzt im Gartenlokal auf seine Kollegen, unter dem Krombacher-Schild. Der Rumäniendeutsche mit einem Doktortitel in Islamwissenschaft trägt Glatze und Bart.

„Ich habe den Anspruch, nüchtern und sachlich zu argumentieren“, sagt er.

Tillschneider ist Vorstand der Patriotischen Plattform der AfD, einer radikalen Unterorganisation. Die Homepage wirbt mit Fotos von Kirchen, Wäldern und Burgruinen. Die politischen Aussagen kann man verstörend finden, sie sind auch nicht Bundeslinie. Zum Beispiel ruft Tillschneider zur Solidarität mit Assad auf oder verteidigt die Parteiaufnahme von NPD-Aussteigern. Sein Bekenntnis gegen Antisemitismus und Antizionismus ist im Rahmen dieser Positionen überraschend. Bei Pegida ist Tillschneider auch schon aufgetreten. Sich selbst bezeichnet er als „linken Patrioten“.

„Ich bin für Sozialleistungen“, erklärt er, „aber nur für das eigene Volk. Die Masseneinwanderung schadet uns. Da zeigt sich auch so eine Sehnsucht nach Selbstaufgabe. Das hat eine geradezu massenerotische Komponente. Ich sehe eine Parallele zwischen all den Mädels, die diese ‚Refugees welcome‘-Schilder hochhielten, und dem BDM in der Nazizeit.“

Politische Schmuddelecken

Tillschneider ist einer, der stillhält, während er spricht, und nur die Augen rasch bewegt. Zwischen Sätze, die jeder SPD-Wähler abnicken würde, schießen Bemerkungen, die von ganz weit her kommen. So schnell kriegt einer gar nicht mit, ob das links oder rechts ist, was er sagt.

Tillschneiders Haltung ist nicht offensichtlich an Positionen gebunden, eher umfasst sie den Anspruch einer grundsätzlichen intellektuellen Opposition. Er vergräbt sich lieber in politischen Schmuddelecken, als den Altparteien ein einziges Zugeständnis zu machen. Ein Tillschneider dürfte die Nemesis der Kanzlerin sein.

Die Gäste, die sich jetzt auf den rustikalen Stühlen im Festsaal niederlassen, unter der niedrigen Holzdecke, sehen wie normale Mitbürger aus. Sie tragen Freizeithosen und bestellen paniertes Schnitzel auf Graubrot. 

Dann steigt André Poggenburg aus seinem dunklen Dienstwagen, Fraktionsvorsitzender der AfD im Landtag von Sachsen-Anhalt. Blauer Anzug, Parteinadel, blond. Er sieht ein bisschen so aus wie Björn Höcke, mit dem er die AfD-Gruppe Der Flügel antreibt, ein weiteres Rechtsaußenprojekt, das sich im Bundestag platzieren und die Partei nicht den „Strippenziehern, Intriganten und Überschlauen“ überlassen will, womit Lucke gemeint war, jetzt Petry. Aber anders als Höcke fehlt Poggenburg das Pathos. Er spricht so, als würde er ganz nebenbei einen Küchenwecker reparieren. Poggenburg sagt gern „Volksgemeinschaft“, und den Landtag hat er mal aufgefordert: 

„Wucherung am deutschen Volkskörper“

„Beteiligen Sie sich an allen möglichen Maßnahmen, um diese Wucherung am deutschen Volkskörper endgültig loszuwerden!“ Mit der Wucherung meinte er die Linksextremen, nachdem die ihn bei einer Diskussionsveranstaltung in der Uni Magdeburg mit einem Böller beschossen hatten. 

Auf so einen Satz folgt natürlich Empörung. Die Medien sprechen von Nazijargon, Rechtsextremismusexperten warnen, der AfD-Bundesvorstand rügt und rauft sich wohl die Haare. Wenn man Poggenburg fragt, was das eigentlich soll, bleibt er ungerührt. Adenauer habe doch auch „Volkskörper“ gesagt und Friedrich Ebert „Volksgemeinschaft“.

