Abzug aus Incirlik - „Sicherheitspolitisch ist das nicht zu Ende gedacht"

Das Kabinett hat den Abzug der deutschen Soldaten vom türkischen Nato-Stützpunkt Incirlik beschlossen. Für den früheren General und Berater im Kanzleramt, Erich Vad, ist der Schritt fragwürdig. Besuchsrechte von Abgeordneten sollten im Kampf gegen den Terror keine Rolle spielen

Abflug aus Incirlik. Deutsche Tornados sollen künftig von Jordanien aus starten / picture alliance
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Herr Vad, Deutschland gibt den Standort in Incirlik auf. Das bedeutet, dass ein Nato-Mitglied aufgrund eines bilateralen Streits seine Soldaten aus einem anderen Nato-Mitgliedsland abzieht. Das ist wohl ein einmaliger Vorgang. Wie bewerten Sie das?
In der Tat. Ich kann mich nicht an einen ähnlichen Fall erinnern, dass ein Nato-Land einen Partner quasi dazu zwingt, seine Truppen abzuziehen. Man muss bei der Bewertung sicherlich zwischen der innen- und der außenpolitischen Ebene unterscheiden. Innenpolitisch konnte die Türkei offenbar nicht klein beigeben und Deutschland ebenfalls nicht. Beiden Ländern geht es da auch um die politische Gesichtswahrung.

Und außenpolitisch?
Da muss man sich schon die Frage stellen, ob die Besuchsrechte von Abgeordneten wirklich so wichtig sind, dass darunter die sicherheitspolitische Handlungsfähigkeit der Anti-IS-Koalition leidet. Da habe ich Bedenken. Trotz seiner innenpolitischen Entwicklung ist und bleibt die Türkei ein sehr wichtiger geopolitischer Partner und Akteur in einer für den Westen sehr wichtigen Region. Selbst wenn wir abziehen, können wir uns aus strategischen Gründen nicht ernsthaft aus der Region verabschieden.

Eine Partnerschaft, die die deutsche Politik jetzt bereit ist, zu opfern?
Eigentlich herrscht über die strategisch entscheidende Rolle der Türkei Konsens, und das wird auch so bleiben. Das hat Außenminister Sigmar Gabriel ja auch betont. Andererseits geraten Abgeordnete wie Claudia Roth in Rage, weil sie die deutschen Truppen nicht besuchen können. Obwohl es gut ist, wenn die Grünen verspätet ihr Herz für die Bundeswehr entdecken, laufen wir doch Gefahr, dass das Besuchsrecht von Abgeordneten und die schwierige Situation mit der Türkei wahltatktisch instrumentalisiert wird. Das kann man in einem Wahljahr nachvollziehen. Aber sind nicht die sicherheitspolitische Handlungsfähigkeit des Westens im Kampf gegen den Islamischen Staat und unser außenpolitisches Verhältnis zu einem Nato-Partner höherwertiger? Ein vorwiegend innenpolitisch motivierter Abzug aus der Türkei ist jedenfalls für das Bündnis und den Kampf gegen den Terror keine gute Entwicklung.

Erich Vad. © Dirk Bruniecki

Solche Überlegungen muss es doch auch im Außenministerium gegeben haben. Wie kann es sein, dass die innenpolitischen Abwägungen offenbar wichtiger schienen?
Das ist nun einmal der Haken in Demokratien, dass man gerade im Wahlkampf keine politisch gefährlichen Fässer öffnen oder offene Flanken für die Opposition bieten möchte. Man kann sich schon vorstellen, was los gewesen wäre, wenn man regierungsseitig in Berlin gesagt hätte, dass man trotz des bestehenden Besuchsverbots in Incirlik bleiben möchte. Die deutsche Regierung wird zudem für ihre Abzugsentscheidung eine breite Zustimmung im Parlament erreichen, bis in die Linkspartei hinein. Das nimmt man natürlich gern mit. Es ist eine Art innenpolitische Win-win-Situation für Regierung wie Opposition. Aber eigentlich ist es nicht in Ordnung, sicherheitspolitische Fragen primär aus wahltaktischen Gründen und innenpolitischen Motiven heraus zu entscheiden.

