Neue Bundestagspräsidentin - Bärbel wer?

Mit Bärbel Bas übernimmt nach dem politischen Schwergewicht Wolfgang Schäuble eine kaum bekannte Politikerin das zweithöchste Amt im Staat. In ihrer Antrittsrede forderte die aus einfachen Verhältnissen stammende Duisburgerin die Parlamentarier dazu auf, den Menschen mehr zuzuhören – und nicht nur denen, die laut schreien.

Die SPD-Politikerin Bärbel Bas kurz nach ihrer Wahl zur Bundestagspräsidentin / dpa
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Moritz Gathmann ist Chefreporter bei Cicero. Er studierte Russistik und Geschichte in Berlin und war viele Jahre Korrespondent in Russland.

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Bärbel Bas – so heißt seit dem heutigen Tag die neue Präsidentin des Deutschen Bundestags, gewählt mit 576 von 724 Stimmen. Die 53-jährige Sozialdemokratin, die nun (nach dem Bundespräsidenten) die laut Verfassung zweithöchste Amtsträgerin in Deutschland ist, kannten vor dem heutigen Tag allerdings nur politische Insider: Seit 2009 im Bundestag, hatte die Gesundheitspolitikerin aus Duisburg kaum für Schlagzeilen gesorgt, gehörte nicht zum Standardpersonal der Talkshows. Im politischen Betrieb werden solche auf Bundesebene wenig sichtbaren Politiker gerne als „Hinterbänkler“ bezeichnet, was allerdings wenig über ihre tatsächliche politische Arbeit aussagt.

Bas bemühte sich am heutigen Nachmittag, gleich in ihrer Antrittsrede Akzente zu setzen – keine leichte Aufgabe als Nachfolgerin des „alten Hasen“ Wolfgang Schäuble, der den Posten seit 2017 bekleidet hatte. Bas dankte Schäuble für seine Führung des Bundestags in einer Zeit, in der mit dem Einzug der AfD der Ton im Parlament wieder rauer wurde: „Als Bundestagspräsident haben Sie die Kontroverse ermöglicht und zum Streit ermutigt, aber Sie haben auch Grenzen gesetzt, wenn es nötig war.“

Nicht Demos, Twitter und Facebook sollen die Politik bestimmen

Gleichzeitig rief die Sozialdemokratin, die selbst aus einfachen Verhältnissen im Duisburger Arbeiter-Stadtteil Walsum stammt und sich nach dem Hauptschulabschluss hochgearbeitet hat, die Parlamentarier dazu auf, auf die Bürger zuzugehen, „vor allem auf die, denen die Politik fremd geworden ist“. Dazu gehöre auch, dass Politik verständlich sei, „schwierige juristische Fragen in die Sprache“ zu übersetzen, „die in unserem Land gesprochen und verstanden wird“. Hatte Bas hier Kritik an der auch unter Politikern zunehmenden Mode versteckt, ihre Reden mit Binnen-I und Ähnlichem zu zieren?

Bas wurde noch deutlicher: Beachtung sollten nicht nur jene finden, deren Äußerungen in Talkshows, auf Twitter und Facebook Aufregung auslösen. „Kümmern wir uns auch ganz bewusst um die Mitte der Gesellschaft.“ Das seien Menschen, „die an Demonstrationen vorbeigehen, aber nie demonstrieren würden, die zu erschöpft sind, um sich in Initiativen zu engagieren, die vollauf damit beschäftigt sind, ihre Kinder und ihre alternden Eltern zu versorgen, die gestrandet sind oder die unsere Sprache nicht sprechen, denen die Mittel fehlen, auf eigenen Beinen zu stehen.“ Sie alle hätten auch Interessen, berechtigte Interessen, und sie hätten wenig Gelegenheit, sich Gehör zu verschaffen. Ist das die oft zitierte „schweigende Mehrheit“, von der Bas da spricht, „das Volk“, das Populisten jeglicher Couleur immer wieder für sich vereinnahmen?

Bas, die selbst der „Parlamentarischen Linken“ angehört, also dem linken SPD-Flügel, forderte die Abgeordneten wie schon zuvor Schäuble auf, neben den wichtigen Themen Klimawandel, Asyl und Migration, Digitalisierung und inklusive Gesellschaft das Wahlrecht auf die Tagesordnung zu setzen. „Ich wünsche mir eine Reform, die den Namen verdient. Jetzt aber wirklich!“ Da sprach sie auch ihrer eigenen Fraktion ins Gewissen, die gemeinsam mit der Union in der vergangenen Wahlperiode nur eine Minireform hervorgebracht hatten, die eine weitere Aufblähung des Bundestags nicht verhindern konnte: Mit 736 sitzen so viele Parlamentarier wie noch nie im Parlament.

Nazi-Vergleiche in der ersten Sitzung

Welchen Ton wird Bas gegenüber jenen Abgeordneten anschlagen, die den Bundestag als Bühne für Provokationen nutzen? Zu Anfang der heutigen Sitzung hatten die Geschäftsführer von AfD und Die Linke, Bernd Baumann und Jan Korte, unschöne Beispiele geliefert: Baumann erinnerte daran, dass vor 2017 nur 1933 die Nazis die Regel verletzt hätten, dass der älteste Abgeordnete die konstituierende Sitzung leitet – damals zugunsten von Hermann Göring. Korte entgegnete: „Gleich in der ersten Sitzung die braune Widerlichkeitsskala derart in die Höhe zu treiben, das ist immerhin respektvoll.“ Und polemisierte weiter dagegen, dass ausgerechnet die AfD – Baumann hatte gefordert, mehr Demokratie zu wagen – Willy Brandt zitiere, „Sie, die Sie in der Tradition der Nazis stehen“.

Schäuble wies Korte für diese Äußerung zurecht, und auch Bärbel Bas gab in ihrer Rede zu verstehen, dass sie Grenzen setzen werde, forderte gegenseitigen Respekt. „Wir sind nicht hier, um einander persönlich zu bekriegen.“ Hass und Hetze seien „keine Meinung“.

Rückt die Union nach rechts?

Die Sache mit dem gegenseitigen Respekt hatte sich allerdings wenige Minuten später schon wieder erledigt: Da wählten die Parlamentarier mit klaren Mehrheiten Aydan Özoğuz (SPD), Yvonne Magwas (CDU/CSU), Claudia Roth (Grüne), Wolfgang Kubicki (FDP) und Petra Pau (Linke) zu Bas‘ Stellvertretern – der AfD-Kandidat Michael Kaufmann erhielt mit 118 Stimmen immerhin 36 Stimmen von anderen Parteien, blieb aber weit unter der nötigen Mehrheit von 369 Stimmen. Was die Einheitsfront aller Parteien gegenüber der AfD betrifft, dürfte sich in dieser Legislaturperiode kaum etwas ändern.

Interessant und richtungsweisend wird in den nächsten Wochen dagegen die Frage sein, ob es der FDP gelingt, sich im Parlament neu zu positionieren: Bisher sitzen die Liberalen eingezwängt zwischen Union und AfD auf der rechten Seite des Parlaments. Weil sie sich aber eher links von der Union sehen – und die Nähe zur AfD scheuen –, wollen sie eine Veränderung der Sitzordnung bewirken. Die Chancen, das mit den Stimmen der Ampelkoalition zu erreichen, stehen gut. Die Union würde dadurch – zumindest im Parlament – nach rechts rücken.

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