„Aber das ist schon gezielte Provokation“, führt er aus. „Weil wir uns einfach die deutsche Sprache nicht verbieten lassen wollen. Man darf seine Sprache nicht abhängig davon machen, ob die mal missbraucht wurde. Die deutsche Sprache ist größer und mächtiger als diese zwölf Jahre NS-Zeit oder 40 Jahre DDR.“

Er brummelt das so vor sich hin, im anhaltischen Singsang. Er weiß zwar, dass er Tabus bricht – „diese zwölf Jahre“. Wen er damit verletzt, ist ihm wohl gleichgültig. Politisch bewegt er sich wie jemand, der nie in der Tanzstunde war und plötzlich einen Tango Nuevo hinlegen muss. Natürlich sind Leute wie Poggenburg mit der rechten Szene vernetzt. Aber sie kommen nicht von rechts. Sie kommen aus der diskursiven Wildnis.

Ja zu Marx, Nein zum Sozialismus

Manche kommen ja auch von links. Robert Farle zum Beispiel, der Anwalt aus dem Westen, der jetzt zum Vorstand der AfD-Fraktion im Landtag von Sachsen-Anhalt zählt. Er setzt sich auf die Terrasse und bestellt grünen Tee. 17 Jahre lang war er DKP-Fraktionsvorsitzender im Stadtrat von Gladbeck, dann über 20 Jahre parteilos, bevor er 2015 für die AfD in den Landtag zog. Russland ist ihm immer noch wichtig, den USA will er sich nicht unterordnen. Er hält die marxistische Methode zur Gesellschaftsanalyse für richtig. An den Sozialismus glaubt er nicht mehr.

„Wenn Ernst Thälmann die Linke heute sehen könnte, würde er sich im Grab umdrehen. Für die ist Linkssein nur noch eine Masche, die tun ja nichts mehr für die kleinen Leute! Und das Schlimme ist, wie die Linken jetzt die Meinungsfreiheit knechten. Ich war fünfmal in der Gedenkstätte Buchenwald, und jetzt beschimpfen mich 20-Jährige als Nazi. Ich muss denen dann erst mal erklären, was der Nationalsozialismus überhaupt war.“
Farle wirkt betulich. Er trägt Sandalen mit Socken und ein glänzendes graues Jackett. Erst wenn man mit ihm ins Gespräch kommt, erkennt man das subversive DKP-Glitzern in den Augenwinkeln, das besagt: Kann sein, dass du bourgeoise Journalistin von der Mainstreampresse mich in die Pfanne hauen willst, aber ich bin so ein kalter Hund, dass ich trotzdem mit dir rede.

Durch den Sommerhimmel ziehen weiße Wolken, ordentlich verteilt, als würden heute selbst sie der Satzung vom Kleingartenverein Mitte Bad Dürrenberg e.V. gehorchen.

Und dann tauchen plötzlich zwischen den Jägerzäunen drei blasse Briten auf. Sie ziehen einen Rollkoffer durch den Amselweg, an gestutzten Eiben vorbei. Schauen sich um, sprechen in ihre Handys und bauen schließlich die Kamera auf. Sie sind für die Financial Times aus London angereist, und sie passen so gut hierher wie der Verfremdungseffekt auf die Brechtbühne. Die drei Briten finden das Phänomen AfD „very interesting“ und halten ihre Kamera auf den Eingang. Die letzten Gäste schlendern über den glatten, grauen Estrich in den Saal.

