Debatte um akademischen Grad - „Völkerrechtlerin ist keine geschützte Berufsbezeichnung“

Viel Wirbel um Annalena Baerbock: Sie hat keinen Bachelor, allerdings einen britischen Master im Völkerrecht. Darf sie sich also als Völkerrechtlerin bezeichnen? Plagiatsjäger Gerhard Dannemann erläutert die Unterschiede akademischer Abschlüsse an deutschen und britischen Universitäten.

Die grüne Kanzlerkandidatin zusammen mit dem Bundesvorsitzenden Robert Habeck / dpa
Anzeige

Autoreninfo

Dr. Pascale Anja Dannenberg hat Medienwissenschaft studiert. Sie ist Online-Redakteurin bei Cicero.

So erreichen Sie Pascale Anja Dannenberg:

Anzeige

​Professor Dr. Gerhard Dannemann ist Rechtswissenschaftler. Von 1991 an lehrte er Deutsches Recht an britischen Hochschulen. Seit 2003 ist er an der Humboldt-Universität zu Berlin Professor für Englisches Recht. Darüber hinaus beteiligt er sich an VroniPlag Wiki, in dem Hochschulschriften auf Plagiate überprüft werden.

Professor Dannemann, wie bewerten Sie die Entscheidung der London School of Economics and Political Science (LSE), die grüne Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock mit allein einem Vordiplom in Politikwissenschaft sowie dem Nebenfach Öffentliches Recht und entsprechenden Leistungsnachweisen nach insgesamt vier Studienjahren in Hamburg im Jahr 2004 für ein Masterstudium Völkerrecht zuzulassen?

Die LSE bietet für den „Master of Laws“ (LL.M) Spezialisierungen an wie etwa „Public International Law“, das macht nicht jede britische Universität. Standard-Voraussetzung für einen LL.M ist der „Bachelor of Laws“ (LL.B). Ich weiß aber, es gab Fälle, wo die britischen Kollegen durchaus wussten, dass man in Deutschland tendenziell fünf Jahre braucht für einen Diplom-Studiengang oder eine Erste Staatsprüfung, selbst wenn man flott ist. Da hat man dann gelegentlich Absolventen aus Deutschland nach dreijährigem Studium und Zwischenprüfung zugelassen. So hat die LSE offenbar 2004 für Deutschland alternativ ein Vordiplom/eine Zwischenprüfung und weitere zwei Semester für die LL.M-Zulassung ausreichen lassen. Das kann mal vorkommen; man kann in England einen LL.M machen ohne LL.B, das geht bis heute.

Und der Wechsel von Politikwissenschaft mit Nebenfach Öffentliches Recht zum Völkerrecht ist dort auch möglich?

Das kommt auf die Fachrichtung an. Bei Völkerrecht ist Politikwissenschaft nahe liegend, so wie man vielleicht auch jemanden einen LL.M in Commercial Law studieren lässt, der von der Betriebswirtschaft kommt.

Rechtfertigen muss sich Frau Baerbock jetzt auch für ihren herausragenden LL.M-Abschluss.

Ja, offensichtlich hat sie „with distinction“, also mit Auszeichnung abgeschlossen, zumindest legt das das Zeugnis nahe, was jetzt im Internet kursiert. Das ist die höchste Notenstufe, die in der Urkunde ausgewiesen wird (die anderen sind „with merit“ und „pass“). Die genauen Noten werden in Prozentstufen ermittelt. Man kann allerdings nichts Genaues dazu sagen, solange man nicht weiß, welche Einzelnoten sie bekommen hat.

Angeblich hat Baerbock mit ihrer LL.M-Abschlussarbeit nur 67 Prozent erreicht, das ist ausreichend für „Distinction“?

Damit dürfte sie seinerzeit zu den besten 15 bis 25 Prozent ihres Jahrgangs gehört haben. Mehr als 75 Prozent werden praktisch nie vergeben, ab 70 Prozent hat man die Bestnote „First“. 67 Prozent ist ein oberes „Upper Second Class“.

Sind Inhalte und Abschlüsse an britischen und deutschen Universitäten überhaupt vergleichbar?

