Streit um den Islam - Ideologie und Wirklichkeit

Über die Frage, ob der Islam zu Deutschland gehöre, inszenieren Horst Seehofer und Angela Merkel ein realitätsfernes Schauspiel. Zu den tatsächlichen Herausforderungen der Integration ist von ihnen dagegen wenig zu hören

Muppetshow und intellektuelle Unterforderung: die Debatte um den Islam / picture alliance
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Christoph Seils war Ressortleiter der „Berliner Republik“ bei Cicero bis Juni 2019. Im Januar 2011 ist im wjs-Verlag sein Buch Parteiendämmerung oder was kommt nach den Volksparteien erschienen.

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Diese Woche haben Angela Merkel und Horst Seehofer noch einmal dafür genutzt, im Bundestag ein großes politisches Schauspiel zu inszenieren. Doch wenn das der Stil ist, mit dem die beiden Schwesterparteien in den kommenden Jahren miteinander umgehen, dann nimmt das für CDU und CSU kein gutes Ende.

Der Reihe nach: Am Mittwoch steht im Bundestag die Regierungserklärung auf der Tagessordnung. Die Kanzlerin und CDU-Vorsitzende setzt sich zu ihrem Innenminister und CSU-Vorsitzenden, der in sich gekehrt in der dritten Reihe der Regierungsbank im Bundestag sitzt. Sie redet ihm gut zu. „Ich mag dich“, scheint sie dem Horst signalisieren zu wollen, „auch wenn ich dich gleich öffentlich abwatschen werde“. Es folgt der zweite Akt: Angela Merkel tritt an das Redepult des Bundestages, erklärt mit den 4,5 Millionen in Deutschland lebenden Muslimen sei auch „ihre Religion, der Islam, inzwischen ein Teil Deutschlands geworden“. Und dann fügt sie, ohne sich zur Regierungsbank umzudrehen, noch generös hinzu: Viele hätten ein Problem damit, „diesen Gedanken anzunehmen – und das ist auch ihr gutes Recht“.

Der so Gescholtene schickt nach einem kurzen Zwischenspiel, das die Vertreter anderer Parteien bestreiten, seinen Adlatus ans Mikrofon und lässt ihn im dritten Akt widersprechen. „Wir sind ein klar christlich geprägtes Land“, so der CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt und: „Der Islam gehört nicht zu Deutschland.“ Horst Seehofer, der mittlerweile auf der Regierungsbank in der ersten Reihe sitzt, schmunzelt wie er häufig schmunzelt, vor allem auch dann, wenn er an der Seite seiner „Freundin Angela“ steht. Vorhang zu. Man fühlt sich an die Muppet-Show erinnert, dabei sollen Merkel und Seehofer eigentlich das Land regieren, Probleme lösen, die Probleme zumindest beim Namen nennen und Lösungswege aufzeigen.

Eine Debatte, die intellektuell unterfordert

So nimmt die Debatte um die Frage, ob der Islam zu Deutschland gehört, immer skurrilere Züge an. Eine politische Debatte, die intellektuell vor allem deshalb unterfordert, weil sie ein Bekenntnis einfordert, wo eine differenzierte Betrachtung der Wirklichkeit vonnöten wäre. Eine Debatte, die spaltet und polarisiert, weil sie wie in einem Binärsystem nur die Pole plus und minus kennt. Die Unterscheidung, dass zwar die Muslime dazu gehören, aber nicht der Islam, macht es nicht besser. Im Gegenteil. Dabei hatten CDU und CSU sich zusammen mit der SPD eigentlich vorgenommen, das Land in dieser Legislaturperiode versöhnen zu wollen, „die Spaltung unserer Gesellschaft“ zu überwinden.

CDU und CSU haben sich zudem vorgenommen, aus jenen Fehlern der vergangenen zweieinhalb Jahre zu lernen, die zu den dramatischen Verlusten der Union bei der Bundestagswahl 2017 geführt hatten. Im Bundestagswahlkampf hieß das Schauspiel „Obergrenze“, die CSU sagte: „Her damit.“ Die CDU: „Nein, nicht machbar.“ Seehofer sagte, ich trete nur in eine Obergrenzenregierung ein, Merkel antwortete, „ich möchte sie nicht. Garantiert. Ich halte sie auch nicht für praktikabel.“ So nahm das Unheil seinen Lauf, die Union präsentierte sich bei der politischen Frage, die die Wähler im Wahlkampf am meisten bewegte, zerstritten.