Bockwurst und Judith Butler

Fünf Frauen, 50 Männer und der Bürgermeister richten die Augen auf Poggenburg, der das Grußwort spricht und dann wieder wegfährt. Die drei auf dem Podium, Tillschneider, Farle und noch einer, referieren danach erst mal das Grundsatzprogramm. Während die Wirtin Bockwurst mit Brötchen serviert, erklärt Tillschneider dem Publikum, wer Judith Butler ist, was Gender Main­streaming bedeutet und warum die AfD das nicht will. Die Zuhörer sind einigermaßen verwirrt. Die Butler kennen sie nicht, und Gender wer? Es sind auch nicht unbedingt die konkreten Themen, die den Leuten hier auf den Nägeln brennen. Eher das allgemeine Gefühl, von der Politik erst hintergangen und dann fallen gelassen worden zu sein.
„Bei der Wahl wird doch nur beschissen!“, ruft ein Mann mit Spiegelbrille und kurzen Karohosen. Das Publikum unterstützt ihn laut murrend.

Die Leute im Saal haben keine Agenda, sie sind nur gekränkt. Wenn es heißt, „dass die Altparteien ihre Wahlversprechen nicht halten“, klatschen sie, und sie lachen dankbar. Sie fühlen sich politisch enteignet. Sie wollen irgendwas zurückhaben, ohne genau zu wissen, was das ist. Es bricht sich dann Bahn. Manche Themen, sagt jetzt die Frau mit der Solariumbräune und dem Glitzerdrachen auf der Bluse, könne man gar nicht mehr benennen, „ohne als Faschist oder Nazi oder Scheißdeutsche beschimpft zu werden“. Sie kommt auf die Roma zu sprechen, die mit zwei, drei Familien hier leben, gestern seien da vier Polizeiautos vorgefahren. Und dann fällt jener Satz: „Bad Dürrenberg hat ein Zigeunerproblem.“

Die drei Briten bleiben cool. Sie bitten die Frau zum Interview, bevor sie aufbrechen. Später warten sie am Bahnhof und rauchen. Der Zug hat Verspätung, man kommt ins Gespräch. Eigentlich, spötteln die Briten, wollten sie mit der Frau über Gender-Mainstreaming sprechen – „but she was so obsessed with her gipsies!“ Vielleicht sollte man die AfD so betrachten, wie diese drei Briten das tun, relaxed. Aus der Fassung geraten sie erst, als der Anschlusszug in Leipzig auf sie wartet. So was haben sie noch nie erlebt.

2: Magdeburg

In Magdeburg, im Landtag von Sachsen-Anhalt, sehen die AfD-Fraktionsmitglieder so aus, als wären sie bei der CDU – Anzug, Krawatte. Alle sehen hier so aus, als wären sie bei der CDU, aber die AfD macht mehr Krach im Plenarsaal. Immer wieder hauen die Fraktions­mitglieder mit der flachen Hand auf den Tisch. Man merkt es ihnen an, wie besonders sie das finden, das grenzt an Spieltrieb, während die von den anderen Parteien hier rumhängen wie damals im Klassenzimmer.

Seit Bad Dürrenberg ist eine Woche vergangen, und es gibt wieder Ärger. Jemand hat ein Chatprotokoll der AfD geleakt, das jetzt durchs Internet geistert. Darin sagt Poggenburg Sachen wie „Deutschland den Deutschen“. Die Bundesspitze mahnt ihn ab. Es sieht so aus, als sei der Stern der größten AfD-Landtagsfraktion am Sinken. Seit dem Frühjahr sind drei von ursprünglich 25 Fraktionsmitgliedern abgesprungen. Die Wunden bluten noch. Als die Reporterin dazu was fragt, mailt ihr ein Referent beleidigt einen Froschcartoon.