Wenn Frau Baerbock nach fünf Jahren in Deutschland ihren Diplomabschluss gemacht hätte, wäre sie für deutsche Verhältnisse flott gewesen, doch für englische Verhältnisse läge sie schon ein Jahr über dem Soll. Das Masterstudium schließen Studenten der Geisteswissenschaften und Sozialwissenschaften an britischen Universitäten nach vier Jahren ab, für den „Bachelor of Science“ (B.Sc.), den besagten „Bachelor of Laws“ (LL.B) und den Bachelor of Arts (B.A.) studiert man drei Jahre. Britische Universitäten hatten schon zu Beginn der Studienzeit von Frau Baerbock, also zum Beginn des Jahrtausends, ein ziemlich verschultes, vorstrukturiertes Studium, auch wenn ansonsten einiges nicht ganz kompatibel war zur Bologna-Reform.

… die just zu jener Zeit in Europa mit der Umstellung von Diplom-/Magisterabschlüssen auf Bachelor-/Masterabschlüsse zu einer Vereinheitlichung der europäischen Studiengänge führen sollte. Doch wie lässt sich nun ein juristisches Staatsexamen mit einem Masterabschluss vergleichen?

Für ein Staatsexamen muss man deutlich mehr Stoff bewältigen. Wir haben in Deutschland keinen Bachelor oder Master als juristischen Abschluss. Für einen LL.B sind nur wenige Kernfächer nötig, damit haben Sie in England nach drei Jahren einen Abschluss, mit dem Sie in die weitere praktische Ausbildung durchstarten können. Das ist in Deutschland kaum zu schaffen.

Darf Baerbock sich als Völkerrechtlerin bezeichnen? Sie sagte ja mal, Robert Habeck komme vom Hause her von Hühnern, Schweinen, Kühe melken, sie selbst eher aus dem Völkerrecht – wenngleich Habeck mit einer literaturwissenschaftlichen Arbeit promoviert wurde.

Nun, Baerbock dürfte sich nicht als Volljuristin bezeichnen, dafür benötigt man zwei Staatsexamen. Völkerrechtlerin ist keine geschützte Berufsbezeichnung, soweit ich weiß. Und sie hat ja nun mal einen LL.M-Abschluss im Völkerrecht.

Wie ist der Abschluss an der LSE einzuschätzen?

Die LSE ist eine der bekanntesten britischen Universitäten. Ich lehrte ja selbst unter anderem in Oxford, diese Universität und Cambridge schneiden in universitären Rankings meist noch etwas besser ab. Aber die LSE ist sicherlich eine der besten Universitäten überhaupt für Politikwissenschaft und Wirtschaftswissenschaft und dürfte auch für Jura zu den besten zehn Fakultäten im Land gehören. So oder so gehört die LSE zu den besten Universitäten. Und Baerbocks LL.M war zeitlich keine Abkürzung, denn die meisten ihrer Kommilitonen haben wohl nur vier Jahren fürs Studium gebraucht.

Es liegt also nicht nahe, zu behaupten, Baerbock habe wohl keine große Lust aufs Studium gehabt und daher den „abgekürzten“ UK-Master gewählt?

Wie gesagt, die LSE hat einen sehr guten Ruf, man muss sehr gut sein, um einen Studienplatz zu bekommen. Und wer dort einen Master „with distinction“ ablegt, darf darauf stolz sein. Ich beschäftige mich ja in meiner Arbeit mit wissenschaftlichem Fehlverhalten, und das scheint mir damit gar nichts zu tun haben.

Doch haben sich die Grünen nicht blamiert, da sie es selbst waren, die Falsches über Baerbock in Umlauf gebracht haben? So etwa die Heinrich-Böll-Stiftung, die vorgeblich beim Übersetzen geschlampt und aus einem Vordiplom einen Bachelor gemacht hat?

„Vordiplom“ lässt sich nicht leicht ins Englische übersetzen, aber ein „Bachelor“ ist das jedenfalls nicht.

Die Fragen stellte Pascale Anja Dannenberg ​

Anzeige