Absturz der Corona-Leugner-Partei - Die AfD verspielt in der Coronakrise das letzte Vertrauen

Die AfD ist die einzige Fraktion im Bundestag, die das Sicherheitsabstandsgebot nicht einhält. Viele Mitglieder bringen mit ihrer Ignoranz gegenüber dem Virus sich und andere in Gefahr. Aus der Partei der Klimawandel-Leugner ist die Partei der Corona-Leugner geworden.

Dicht an dicht: Weil die AfD ein Notparlament in Sachsen boykottiert, wird der Sicherheitsabstand nicht eingehalten / dpa
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Antje Hildebrandt hat Publizistik und Politikwissenschaften studiert. Sie ist Reporterin und Online-Redakteurin bei Cicero.

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Es ist ein Vorgang, den es so noch nicht gegeben hat. Ein Abgeordneter wird auf Corona getestet. Er muss zu diesem Zeitpunkt davon ausgehen, dass er sich bei einer Veranstaltung mit dem Israelischen Botschaft mit dem Virus infiziert hat. Er ist nicht der einzige, der unter Verdacht steht. Doch während ein anderer Abgeordneter den Sitzungen deshalb sicherheitshalber fern bleibt, geht er hin. Andere Politiker sind darüber entsetzt. Der Mann heißt Martin Trefzer, er sitzt für die AfD im Berliner Abgeordnetenhaus.

Er beruft sich heute auf eine Email des Abgeordnetenhauses, nach der ein Ansteckungsrisiko ausgeschlossen werden könne. Erst nach der Sitzung will er erfahren haben, dass sein Test doch positiv ausgefallen ist. Okay, könnte man sagen, ein Einzelfall, aber was kann die AfD dafür, dass er sie mit seinem Verhalten in Misskredit bringt?  Die AfD macht in der Corona-Krise keine gute Figur. 

Das übliche Merkel-Bashing 

Die Gesellschaft muss in diesen Zeiten zusammenstehen, aber natürlich nur im übertragenen Sinne. Entweder haben viele diesen Appell der Kanzlerin in den falschen Hals bekommen. Oder Sicherheitsregeln sind ihnen egal. Dabei gab es anfangs auch in den eigenen Reihen Mitglieder, die die Gefahr richtig einschätzten. Schon am 25. Januar forderte der AfD-Politiker Malte Kaufmann, die Bundesregierung müsse sofort Einreisekontrollen einführen und einen Krisenstab bilden. Doch in weiten Teilen der Partei sind solche Warnungen ungehört verhallt. 

Zwar hat der AfD-Vorsitzende Jörg Meuthen inzwischen gefordert: „Deutschland braucht ein Corona-Krisenkabinett!“ Das Virus bedrohe schließlich nicht nur die Gesundheit, sondern auch die Wirtschaft und die öffentliche Ordnung. Doch außer dem üblichen Merkel-Bashing und der Kritik an der EU kommt von der größten Oppositionspartei nichts, was zur Lösung der Probleme beitragen könnte. Ein Fünf-Punkte-Sofortprogramm, das die Partei vorgelegt hat, greift im Wesentlichen Vorschläge der Großen Koalition auf. Nur die Forderung nach „einem schnellen Internet für alle Bürger ohne Preisaufschlag“ ist neu. 

Blumen für Krankenhausmitarbeiter  

Im Bundestag sind die Abgeordneten der AfD die einzigen, die das Sicherheitsabstandsgebot ignorieren. In den Sitzungspausen stehen sie in Gruppen zusammen, um sich zu beraten. Auch ist sie gegen den Plan, die Geschäftsordnung des Bundestags so zu verändern, dass Beschlüsse auch mit einem Viertel der Mitglieder gefasst werden können. Schon in Sachsen boykottierte die Partei den Plan für ein Notparlament. Sie zwang den Landtag, in voller Stärke zu tagen. Dass sich das Virus per Tröpfchen überträgt, wird ignoriert. In Sachsen postierten sich AfD-Politiker sogar vor einem Krankenhaus, um Blumen an Mitarbeiter zu verteilen. 

Alles nur Einzelfälle? Mag sein. Aber in der Ballung ergeben sie ein Bild, das zu dem Statement passt, das der außenpolitische Sprecher der AfD-Fraktion, Armin-Paul Hampel dem NRD-Magazin „Panorama“ gab. Von einer „Krise“ will er nichts wissen. „Es ist keine Epidemie wie Pest oder Cholera“, sagt Hampel, der als starker Raucher selbst der Risiko-Gruppe angehört. 

„Nur eine leichte Grippe“

Er spricht von einer „verhältnismäßig leichten Grippe“, die nur für einen kleinen Personenkreis tödlich werden könne. Dass in Italien und Spanien inzwischen Tausende an „dieser leichten Grippe“ gestorben sind, dass sich Virologen auch hierzulande für den Ernstfall wappnen, lässt er außen vor. Die „Krise“, behauptet Hampel, sei eine „inszenierte Krise“. Nein, man hat sich nicht verhört. Aus der Partei der Klimawandel-Leugner ist die Partei der Corona-Leugner geworden. 

