Ingeborg Schäuble - „Wolfgang wird nicht gerne 70“

Wolfgang Schäuble ist an diesem Dienstag 70 geworden – der Mann mit der vielleicht härtesten Politikerlaufbahn der letzten Jahrzehnte. Wer ist die Frau, die diesen Weg mitgegangen ist?

(picture alliance) Ingeborg Schäuble: „Wolfgang wird nicht gerne 70“
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Es ist auf den ersten Blick unvorstellbar, dass die schmale Frau mit der leisen Stimme das alles gemacht haben soll. Dass sie als Mädchen in Südbaden mit dem Traktor die Wege hochgebolzt ist. Dass sie fast allein vier Kinder großgezogen hat. Sich in den Angolakrieg einfliegen ließ. Und dass sie jede Etappe der vielleicht härtesten deutschen Politikerbiografie der vergangenen Jahrzehnte mitgegangen ist: den Weg ihres Mannes, Wolfgang Schäuble.

Sitzt man Ingeborg Schäuble eine Weile gegenüber in einem Gartencafé in Berlin-Grunewald, dann meint man freilich, Anhaltspunkte für die Stärke dieser Frau auszumachen. Die kräftigen Hände zum Beispiel oder diese Spur von Bestimmtheit in ihren leisen Sätzen. Auf die Frage, wie sie reagiert, wenn ihr Mann unduldsam wird, sagt sie bloß: „Ich nehme das dann gar nicht erst zur Kenntnis.“

An diesem Dienstag ist der Finanzminister 70 Jahre alt geworden. "Er behauptet, dass er jetzt alt würde“, sagt Ingeborg Schäuble. „Er wird nicht gerne 70. Und das ist nicht so einfach, für Männer schon gar nicht."

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Die Unionsfraktion wird ihn im Deutschen Theater in Berlin feiern und die CDU Baden-Württemberg in seiner südbadischen Heimat. Eine Biografie ist erschienen und eine Fernsehdokumentation ausgestrahlt worden. Die Leute beschäftigen sich wieder mit der Frage, wie Wolfgang Schäuble das alles aushalten kann.

Und Ingeborg?

Die glücklichen Momente in der Kindheit von Ingeborg Hensle spielen vor dem weichen, hügeligen Grün des Kaiserstuhls. Aus dem Weinbaugebiet stammt ihre Mutter, und die fährt von Freiburg, wo die Familie wohnt, häufig zu den Verwandten. Ingeborg und ihre zwei Geschwister kommen mit, sie helfen im Weinberg oder bei der Obsternte. Nach der Knochenarbeit vespern alle zusammen unter einem Baum. In der Szene liegen einige Dinge, die Ingeborg Schäuble prägen: Das Vergnügen kommt nach der Arbeit. Und die Familie ist das Wichtigste.

Nach dem Abitur studiert sie Volkswirtschaft. In der Freiburger Mensa trifft sie einen Jurastudenten. Sie heiraten. Wolfgang und Ingeborg, das ist zunächst auch beruflich eine gleich starke Beziehung. Sie fängt beim Freiburger Pharmaunternehmen Gödecke an, er beim Finanzamt. Manchmal kocht er ihr Linsen mit Spätzle. Eines Abends ruft die Junge Union an und trägt Wolfgang Schäuble die erste Bundestagskandidatur an. Er sagt zu, er gewinnt, da hat ihn die Politik. Meist bringt sie ihn Montagnacht um halb zwölf zum IC nach Bonn. „Und dann war er für die ganze Woche weg.“

Seite 2: „Ich hätte nie meinen Mann vor die Entscheidung gestellt – die Politik oder ich.“

Obwohl sie schon zwei Kinder haben, lässt sie sich zur Lehrerin ausbilden. Aber als sie es geschafft hat, kommt das dritte Kind. Sie entscheidet, nur für die Familie da zu sein, wenn schon der Vater in Bonn ist. Fragt man sie, ob sie mit der Politik konkurriert habe um diesen Mann, sagt sie: „Ich hätte nie meinen Mann vor die Entscheidung gestellt – die Politik oder ich.“

1990 schießt ein geistig Verwirrter auf Wolfgang Schäuble. Er überlebt. Aber das Leben nach dem Überleben ist ein Kampf, auch für seine Frau. Die Verben klingen hart, wenn sie über diese Zeit redet. Durchstehen, verzichten. 1991 bucht sie eine Reise nach Ägypten, sie muss raus, sie macht das nur für sich.

Fünf Jahre später wird sie zur Vorstandsvorsitzenden der Welthungerhilfe gewählt. Sie reist zu den Projekten. Einmal, 1999 in Angola, muss ihr Flugzeug lange über der eingekesselten Stadt Balambo kreisen, um nicht abgeschossen zu werden. Aber sie will den Menschen dort unbedingt Mut machen. Sie prangert die Ölkonzerne an, die die Kassen von Angolas Kriegsherren füllen. Ihr Amt besteht auch aus viel Kleinarbeit. Alleine tingelt sie im Regionalexpress zu den Initiativen und Weihnachtsbasaren. „Für keinen Termin war sie sich zu schade“, sagt Simone Pott, die Sprecherin der Welthungerhilfe. „Sie war nie eine Charity-Lady.“

Neben ihrem Amt bei der Welthungerhilfe betreut sie in dieser Zeit ihre pflegedürftige Mutter, sie hat sie zu sich nach Berlin geholt. Sie muss das machen, so ist sie, das ganze Leben kümmert sie sich um andere, um die Kinder, die Mutter, die Hungernden der Welt und um den Mann im Rollstuhl. „Es ist ja nicht so, dass man nichts für sich tut, wenn man für andere etwas tut“, sagt sie. „Aber ich habe immer gedacht, meine Zeit kommt noch.“

2008 gibt sie das Amt bei der Welthungerhilfe ab. 2010 ist ihr Mann so krank, dass er während einer Brüssel-Reise in die Klinik muss. Schon tags darauf verlässt er das Krankenhaus wieder, der Chefarzt ist fassungslos. Keine ärztliche Begleitung, kein Krankenwagen, nur Wolfgang und Ingeborg verlassen die Klinik.

Der Minister erholt sich. 2011 stirbt Ingeborg Schäubles Mutter.

Auf einmal hat sie Zeit. Sie ist 68. Sie beschließt, einfach mal nicht so viel zu machen. Der Haushalt, aber sonst: Lesen, Radfahren, Leute treffen, Fitnessstudio. Es ist fast ein Wunder, dass der Pflichtmensch Ingeborg Schäuble so unbefangen über Freizeit sprechen kann.

Und paradox: Während man bei Wolfgang Schäuble bisweilen den Eindruck hat, er tue alles, um nicht von unverplanter Zeit überrumpelt zu werden, hat sich Ingeborg Schäuble diese Zeit erkämpft. „Ich nutze die gewonnenen Freiräume“, sagt sie. Vielleicht zum ersten Mal lebt sie einfach so in den Tag hinein. Sie kann es sich leisten, die Frau, an der man sehen kann, welche Größe darin liegt, für andere da zu sein.

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