Von der AfD zur CDU

Einer der drei Abtrünnigen, Jens Diederichs, ist sogar zur CDU-Fraktion gewechselt. In seinem Büro schimpft er über den Rechtsruck der AfD. Er wirkt hier nicht heimisch, sein Körper ist zu massig für das kleine Bürosofa. Diederichs war lange im Justizvollzug, „der mit den Schlüsseln“, Gefangenentransport. So wirkt er auch heute noch: schattiges Gesicht mit groben Poren, Sneakers. Erst war er in der SED, wie er sagt aus beruflichem Zwang, später in der SPD: „Aber in der Ortsgruppe ist einfach nichts passiert, da kamen immer nur fünf, sechs Leute.“

Als das Land dann „auch noch den Knast zusammensparte“, hatte Diederichs genug und ging in die AfD. Von ihr erhoffte er sich, „dass die endlich was tut“. Aber mit Höckes Rede zum Holocaust-Mahnmal sei die rote Linie überschritten. „Dass der in meinem Wahlkreis Wahlkampf macht, geht gar nicht!“ Mit der CDU will er jedenfalls endlich was erreichen. Aber der Knast geht ihm nicht aus dem Kopf: „Am liebsten waren mir die Mörder, das waren die Ruhigsten. Und wissen Sie was, wenn ich hier im Landtag nichts bewirken kann, dann setze ich mich wieder auf den Bus.“

Im Plenum merkt man der Fraktion nichts an. Von den 39 Anträgen, die der Landtag in Magdeburg vor der Sommerpause verhandelt, stammen neun von der AfD. Poggenburg beginnt mit Antrag Nummer sechs, die Hände seitwärts aufs Rednerpult gestützt. Die Landesregierung möge überprüfen, ob das „Netzdurchwirkungsgesetz“ von Heiko Maas mit dem Grundgesetz vereinbar sei. Die AfD sieht die Meinungsfreiheit in Gefahr. Während Poggenburg spricht, bläst Holger Hövelmann von der SPD die Wangen auf und guckt zu den Grünen rüber. Dann geht er zum Rednerpult. Gleich gibt es Zoff.

„Es ist schon bedenklich, wer sich als Hüter der Meinungsfreiheit in diesem Parlament generiert“, beginnt Hövelmann und hält erst mal eine Standpauke über hate speech im Allgemeinen.

Auftritt Sebastian Striegel von den Grünen. Es folgt ein Frontalangriff auf die AfD-Fraktion. Striegel zitiert anonyme User aus deren AfD-Facebook-Kommentarspalten: „die elenden Sonnenanbeter, Syrer, elende kriminelle Schweine, alle komplett ausweisen, Ausländer raus“.

„Vielleicht waren es ja Linke!“

Striegel hat einiges zusammengetragen, darunter ein Bild marodierender SS-Soldaten, Zitat dazu: „Die Lager stehen noch.“ Er wedelt mit seinem Skript: „Hier der Screenshot. Suchen Sie es sich heraus. Das ist sogar strafbewehrt.“

Aus der AfD-Fraktion schallt es: „Vielleicht waren es ja Linke!“

„Ihre Freunde vielleicht?“, fragt Poggenburg.

„Davon gehe ich aus!“, ruft Farle.

Heiterkeit bei der AfD.

Jetzt wieder Striegel: „Die Frage, warum Sie als verantwortlicher Betreiber der Facebook-Seite der AfD-Landtagsfraktion all diese unerträglichen Beleidigungen, Bedrohungen und Verleumdungen nicht von Ihrer Seite löschen, diese Frage müssen Sie beantworten.“
Die AfD schießt lieber zurück. Fraktionsmitglied Matthias Büttner zitiert jetzt wiederum aus Striegels Facebook-Kommentarspalte: „Büttner, die Drecksau – 7,62 mm, Kopf oder Bauch?“ Büttner kocht. „Wie kommen Sie eigentlich dazu“, fragt er Striegel, „sich hier hinzustellen und solche Töne zu spucken, obwohl auf Ihrer Seite hundertmal schlimmere Sachen passieren?“ 

Striegel löscht den Facebook-Kommentar sofort und gibt das zu Protokoll. Der AfD-Antrag wird abgelehnt.
Während sich die Parteien den Müll ihrer Facebook-User um die Ohren hauen, geht unter, dass viele hier im Landtag das Maas-Gesetz in der Form gar nicht haben wollen. Das Problem ist nur, dass ausgerechnet die AfD damit ankommt. Undenkbar offenbar, sich ihr anzuschließen. Manchmal stellt in solchen Fällen eine andere Partei einen Alternativantrag – den die AfD dann unterstützt. So macht sie Realpolitik. Genau wie damals die Grünen, in ihren stürmischen Anfangszeiten.