Kann es denn im Interesse der Bundeswehrsoldaten sein, wenn die jetzt nach Jordanien verlegt werden? Laut des Wehrbeauftragten des Bundestages, Hans-Peter Bartels, ist es dort doch deutlich weniger sicher als in der Türkei.
Für einen Soldaten macht das erstmal keinen großen Unterschied. Der Flughafen in Jordanien wird auch gut abgesichert sein. Aber natürlich exponiert Deutschland sich dort viel stärker – politisch, militärisch und was die Sicherheit der Soldaten anbelangt als in einem Nato-Partnerland. Man muss auch sehen, was die Verlegung der deutschen Flugzeuge im Verhältnis zu anderen Partnern bedeutet und welches politische Signal man damit aussendet.

Nämlich?
Deutschland hat den Einsatz seiner Mission in Incirlik aufgrund der Terroranschläge in Frankreich im Herbst 2015 begonnen. Der damalige Präsident François Hollande hatte damals die europäische Solidarität eingefordert. Und Deutschland hat sich daran beteiligt, im Wesentlichen nach der EU-Beistandsverpflichtung. Das war richtig. Aber heute stelle ich mir natürlich die Frage: Warum wird der Abzug aus Incirlic jetzt nicht mit Frankreich abgestimmt? Gabriel hätte doch mit Emmanuel Macron oder seinem französischen Kollgen Jean-Yves Le Drian eine gemeinsame Position gegenüber der Türkei finden können. Und dann die Eile jetzt: Es gab doch bereits im vergangenen Jahr ein Besuchsverbot für Abgeordnete, das die Türkei wieder aufgehoben hatte. Jetzt einfach trotzig nach Jordanien abzuziehen, ist nach den gegenseitigen Vorwürfen von Türken und Deutschen zwar emotional verständlich, aber nicht wirklich außen- und sicherheitspolitisch zu Ende gedacht. Damals war es ein wichtiges Signal an Frankreich und Ausdruck der europäischen Solidarität mit unserem wichtigsten europäischen Partner.

Kommen wir von der symbolischen zur konkreten Bedeutung des Abzugs. Wie entscheidend ist das Bundeswehr-Kontingent in Incirlik eigentlich? 1500 US- Soldaten sind dort stationiert. Deutschland stellt nur etwa 250 Soldaten, außerdem sind die Flugzeuge nicht an direkten Einsätzen beteiligt.
Der militärische Beitrag Deutschlands in der internationalen Anti-Daesh Koalition ist sicherlich militärisch nicht substanziell. Er hat eher symbolische Bedeutung. Die deutschen Aufklärungs-Tornados sind in ihrer Technologie veraltet wie leider nicht wenige Systeme der Bundeswehr. In militärisch-operativer Hinsicht fällt der durch die Verlegung nach Jordanien entstandene Ausfall der deutschen Flugzeuge in keiner Weise ins Gewicht.

Wie wirkt sich die symbolische Bedeutung für die Nato aus? Hat der deutsch-türkische Streit das Bündnis in eine Krise geführt?
Es ist eher eine Krise zwischen Deutschland und der Türkei. Insbesondere die USA sehen in der Türkei einen nicht ersetzbaren Bündnispartner. Das ist in der Sache auch richtig. Beide Seiten wollen aber augenscheinlich alles dafür tun, die Spannungen nicht ausufern zu lassen. Außenminister Gabriel ist den Türken bei seinen Gesprächen wirklich sehr entgegengekommen, indem er unter anderem für mehr Verständnis und Empathie für die Türkei im Hinblick auf den Staatsstreich vom 15. Juli vergangenen Jahres warb. Das hat aber bekanntlich wenig Eindruck auf seine Gesprächspartner gemacht. Bisher haben wir es also vorrangig mit einem bilateralen deutsch-türkischen Problem zu tun. Man muss aber auch klar sagen, dass der deutsche Abzug auch nicht gut für die Türkei ist. Dass die Deutschen einem Land wie Jordanien mehr vertrauen als einem Nato-Bündnispartner wirft am Ende auch kein gutes Licht auf die Türkei.

Wird die Türkei jetzt noch stärker von Europa und vom Westen wegdriften?
Soweit würde ich nicht gehen. Den Türken ist schon klar, dass Deutschland in der Anti-IS-Koalition kein strategisch unverzichtbarer Schlüsselpartner ist. Trotzdem müssen auch sie sich fragen, ob der deutsche Abzug ein angemessener Preis für kurzlebiges, innenpolitisches Prestige ist.

Erich Vad ist promovierter Historiker und Brigadegeneral a.D. des Heeres der Bundeswehr. Von 2007 bis 2013 war er in der außen- und sicherheitspolitischen Abteilung im Bundeskanzleramt tätig.

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