Digital-Debakel von Martin Schulz - Wie die Urlaubsgrüße von Tante Trudel

SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz hat im Wahlkampf nicht nur auf die falschen Themen gesetzt, sondern auch auf das falsche Social-Media-Team. Seine Postings durchzieht gepflegte Langeweile. Witz und Spritzigkeit sucht man vergeblich

Der digitale Wahlkampf von Martin Schulz und der SPD läuft unter dem Motto „stets bemüht” / picture alliance
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Jonas Hermann hat in Heidelberg Philosophie studiert und als Autor für die FAZ und die WELT geschrieben. Derzeit volontiert er bei der Allgemeinen Zeitung.

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Das Wort sitzt wie festgeschraubt in seinem Hinterkopf und will nicht herauskommen. SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz wird in der ZDF-Sendung „Klartext“ gefragt, wie er junge Menschen erreichen möchte. Das versucht er auch, per Instagram – aber es dauert, bis ihm der Name des populären Fotonetzwerks einfällt. Schulz hat wenig Ahnung von den sozialen Medien. Also braucht er dienstbare Geister, die seinen Wahlkampf dort organisieren. Doch die sind weit davon entfernt, in den sozialen Medien die Lufthoheit zu erringen. Nur wenige Postings ziehen, gefloskelte Langeweile ist der Maßstab und zwischendurch dürfen sich talentierte Eigentorschützen verwirklichen.

„Habe eben mit 4000 UnterstützerInnen telefoniert. Es ging u. a. um unsere Bildungspolitik. Ich wollte aber auch einfach mal danke sagen“, war im August auf Schulz Twitter-Profil zu lesen. Natürlich kann niemand gleichzeitig mit 4000 Leuten telefonieren, auch nicht Super-Schulz, wie ihn Spötter nennen. Für die war der Tweet eine Steilvorlage. „Ich wollte auch mal ,Danke’ sagen. Dieser Account liefert beständig Lehrmaterial für PR-Schulen – wie man’s nicht macht“, war einer der Kommentare dazu. Der Schulz-Tweet bezog sich auf eine Telefonschalte, in der er zu Wählern gesprochen hatte. Schulz muss nicht wissen, dass solche Aktionen heute über Facebook-Live laufen. Aber er müsste Leute haben, die es ihm sagen. 

Erstaunlich zahnlos

Viele von Schulz Tweets wirken für einen Herausforderer im Bundestagswahlkampf erstaunlich zahnlos: Grillen in Landsberg, kurzer Wetterreport aus Kiel, Geburtstagswünsche an Peter Maffay. Wenn einer Merkel die Kanzlerschaft entreißen will, aber im Netz klingt wie die Urlaubsgrüße von Tante Trudel, wirkt das nicht gerade überzeugend. Oder versuchen seine Leute damit, Merkels entpolitisierte Art zu kopieren? Die Botschaft bin ich – das funktioniert wohl nur für Merkel. 

Klar liest man von Schulz auch politische Tweets und manche davon sitzen auch. In Erinnerung bleiben aber eher die Aussetzer. Zum Beispiel: „Warum bekommen unsere Töchter Ø 21% weniger Gehalt als unsere Söhne?“ Die Zahl von 21 Prozent ist zumindest umstritten. Die SPD plakatiert zwar auch mit der Zahl, aber es ist schwerer, mit dem Edding „Fake-News“ auf ein Wahlplakat zu schmieren, als den Kampfbegriff unter einen Tweet zu klopfen. Schulz Team setzte ihn mit dem Tweet ohne Not dem Fake-News-Vorwurf aus. „Man kann mich als Mann nicht schlimmer beleidigen, als wenn man mich wegen meines Geschlechts einer Frau vorzieht“, twitterte Schulz im März. CDU-Generalsekretär Peter Tauber verwandelte genüsslich: „Nicht beleidigt sein: Die meisten ziehen eh Angela Merkel vor.“ Unter Schulz schräger Gleichberechtigungs-These findet sich kaum ein zustimmender Kommentar. Das zeigt, wie schlecht der Tweet selbst im Rot-Grünen-Milieu zündete.  