Die absolute Mehrheit der CSU ist in Gefahr

Die CSU trieb die CDU vor sich her und führte so die Bundesregierung, der beide Parteien angehörten, als handlungsunwillig und handlungsunfähig vor. Kein Wunder, dass die Wahl für beide Parteien mit Rekordverlusten endete. Und erst als sich mit dem Wahlergebnis für CDU und CSU ein politischer Abgrund aufgetan hatte, einigten sich beide Parteien auf einen Kompromiss im Streit über die Obergrenze. Anschließend zogen sie auch in den Koalitionsverhandlungen ganz überwiegend an einem Strang, sodass in den Medien sogar schon von einer Versöhnung zwischen Merkel und Seehofer die Rede war. Ein Irrtum, wie man inzwischen weiß. Erneut wiederholt sich Geschichte als Farce. Für die beiden Landtagswahlen im Herbst in Hessen und Bayern verheißt das nicht Gutes, vor allem das CSU-Projekt, die Verteidigung der absoluten Mehrheit in Bayern, gerät so in Gefahr.

Die Wähler warten derweil auf konkrete Antworten, darauf, dass die neue Bundesregierung das tut, wofür sie gewählt wurde. Oder, um die Bundeskanzlerin aus ihrer Regierungserklärung zu zitieren: „Wir haben eine übergeordnete Aufgabe, eine ganz bestimmte Verantwortung, nämlich die, alle Diskussionen so zu führen, dass am Ende durch konkrete Politik, durch konkrete Entscheidungen der Zusammenhalt in unserem Land größer und nicht kleiner wird, also der Zusammenhalt aller, die dauerhaft in Deutschland leben, ob mit oder ohne Migrationshintergrund.“

Keine konstruktiven Vorschläge

Konkrete Politik? Konkrete Entscheidungen? Von Seehofer und Merkel war dazu zuletzt jenseits ihrer politischen Schauspieleinlagen wenig zu hören. Welche verbindenden Werte und Regeln gibt es im Einwanderungsland Deutschland? Wie lässt sich der Rechtsstaat stärken? Wie lässt sich der Einfluss ausländischer Religionsbehörden auf die Muslime in Deutschland eindämmen? Wie viel Geld muss in das Bildungssystem investiert werden, damit es Integration gewährleisten kann? Wie kann der soziale Wohnungsbau verstärkt werden? Die Herausforderungen, vor denen das Land nach der Flüchtlingskrise 2015 steht, sind gewaltig. Mit der Ankündigung, islamistische Gefährder und abgelehnte Asylbewerber konsequenter abzuschieben, wird es nicht getan sein.

Die Regierung könnte sich zudem der Erarbeitung eines Einwanderungsgesetzes widmen und darin die Frage beantworten, wie sich die Zuwanderung zugleich steuern und begrenzen lässt. In welchem Verhältnis stehen dabei die Zuwanderung aus humanitären Gründen und jene nach den Erfordernissen des deutschen Arbeitsmarktes? Und: Wie kann das Asylrecht wieder in erster Linie den tatsächlich politisch Verfolgten gerecht werden, statt dass es von Menschen, die in Deutschland ein besseres Leben suchen, als Zuwanderungsweg genutzt wird? Manches steht dazu im Koalitionsvertrag, ein Gesamtkonzept ist jedoch nicht zu erkennen.

Immerhin: Die Islamkonferenz, die der neue Innenminister von seinen Vorgängern geerbt hat, will Horst Seehofer fortsetzen. So hat er es versichert. Aber bestimmte Ziele verknüpft er damit nicht. Wie auch, wenn er sein Adlatus Dobrindt verkünden lässt, der Islam gehöre sogar „egal in welcher Form“ nicht zu Deutschland. Da kann man die Islamkonferenz eigentlich auch absagen.

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