Böllerverbot in Deutschland - Rohrkrepierer zu Silvester

Bund und Länder haben wegen Corona den Verkauf von Feuerwerkskörpern verboten. Das ist reiner Aktionismus, der Arbeitsplätze kostet – und epidemiologisch sogar kontraproduktiv sein könnte.

Vom Zoll beschlagnahmte „Polen-Böller“ in Frankfurt/Oder im Jahr 2016 / dpa
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Moritz Gathmann ist Chefreporter bei Cicero. Er studierte Russistik und Geschichte in Berlin und war viele Jahre Korrespondent in Russland.

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In vielen Familien im sächsischen Freiberg wird in diesem Jahr eine getrübte Stimmung unterm Weihnachtsbaum herrschen: Der nordrhein-westfälische Feuerwerkshersteller WECO hat die Schließung des Produktionsstandorts bekanntgegeben, nachdem Bund und Länder beschlossen hatten, dass es auch in diesem Jahr keinen Verkauf von Feuerwerkskörpern in Deutschland geben wird. 100 Mitarbeiter, die schon seit dem letzten feuerwerksfreien Silvester um ihre Jobs bangen mussten, müssen nun endgültig gehen. Wer denkt eigentlich an diese Menschen?

In Freiberg wird das die Akzeptanz der staatlichen Corona-Politik sicher nicht befördern. Aber auch über Sachsen hinaus darf man sich die Frage stellen, ob diese Maßnahme gegen die Ausbreitung des Coronavirus nicht in den Ordner „wenig durchdachter Aktionismus“ einsortiert werden kann. Ungeachtet der Tatsache, dass heute YouGov vermeldet, zwei Drittel der Deutschen unterstützten das Böllerverbot. Schließlich sind auch knapp 60 Prozent der Deutschen der Meinung, im Dienste des Klimaschutzes sollten weiter Atomkraftwerke betrieben werden – die Regierenden kümmert das wenig.

Weniger Böllern bedeutet weniger Verletzungen

Ein Argument ist nicht von der Hand zu weisen: Weniger Böllern bedeutet weniger Verletzte bedeutet weniger Arbeit für Ärzte und Krankenpfleger, die in vielen Krankenhäusern der Republik wegen Corona an der Grenze ihrer Belastbarkeit arbeiten. Im Unfallkrankenhaus Berlin wurden in der ersten „böllerfreien“ Silvesternacht 2020/21 nur zehn Patienten mit Verletzungen eingeliefert, die von Feuerwerkskörpern stammen, drei davon schwer verletzt. In „normalen“ Jahren sind es zwischen 50 und 75 und entsprechend mehr Schwerverletzte, denen Finger oder Hände amputiert werden müssen.

Gegen diese Maßnahme von Bund und Ländern spricht aber eine ganze Reihe von Argumenten. Dass der Branchenverband der Feuerwerksindustrie im Eilverfahren Klage einlegt, ist deshalb richtig. Auch wenn die Aussichten auf Erfolg gering sind.

Denn natürlich wird auch in diesem Jahr geböllert werden, werden Raketen in den Himmel steigen und Frösche knallen: Menschen in grenznahen Gebieten fahren einfach rüber nach Polen, Tschechien, Belgien oder in die Schweiz, um sich einzudecken. Aber auch online gibt es inzwischen genügend Möglichkeiten, sich „Polen-Böller“ nach Hause schicken zu lassen. Dass dabei viel Ware ins Haus kommt, die nicht der strengen deutschen Zertifizierung unterliegt, ist offensichtlich – entsprechend höher ist das Risiko.

Bund Deutscher Kriminalbeamter gegen Böllerverbot

Auch wird insbesondere in Osteuropa nicht so genau hingeschaut, wer sich da die dicken Böller kauft: So kommen Feuerwerkskörper in die Hände von Kindern und Jugendlichen, die damit nicht umgehen können. Alles Gründe, die den Bund Deutscher Kriminalbeamter Sachsen, dessen Beamte sich mehr als andere mit den sprengkräftigen „Polen-Böllern“ auskennen, dazu bringen, sich gegen das Böllerverkaufsverbot auszusprechen.

Wie und wo an Silvester mit „Altbeständen“ oder aus dem nahen Ausland importiertem Feuerwerk geböllert wird, können Städte und Gemeinden je nach Bundesland individuell regeln. In Berlin zum Beispiel wird es wie im Vorjahr „Böllerverbotszonen“ auf großen Plätzen und Kreuzungen geben. Außerhalb dieser Zonen haben die Polizisten dann aber keine Handhabe. In Sachsen ist die Regelung besonders streng: Schon das Mitführen von Feuerwerkskörpern außerhalb der Wohnung ist verboten. (Eine Auflistung der Regelungen je nach Bundesland finden Sie hier.)

Epidemiologisch kontraproduktiv

Gegen die Maßnahme spricht auch das wirtschaftliche Fiasko für die deutschen Hersteller von Raketen und Böllern: 100 Arbeitsplätze in Freiberg sind weg. Seinen Hauptsitz in Nordrhein-Westfalen erhält WECO zwar, aber auch dort sind die 250 Mitarbeiter seit letztem Jahr in Kurzarbeit, weil die Lager voll sind mit Ware von 2020. Wie es weitergeht – ungewiss. Das gilt ebenso für die insgesamt 3000 Menschen, die die Branche in diesem Land beschäftigt.

Nun zur derzeit wichtigsten, der epidemiologischen Auswirkung der Maßnahme: Die könnte am Ende sogar negativ sein. Aerosolforscher wie der vom Tagesspiegel befragte Gerhard Scheuch gehen davon aus, dass die Gefahr, sich mit dem Coronavirus anzustecken, in Innenräumen 20 mal höher ist als an der frischen Luft. Inwiefern ist nun der Eindämmung der Ansteckungen gedient, wenn die Menschen sich nicht wie üblich an der frischen Luft versammeln, um Raketen in den Himmel zu schießen und Sekt zu trinken, sondern den Jahreswechsel mit Freunden, Verwandten und Nachbarn in Wohnungen und Häusern begehen werden? Richtig. Überhaupt nicht.

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