SPD in der Krise - „Wir haben hochbegabte Frauen“

Erhard Eppler, Grandseigneur der deutschen Sozialdemokratie, fordert SPD-Chef Martin Schulz zum Rücktritt auf und plädiert für eine Nachfolgerin

„Ein Wahlergebnis wie im September hatte es früher allenfalls in Bayern gegeben“ / picture alliance
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Christoph Schwennicke war bis 2020 Chefredakteur des Magazins Cicero.

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Herr Eppler, Sie haben sich zusammen mit Hans-Jochen Vogel für eine Minderheitsregierung aus Union und Grünen unter Duldung der SPD ausgesprochen. Warum diese Lösung?
Meine Partei hat sich in den ersten fünf Minuten nach der ersten Hochrechnung bei der Bundestagswahl entschieden, in der Opposition zu bleiben. Ich habe das nicht für besonders klug gehalten, weil man ja nie weiß, was kommt. Und jetzt geht es darum klarzumachen, dass es in der SPD keine Lindners gibt.

Das heißt, dass die staatspolitische Verantwortung wahrgenommen wird?
Dass wir immer auch das Ganze im Blick haben müssen, und der Ehrgeiz bei den Einzelnen etwas beschränkter ist als bei anderen.

Die Duldung ist doch für die SPD die schlechteste beider Welten: Weder hat sie dann Gestaltungsmöglichkeit in einer Regierung, noch kann sie richtig harte Opposition machen.
Die führenden Figuren von Union und SPD haben nun insgesamt acht Jahre gemeinsame Arbeit hinter sich, man kennt einander, man weiß, mit wem man reden muss, wenn es brenzlig wird. Von daher glaube ich, dass das gut klappen kann.

Das Argument kann man auch umdrehen. Wer sich so gut kennt, kann auch gleich koalieren. Warum nicht konsequenterweise eine Große Koalition?
Das hat der SPD-Parteivorstand ja leider abgelehnt.

Dahinter kommt man nicht mehr zurück?
Schwer. Hans-Jochen Vogel und ich wollten mit unserem Vorschlag eine Brücke bauen.

Warum sollte sich Angela Merkel auf diese Lösung einlassen?
Weil sie jenseits dessen keine andere Möglichkeit hat außer Neuwahlen. Ich meine, ich kann mir nicht vorstellen, dass Union und Grüne sich nochmal auf Lindner einlassen, ohne zu wissen, wann der gerade Lust hat, abzuspringen. Also muss sie in eine andere Richtung gucken, und das ist dann die SPD.

Sie schießen sich auf den FDP-Chef ein. Hat die SPD bisher mit dem kategorischen NEIN zu einer großen Koalition nicht auch auf eine Art den Lindner gemacht?
Ja, leider. Und ohne Not. Die SPD hat in zwei Großen Koalitionen gute Arbeit geleistet. Das hat niemand bezweifelt. Und in beiden Großen Koalitionen ist sie massiv bestraft worden für das, was sie gemeinsam mit der Union und zum Besten dieses Landes geleistet hat. Das steckt natürlich tief in einer solchen Partei.

Welche Rolle spielt bei Ihrem Vorschlag eine Gesichtswahrung für Martin Schulz?
Wenn ich ehrlich bin: keine große.

Das erstaunt mich.
Es ist doch so: Wenn die SPD ihre Position als große Volkspartei verteidigen will und ich glaube, sie hat das Potenzial dazu, dann kann sie nicht mit Führungskräften zur Wahl antreten, die ganz offenkundig bei der Mehrheit der Bevölkerung eher Abwehr hervorrufen.

Sie machen Martin Schulz persönlich für die 20,5 Prozent bei der Bundestagswahl verantwortlich und finden, er sollte die Konsequenzen ziehen und zurücktreten?
Ja. Ich bin hier in Baden-Württemberg mal wegen 32,5 Prozent in einer Landtagswahl zurückgetreten – in einem Bundesland, wo wir immer nur knapp über den 30 Prozent lagen.

Sie sind das Langzeitgedächtnis der SPD. Gibt es Situationen, die Sie in Ihrem politischen Leben erlebt haben, die vergleichbar dramatisch waren?
Nein. Ein Wahlergebnis wie jetzt im September, das hatte es ja früher allenfalls in Bayern gegeben. Gerade wenn man so alt ist wie Vogel und ich, dann ist es auch im Vergleich zu den frühen Jahren der Bundesrepublik ein katastrophales Ergebnis. Und das ist mit ein paar kleinen Verschiebungen im Programm  nicht zu überwinden.

Sondern?
Personell. Wir haben eine ganze Anzahl hochbegabter Frauen. Sie sehen ja, wie Angela Merkel als Frau, und das ist eigentlich ein gutes Zeichen für diese Republik, voll angenommen wird. Die SPD muss auch weiblicher werden und sich nicht scheuen, Frauen auch an die Spitzen zu wählen.

Andrea Nahles ist Fraktionschefin geworden.
Ja. Wir haben jetzt eine Fraktionschefin. Warum sollen wir nicht auch eine Parteivorsitzende bekommen? Dagegen spricht nichts.

Wer konkret: Andrea Nahles, Malu Dreyer oder Manuela Schwesig?
Ich will mich da nicht festlegen. Fest steht: Auf der weiblichen Seite haben wir begabte Frauen, die auch Vertrauen erwecken. Nicht jeder unserer intelligenten männlichen Politiker erweckt Vertrauen. Das ist eines unserer größten Probleme.

Dieses Vertrauen hat bei der Bundestagswahl am 24.September für die SPD gefehlt?
Natürlich hat das gefehlt, anders ist das ja gar nicht zu begreifen, dass wir bei 20 Prozent gelandet sind.

Die SPD wird all das auf ihrem nächsten Parteitag noch vor Weihnachten diskutieren. Werden Sie dort sein?
Wahrscheinlich nicht. Wissen Sie: erstens sind größere Reisen für einen gut 90-jährigen nicht gerade angenehm, und zweitens kann Hans-Jochen Vogel ganz sicher nicht. Und deshalb mag ich auch nicht kommen.

Erhard Eppler, 91, gilt als Grandseigneur der deutschen Sozialdemokratie. Er war Bundesminister in Bonn und langjähriger SPD-Landesvorsitzender in Baden-Württemberg.

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