Die Begriffe sind austauschbar geworden, wie ein Tweet des Berliner AfD-Fraktionschefs Georg Pazderski vom 19. März zeigte. Ein Video zeigte Jugendliche, die alle an einem und demselben Lolli lecken. Unter dem Hashtag #Corona twitterte Pazderski: „Empathielose, dumme Wohlstandskinder, die freitags bei #FFF auf der Straße hüpften und den Älteren vorwerfen, ihre Zukunft zu verspielen.“ Dabei waren die Jugendlichen gar nicht als Umweltschützer in Erscheinung getreten. Das Video war schon Monate vor der Corona-Krise entstanden. Ein viraler Hit auf dem Internet-Portal TikTok. Pazderski hat es inzwischen wieder gelöscht, nachdem er dafür massiv kritisiert wurde.

Die alten Feindbilder greifen nicht mehr     

Es ist dünnes Eis, auf dem sich die AfD bewegt. Jetzt bekommt sie die Quittung dafür, dass sie nie ein Programm hatte, das alle politischen Themen abdeckte, nur Feindbilder: den Klimawandel und die „Flüchtlingskrise“. Nach 2015 bediente sie sich dieser Feindbilder, um Stimmung gegen die Bundesregierung zu machen und sich selbst als Kümmerin zu inszenieren. Gewalttaten von Migranten oder die Umsatzeinbrüche der Automobilindustrie reichten als Beweise aus. 

Doch mit dem Ausbruch der Corona-Krise hat eine neue Zeitrechnung begonnen. Die Themen der AfD haben sich praktisch in Luft aufgelöst. Das Klima? Hat sich vorübergehend erholt. Weil die CO2-Emissionen drastisch sinken, geht die Luftverschmutzung zurück. Flüchtlinge? Sie sind aus der Öffentlichkeit verschwunden, seit die Bundesregierung ihre humanitäre Aufnahme mit Hinweis auf die Corona-Krise ausgesetzt hat. 

Die AfD steht vor der Zerreißprobe 

Nur als Bewohner der Erstaufnahmestelle im thüringischen Suhl aus der Unterkunft auszubrechen versuchten, nachdem die Unterkunft unter Qurantäne gestellt worden war, bot sich der Partei noch einmal die Chance, mahnend den Zeigefinger zu erheben: „Es kann nicht sein, dass wir Deutschen uns einschränken und jeden Gang nach draußen überdenken, während Migranten sich und andere leichtfertig in Gefahr bringen“, kritisierte die AfD. Und hetzte weiter gegen Asylanten, obwohl das Innenministerium da auch schon das Asylrecht faktisch eingeschränkt hatte

Die Partei steht vor der Zerreißprobe: Dass der Bundesvorstand die Auflösung des völkischen Flügels um Björn Höcke und Andreas Kalbitz verfügt hat, könnte der Anfang vom Ende der Partei sein. Denn die Mitglieder dieser „Werte-Gemeinschaft“ gehen ja nicht weg. Um einen Neuanfang zu wagen, hätte sie die Gründer des Flügels ausschließen müssen. Aber dazu fehlte ihr der Mut. Und es war dafür auch zu spät. Völkisches Denken ist längst Allgemeingut geworden. Die Flügler stehen nicht mehr am Rande, sondern in der Mitte der AfD. Die muss jetzt rechnen, dass sie als Gesamtpartei zum Beobachtungsfall für den Verfassungsschutz wird. 

Die Corona-Krise hat die AfD demaskiert 

Vor der Corona-Krise hätte diese Entwicklung die Volksparteien vielleicht noch alarmiert. Der Rechtsterrorismus ist wieder auf dem Vormarsch, und dass dabei auch die AfD eine Rolle spielt, haben gerade erst die Anschläge von Hanau gezeigt. Jetzt aber ist die Partei im Begriff, den letzten Rest von Vertrauen zu verspielen, das ihre Anhänger noch in sie haben. Nach der jüngsten Forsa-Umfrage liegt die AfD bundesweit nur noch bei neun Prozent

Eine Krise ist eine Bewährungsprobe. Sie fördert das Beste oder das Schlechteste im Menschen zu Tage. Im Fall der AfD verfestigt sich das Bild einer Partei, der es in Wirklichkeit nie um das Allgemeinwohl gegangen ist, sondern nur darum, das Vertrauen in die Demokratie und ihre Institutionen zu erschüttern. Dass einzelne Abgeordnete dafür jetzt in der Coronakrise sogar in Kauf nehmen, sich und andere in Lebensgefahr zu bringen, bestätigt die schlimmsten Vorurteile gegenüber der Partei. 

Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version hatten wir berichtet, Martin Trefzer hätte an der Sitzung teilgenommen, obwohl er um das positive Ergebnis seines Corona-Tests wusste. Gegenüber „Cicero“ sagte der AfD-Abgeordnete, er habe erst kurz nach der Sitzung von dem positiven Testergebnis erfahren. 

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