Viel weniger Follower als Merkel

Auch die Zahlen sprechen nicht für Schulz. Ihm folgen rund eine halbe Million Menschen auf Twitter. Zum Vergleich: Bayern-Torwart Manuel Neuer hat vier Millionen Follower. Merkel ist gar nicht auf Twitter, sondern verlässt sich auf Facebook und Instagram. 

Dort sieht es für Schulz kaum besser aus. Facebook ist bildorientierter als Twitter – und Schulz fehlen dort offensichtlich bissige Memes, also Bilder mit griffigem Kurztext darauf, wie man sie aus dem US-Wahlkampf kennt. Memes zielen aufs Bauchgefühl und verbreiten sich waldbrandartig, wenn sie bei den Leuten Emotionen auslösen. Nach Zahlen ist Schulz ebenfalls im Hintertreffen. Ihm folgen bei Facebook etwa eine halbe Million Menschen, Merkel 2,5 Millionen. Bei Instagram hat Merkel mehr als zehn Mal so viele Follower wie Schulz und präsentiert sich mit staatsmännischem Gestus. Schulz postet austauschbare Wahlkampf-Momente und wirkt onkelhaft. 

Spontanität und Authentizität fehlen

Die Deutschen sind im internationalen Vergleich nicht sonderlich netzaffin und Wahlkämpfe werden hier nicht per Social Media entschieden. Aber in den sozialen Medien sind die Meinungsmacher unterwegs – gerade bei Twitter. Wer sich hier als Fettnäpfchentreter präsentiert, macht das vor Leuten mit publizistischem Gewicht, wie zum Beispiel Bild-Chefreporter Paul Ronzheimer. „Es tut immer wieder aufs Neue weh, zu sehen, was die Social-Media-Abteilung von Martin Schulz von sich gibt“, schrieb Ronzheimer kürzlich bei Twitter. Sein Bild-Kollege Filipp Piatov beobachtet die Schulz Profile in den sozialen Medien seit Monaten und sagt: „Schulz fröhliche Posts in der Ich-Form können über andere Mängel der Kampagne nicht hinwegtäuschen. Zudem sind sie nicht wirklich authentisch. Man spürt, dass da ein Social-Media-Team dahinter steckt.“ 

Der Kommunikationsberater Hasso Mansfeld sieht das ähnlich. Genau wie der Spiegel-Journalist Jan Fleischhauer geht er davon aus, dass Schulz innerlich aufgegeben hat und sich auf eine Niederlage vorbereitet. „Die haben jetzt total die Bremse drin“, sagt Mansfeld. Bei Schulz Auftritten vermisst er mehrere Zutaten, die in den sozialen Medien wertvoll sind: Spritzigkeit, Witz und spontane Äußerungen. Das wird laut Mansfeld am Vergleich zum Twitter-Profil von Donald Trump deutlich. „Trump wird zwar seiner Rolle als US-Präsident nicht gerecht, bei Twitter ist er aber total authentisch.“ 

Trump hat gezeigt, wie's geht

Trump hatte für seinen Wahlkampf rund 500 Millionen Dollar weniger Budget zur Verfügung als Hillary Clinton. Im Gegensatz zu ihr setzte er aber auf eine moderne Digitalstrategie und harte Attacken in den sozialen Netzwerken. Das wäre für Schulz auch möglich gewesen. Merkels Politik liefert genug spaltbares Material für Kritiker. FDP und AfD zeigen, wie sie sich in den sozialen Medien aufs Korn nehmen lässt. Kommunikationsexperte Mansfeld sagt: „Martin Schulz wartet auf seine Erlösung am Sonntag um 18 Uhr.“ Vielleicht gilt das auch für sein Social-Media-Team. 

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