Umgang mit der AfD - Demokratie ist kein Kaffeekränzchen

Wir sollten AfD-Sympathisanten nicht sagen, dass sie sich schämen müssen. Denn einer Sehnsucht nach nationaler Identität entkommen wir nicht. Vielmehr sollten wir stolz darauf sein, was wir haben: unser Grundgesetz

Herzstück der deutschen Identität: das Grundgesetz / picture alliance
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Autoreninfo

Hendrick Melle ist Autor. Soeben erschien sein neuer Roman Wurst“.

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Ich war letztens zum Dinner einer Stiftung eingeladen. Thema waren Zukunft und Utopie. Es waren handverlesene, kompetente Menschen anwesend. Der Wein war gut, aber die Atmosphäre irgendwie gedrückt. Es fühlte sich an wie auf Hogwarts bei Harry Porter; alle rücken zusammen, denn draußen geht der um, dessen Namen nicht genannt werden darf – der Böse, das Böse: eine solche Sprachlosigkeit jenseits der Abwehrreflexe lässt die AfD immer größere Schatten werfen. Es wird vor einem Zustand gewarnt, der Realität ist. Warnen ist die Selbstveredelung des kleinen Denkens. 

„Ausländer, lasst uns mit den Deutschen nicht allein!“ ist eine der pointierten linken Zusammenfassung der Ideenlosigkeit für die eigene Herkunft. „Mit den Deutschen“ hieß ja, dass man selbst nicht dazugehörte, irgendwie anders ist. Für die eigene Herkunft gab es als Idee nur ein „nicht so“. Der andere Versuch war, der ungeklärten Identität in ein geeintes Europa zu entkommen. Aber da lag der Keim des Problems: Die Mehrheit der Ostdeutschen wollte rein nach Deutschland, die westdeutschen Eliten wollten irgendwie raus. Dann trafen uns ein paar unerwartete Ereignisse – die Bankenkrise und die daraus resultierende Griechenlandkrise. Die dicke Bundesrepublik rutschte aus Versehen auf den europäischen Fahrersitz. Dort war sie, aus Ermangelung an Ideen, nur in der Lage zu bremsen – so called Austeritätspolitik by Wolfgang Schäuble. Als wäre das nicht genug, brach die Flüchtlingskrise über uns herein. Um der Situation angemessen zu begegnen, hätte man sie entideologisieren und die damit verbundenen Probleme offen benennen müssen. Das kurze Zeitfenster dafür wurde nicht genutzt, und danach war es nur noch ein emotionales Massaker. 

Je fremder das Fremde, desto größer die Furcht

Manchmal ist es gut, einen Blick über den Tellerrand der eigenen Geschichte zu werfen: Als die USA im Zuge der durch den Zweiten Weltkrieg bedingten Einwanderungswellen mit jeder Menge Neuamerikanern konfrontiert wurden, mussten die Konservativen feststellen, dass nicht alle gekommen waren, um sich begeistert dem American Way of Life anzuschließen. Sie kamen mit ihren eigenen Vorstellungen – als Antifaschisten, Trotzkisten, Kommunisten, Anarchisten oder einfach als Wirtschaftsflüchtlinge. Selbst die USA hatten als Einwanderungsgesellschaft mit diesen Erschütterungen Probleme. Die Folge war der McCarthyismus und damit der Beginn des Kalten Krieges. „Amerikanismus mit hochgekrempelten Ärmeln,“ nannte McCarthy seinen antikommunistischen Nationalismus. Mit seinem Angebot einfacher Lösungen, dem Glauben an eine gigantische Verschwörung gegen Amerika und seiner Egomanie war er nicht nur ein Vorläufer Trumps, sondern ist auch ein Vorläufer Orbans. 

Die McCarthy-Ära hat etwa fünf Jahre gedauert, das gesellschaftliche Klima eine Weile verseucht und ging dann vorbei. Wir lernen: Es muss nicht immer in einer faschistischen Diktatur enden. Die AfD ist kein Ausbruch eines schlummernden deutschen Faschismus-Virus, auch wenn sie ein paar dieser Viren in sich trägt, sondern das Ergebnis der Sehnsucht erschreckter Bürger, die Kontrolle in ihrem Wohnzimmer zu behalten; gegründet von einem Mann, der schon den Euro als Kontrollverlust empfand. Der Rest ist einfache Psychologie: Je fremder das Fremde, desto größer die Furcht vor ihm. 

Wir entkommen der Sehnsucht nach Identität nicht

Es sind die Identitätsschwachen, die Unsicheren, die Atemlosen,  die schon lange kaum noch Kontrolle über ihr Leben haben, die sich diese Kontrolle so sehr wünschen. Wenn denen dann erklärt wird, dass sie sich für ihre Angst zu schämen haben, dann wird aus Angst nicht Hoffnung, sondern Wut. 

Was also machen? Wäre eine Entschuldigung zu viel verlangt gewesen? „Wir hatten die Sache ein paar Monate nicht im Griff und wir haben aus Hilflosigkeit zu viel von eurem Geld ausgegeben. Entschuldigung.“ Ich glaube, unsere Kanzlerin hat auf ihre verdruckste Art so etwas probiert. Es hat nicht gereicht. Wenn wir der Sehnsucht nach nationaler Identität nicht entkommen, in Deutschland nicht, in Europa nicht, dann müssen wir sie umarmen. Wir haben in Deutschland allemal etwas, was zu umarmen sich lohnt: das Grundgesetz. Viel mehr als ihre Verfassung hat die USA auch nicht als Kitt ihrer Identität. Aber was haben die draus gemacht, und wie traurig gehen wir damit um! 

Mehr Verfassungspatriotismus!

Lasst uns für alle, denen Deutschsein für ihre unsichere Existenz wichtig ist, einen singenden, klingenden Grundgesetzpatriotismus hinstellen, der sich gewaschen hat, Feiertag, Fahnen und Fähnchen, Fanfaren und Dsching Taratata inklusive. Lasst uns auf die Plätze und Straßen gehen und die Artikel rezitieren; auch für alle Neuankömmlinge wäre das ein gutes Zeichen: Jeder hat hier das Recht auf freie Entfaltung. Alle Menschen sind hier vor dem Gesetz gleich. Frauen und Männer sind bei uns gleichberechtigt; in diesem Land gelten Religionsfreiheit, Meinungsfreiheit, Mutterschutz, Gewaltmonopol des Staates. Jeder Artikel verdient ein Fest und eine Hymne, denn sie zusammen beschreiben, was Deutschsein heute ausmacht; Knödel und Würste, Sauerbraten, Grünkohl und Pinkel, Rouladen, Pizza, Döner und Bier gehören selbstverständlich auch dazu.

Wie schön und einfach wäre es, zu feiern, was wir haben, statt nach dem zu suchen, was es nicht oder nicht mehr gibt. Wer sich an die Regeln des Grundgesetzes hält, sie lebt und schützt, hilft, sie mit durchzusetzen, mit dem ist gut Zusammenleben, der ist Deutscher. Eins noch zum Schluss und zum Umgang mit der AfD: Demokratie ist Meinungsbildung mit Leuten, die man nicht leiden kann. Alles andere ist Kaffeekränzchen.

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