3: Berlin

In Berlin, im Café Savigny, sind solche Szenen ganz weit weg. Sonne, Zeitung, Leute gucken, alles ganz entspannt. Michael Seyfert, Vorsitzender der AfD-Fraktion in der Bezirksvollversammlung Charlottenburg-Wilmersdorf, nimmt erst mal Tee mit Milch, bevor er anfängt zu erzählen.
„Die CDU hat uns in der BVV mal aus Versehen applaudiert. Darüber hat sich die SPD dann gleich beschwert. Sonst herrscht ja eisiges Schweigen. Die Grünen ekeln sich schon vor unserer puren physischen Existenz. Bei den Linken sitzt ein junger Punk, der ist für Sozialismus und dafür, dass die Stadt allen gehört, die hier wohnen. Der gefällt mir richtig. Ich würde mich gern mit dem unterhalten. Ich habe ja selbst mal so einen Quatsch erzählt.“

Die urbane AfD als bürgerliche Avantgarde

Während er redet, faltet Seyfert den schlaksigen Körper hinter den winzigen Cafétisch. Der lockere Tonus verrät den Alt-68er. Tatsächlich war Seyfert als Student bei den Roten Zellen und bei der Proletarischen Linken/Parteiinitiative. „Da war natürlich kein einziger Proletarier dabei.“ Er hört immer noch Grateful Dead oder Can. „Mein Sohn sagt, ich sei so konservativ, mit diesem ganzen Sex and Drugs and Rock ’n’ Roll!“ Er hat über Exilliteratur promoviert, war Mitarbeiter bei der BBC und dem Imperial War Museum in London und später Abteilungsleiter beim SFB-Hörfunk.
Seyfert ist von Poggenburg mindestens so weit entfernt wie Woody Allen von Heinz Erhardt. Auf einmal wirken die Leute vom Flügel oder der Patriotischen Plattform wie ein kurioses Randphänomen. Seyfert steht für eine urbane AfD, die sich als bürgerliche Avantgarde versteht – CDU minus Merkel plus APO, oder so ähnlich. 

„Was mich zur AfD gebracht hat, war das Merkel-Wort von der ‚Alternativlosigkeit‘“, sagt Seyfert. „Das hat mich beleidigt. Nichts darf in der Politik alternativlos sein. Aber man muss für seine Alternative die Verantwortung übernehmen.“

Er findet nicht, dass die AfD rechts ist: „Klar, wenn sich alle nach links bewegen, und ich bleibe stehen, dann bin ich irgendwann rechts.“ Er verweist auf das Wahlprogramm der CDU von 2002 – „alles AfD-Positionen“. Klassische Ressentiments gegen Schwule oder Antisemitismus sieht er nicht in seiner Partei. Im Gegenteil, die AfD habe das Bezirks­amt gebeten, eine Sammelstelle einzurichten, um antisemitische Vorfälle zu dokumentieren. Noch ist daraus nichts geworden.

Das Gespräch mit Seyfert ist fröhlich und kultiviert. Danach schwingt er sich aufs Fahrrad. Wie er so um die Kurve schlenkert, könnte man ihn auch für einen Grünen halten, einen guten Menschen auf dem Weg nach Kreuzberg.

4: Oberursel

Ist die AfD rechtspopulistisch, linkssozial oder wirtschaftsliberal? Kaum zu sagen, wohin sie geht. Vielleicht wird sie die neue Rechte, vielleicht die neue Linke. Vielleicht setzen sich die Karrieristen durch, vielleicht die Idealisten. Diese Partei ist alles zugleich, beknackt und klug, rückständig und fortschrittlich, gefährlich und rührend. Die AfD ist, um Schlegel zu bemühen, die politische Verkörperung der progressiven Universalpoesie. Sie ist ein durch und durch deutsches Ereignis.

