Die SPD und Hartz IV - Vom Betriebsrat zum Sozialamt der Nation

Ausgerechnet die SPD will Hartz IV wieder abschaffen und das Recht auf Faulheit verankern. Die Grünen wollen ihr dabei helfen. Finanziert vom Steuerzahler, der ohnehin schon rekordverdächtig ausgepresst wird. Diese Rechnung kann nicht aufgehen

Welchen Anreiz sollten Arbeitslose noch ohne Sanktionen haben, in den Job wiedereinzusteigen? / picture alliance
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Wolfgang Bok war Chefredakteur und Ressortleiter in Stuttgart und Heilbronn sowie Direktor bei der Berliner Agentur Scholz & Friends. Der promovierte Politologe lehrt an der Hochschule Heilbronn Strategische Kommunikation.

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„Es gibt kein Recht auf Faulheit!“ Mit dieser provokanten Positionierung hat Kanzler Schröder 2001 begründet, warum Arbeitslosengeld und Sozialhilfe zusammengeführt werden müssten. Herausgekommen sind zwei Jahre später die Hartz-Reformen. Benannt nach dem damaligen VW-Manager Peter Hartz. Der Schröder-Vertraute, der auch SPD- und IG-Metall-Mitglied war, hatte die 2002 einberufene „Kommission für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt“ geleitet. Das mit vielen Genossen und Gewerkschaftern besetzten Gremium lieferte die Grundlagen für die „Agenda 2010“, mit dem die damalige rot-grüne Regierungskoalition Deutschland vom „kranken Mann Europas“ zum neuen Kraftzentrum befördert hat.

Heute, 15 erfolgreiche Hartz-IV-Jahre später, überbieten sich Grüne und SPD mit der Rückabwicklung. Robert Habeck propagiert in einem Thesenpapier eine „Garantiesicherung“, auf die nur „Millionäre und Gutverdiener“ keinen Anspruch haben sollen. Die SPD, die seit Jahren mit den Hartz-Reformen hadert, hastet mit einem „Bürgergeld“ hinterher. Gemeinsam ist beiden Vorschlägen, dass auf Sanktionen weitgehend (SPD-Chefin Nahles) oder ganz (Grünen-Chef Habeck) verzichtet werden soll. Damit würde eine tragende Säule von Hartz IV gekappt, wonach abgestuft mit Sanktionen bestraft wird, wer den Auflagen der Job-Center nicht nachkommt. Vom „fordern und fördern“ soll nur noch das „fördern“ bleiben. „Der Staat sollte Menschen nicht auf Teufel komm raus zur Arbeit zwingen wollen, er sollte sie anreizen und ermuntern,“ hat Grünen-Chef Habeck in einem Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung gesagt. Etwas gewundener argumentiert SPD-Chefin Nahles, die noch mit Kritikern in den eigenen Reihen ringt. Doch im Ergebnis laufen die Pläne auf eine Umkehrung der Schröderschen Maxime hinaus: Es soll ein Recht auf Faulheit geben, staatlich finanziert. 

Warum noch arbeiten, wenn Sanktionen wegfallen?  

Bei aller Detailkritik an den Hartz-Reformen, so sind sich die wirklichen Arbeitsmarkt-Experten in zwei Punkten einig: Dass sich die Zahl der Arbeitslosen um mehr als die Hälfte halbiert hat, ist auch auf Schröders Agenda-Politik zurückzuführen. Und: „Die Sanktionen wirken nachweislich“, wie etwa Enzo Weber, Forschungsleiter am Institut für Arbeitsmarkt und Berufsforschung (IAB), versichert. Monika Queisser, bei der in Paris ansässigen OECD für Sozialpolitik zuständig, warnt in der Welt: „Das Leben für Betroffene angenehmer zu machen, ist keine Lösung.“

Praktiker vor Ort empfehlen Politikern wie Habeck einen Besuch in den sozialen Brennpunkten und Problemvierteln, wo sich die Mehrheit mit Hartz IV eingerichtet hat und den Kindern vermittelt wird, dass man eigentlich nicht arbeiten muss. Der Bund der Steuerzahler verdeutlicht das schon heute mangelnde Lohnabstandsgebot mit Zahlen: Ein Paar mit zwei Kindern erhält über die Hartz-Sätze (Lebensunterhalt, Miete und Zuschüsse) insgesamt 1928 Euro netto im Monat. Dafür müsste es brutto 2540 Euro oder das doppelte des Mindestlohnes von knapp 17 Euro pro Stunde verdienen. Bei drei Kindern bezahlt der Steuerzahler 2381 Euro, was einem Bruttoeinkommen von 3300 Euro entspricht. Macht einen Stundenlohn von rund 20 Euro. Der Präsident des Instituts für Weltwirtschaft in Kiel, Dennis Snower, folgert daraus: „Hartz IV ist nur für Hochqualifizierte eine Bedrohung. Vielen Geringqualifizierten ermöglichen die staatlichen Hilfen dagegen einen Lebensstandard wie Erwerbstätigen.“ Warum sich also mit Arbeit plagen, wenn dann auch noch die Sanktionen wegfallen? Dies um so mehr, da Grüne und SPD nicht nur mögliche Sanktionen streichen, sondern auch die Fürsorgeleistungen insgesamt erhöhen wollen. 

Sogwirkung auf Migranten? 

Immerhin: Habeck beziffert die Kosten für seine Garantiesicherung auf dreißig Milliarden Euro pro Jahr, die durch die Schließung ominöser „Steuerschlupflöcher“ und höhere Reichensteuer finanziert werden sollen. Die SPD verzichtet auf Preisschilder, um nur ja keine Wähler zu verschrecken. Doch vereint sind Grüne und Genossen in dem Glauben, dass durch ein staatliches Bürgergeld die Abwehrkräfte gegen Rechts und der Zusammenhalt der Gesellschaft gestärkt werden können. Gerade die SPD-Spitze verkennt dabei, dass ihre – noch verbliebenen – Anhänger von einem ausgesprochenen Gerechtigkeitsgefühl geprägt sind. Nicht die Hartz-Reformen an sich haben das linke Lager verstört, sondern eine als ungerecht empfundene Gleichmacherei: Dass der Facharbeiter, der Jahrzehnte Beiträge bezahlt hat, im Falle des Job-Verlustes nicht besser behandelt wird als jene, die nie auch nur einen Cent in die Sozialkassen einbezahlt haben. Gerade auf Migranten dürfte diese einzigartige Geldmaschine eine Sogwirkung ausüben.

Die wurmt vor allem die klassische SPD-Klientel aus der Mittelschicht. Sie ist es, die seit Jahren vergeblich auf versprochene Steuerentlastungen wartet. Stattdessen frisst der Progressionsbauch im Hochsteuerland Deutschland die bescheidenen Lohnerhöhungen auf. Um kümmerliche zehn Milliarden wollen die Finanzminister von Bund und Ländern die Abgabenlast senken– bei Rekordeinnahmen in diesem Jahr von bald 800 Milliarden Euro. Munter verplant die schwarz-rote Bundesregierung auch die Mehreinnahmen in den Sozialkassen. Die kümmerliche Senkung der Rentenbeiträge von 18,6 auf 18,3 Prozent wird durch höhere Beiträge zur Pflegeversicherung und das teure neue „Rentenpaket“ aufgesogen. 

Das Gegenteil des Gutgemeinten 

Der grünen Klientel, die zu großen Teilen zu den Besserverdienenden oder staatlich Alimentierten zählt, scheint dies alles nichts auszumachen. Wohl aber den traditionellen SPD-Wählern, die sich ihren Wohlstand selbst erarbeitet haben – und nun verbittert mit ansehen müssen, wie sich ihr einstiger „Betriebsrat der Nation“ zum „Sozialamt der Nation“ verzwergt. Aktuelle Umfragen verorten die einstige Volkspartei bei 14 bis 16 Prozent. So erreicht eine Politik, die vorgibt, den bürgerlichen Zusammenhalt zu stärken, das Gegenteil des Gutgemeinten: Sie frustriert ihre wahren Leistungsträger und spaltet die Gesellschaft erst recht.

 

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