Tief im Taunus, am Stadtrand von Oberursel, wohnt Konrad Adam. Er ist nicht nur Mitbegründer der AfD, sondern war auch Bundes-, Landes- und Kreisvorsitzender. Er kennt den Laden. Aus seinem Arbeitszimmer blickt er in den Wald. Es ist still, draußen wie drinnen. Die antiken Möbel glänzen, müde Ölgemälde hängen an den Wänden. Den Ex-Redakteur der FAZ und Ex-Chefkorrespondenten der Welt umgibt eine reflektierte Schwermut. Er ist enttäuscht. Von Leuten wie Höcke, dessen schriller Tonfall – „das Heulende, Jaulende“ – ihn mal an Goebbels, mal an Dutschke erinnere. Von denen, die in der DVU oder NPD nichts geworden und nun auf der Jagd nach gut bezahlten Mandaten in der AfD seien.

„Aber Parteien sind keine Heimat“, sagt er langsam. „Parteien erlauben keine Gefühle. Wenn Sie Freundschaft und Dankbarkeit suchen, sind Sie in jeder Partei falsch aufgehoben.“

Wechselseitiges Hochschaukeln

Adam antwortet höflich und druckreif. Manchmal braust er auf und fällt dann doch in einen melancholischen Duktus zurück. Vor dem Fenster wippen die Äste. Er bedauert die Verhärtung und Radikalisierung, die sich in der AfD inzwischen breitgemacht habe, sieht sie aber als Antwort auf die Angriffe der Gegenseite. „Man hat sich wechselseitig hochgeschaukelt.“ Die Frage, ob die AfD rechts sei, geht für ihn am Thema vorbei.

„Wenn mich jemand als Rassist bezeichnet, dann höre ich nur noch: Ich mag dich nicht. Das tut mir gelegentlich leid, aber es interessiert mich nicht weiter, denn es ist keine politische Aussage. Es heißt lediglich: Ich bekämpfe dich, ich will dich nicht. Im Grunde läuft es auf Carl Schmitt hinaus: Politik ist die Kunst, zwischen Freund und Feind zu unterscheiden. Das ist ein bisschen wenig, aber nicht falsch.“

Eine Prognose, ob die AfD im Herbst den Sprung in den Bundestag schaffen wird, wagt er nicht. Er teilt die Zweifel, die selbst im Bundesvorstand weitverbreitet seien. Alles werde davon abhängen, ob es der AfD gelingt, glaubwürdige Vertreter ins Parlament zu entsenden. Und das hält er für fraglich, weil die Personalreserve der AfD nach zwölf erfolgreichen Landtagswahlen weitgehend erschöpft sei.

AfD als Metapher

Während er den Blick auf die Tischplatte senkt, fällt ihm, dem promovierten Altphilologen, der Melierdialog ein, ein philosophischer Disput zwischen zwei Kriegsparteien. Die Melier signalisieren Hoffnung, die Athener verspotten sie dafür: Die Melier würden die Hoffnung erst im Sturz erkennen, wenn es zu spät sei.

„Wissen Sie“, sagt Adam leise, „die Hoffnung galt den Griechen nicht als Tugend, sondern als lästiger, gefährlicher Fehler. Darum sollten wir in der Politik weniger auf Hoffnung setzen.“

Zum Schluss bietet er einen Espresso an. Man plaudert ein wenig, dann springt er auf.

Möglicherweise kommt man dem Phänomen AfD näher, wenn man sie weniger als Partei und mehr als Metapher betrachtet. Metaphern kann man nicht übersetzen, nur in ihrer Vieldeutigkeit ertragen. Am Rand von Oberursel, wo ein paar Häuser stehen und ein Bach plätschert, schaut ihr geistiger Schöpfer auf die Zweige einer Blautanne, denkt an Thukydides und will nichts mehr sagen.

 

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