„Fuel Pass“ in Griechenland und Sri Lanka - Ein großer Sprung in Richtung Sozialkreditsystem

Die Energiekrise im Zuge des Ukraine-Kriegs trifft die deutsche Bevölkerung hart. Noch sind wir aber nicht im Ausnahmezustand. Wohin große Umbrüche und Zeitenwenden führen können, zeigt das Chaos in Sri Lanka. Um der Krise Herr zu werden, nutzt man nicht nur dort unkonventionelle Mittel, die sehr an die Maßnahmen der Corona-Politik erinnern: Nach Bologna, Rom und Wien macht nun auch Griechenland einen großen Sprung in Richtung Sozialkreditsystem.

Benzin nur gegen digitalen Nachweis: Schlange vor einer Tankstelle in Sri Lanka / dpa
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Philipp Fess hat Literatur-, Kunst- und Medienwissenschaften studiert und arbeitet als Journalist in Karlsruhe.

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Krisen kann man auch Gutes abgewinnen. Ja, das klingt gerade in der aktuellen Situation nach Beschwichtigung, Galgenhumor, fast schon: Selbstbetrug. Es klingt nach Herbst 2020, als die Bundesregierung lethargische Couch-Potatoes als „#besonderehelden“ feierte, weil diese sich ihrem „Schicksal“ ergeben hatten, dem fragwürdigen Lockdown-Befehl der Regierung zu folgen. Aber der Satz behält trotzdem seine Richtigkeit: Denn die Corona-Krise war (und ist leider immer noch) wirklich für etwas gut: und zwar dafür, (beim eigentlichen Souverän) das Bewusstsein für Freiheit und Eigenverantwortung zu schärfen. Und das ist auch dann dringend gefragt, wenn es nicht um Gesundheit, sondern um den Geldbeutel geht.

Die Bedrohung hat einen anderen Namen, aber die Angst, in der wir uns wie im freien Fall auch noch an die freiheitsfeindlichste Lösung klammern, ist dieselbe. Und wer die Erschütterung der Zivilgesellschaft in der Corona-Krise einmal verdaut hat, weiß, dass Grundrechte besonders gerne über Bord geworfen werden, wenn sich der Lösung als bequeme Entlastung präsentiert: Normal ist eben eine Frage der Zeit. Während wir in Deutschland noch Zeit für eine Kehrtwende haben, ist es 8000 Kilometer südöstlich von uns sehr wahrscheinlich schon zu spät. Sri Lanka lebt das deutsche Worst-Case-Szenario. Nicht nur, was den gesellschaftlichen Zerfall durch eine (forcierte) Wirtschaftskrise angeht, sondern auch im Hinblick auf eine totalitäre Instrumentalisierung des Ausnahmezustands.    

Digitale Rationierung

Auf dem Inselstaat kam dieser mit Ansage, denn Sri Lanka steckt nicht erst seit gestern in Schwierigkeiten. Was unter der Herrscherfamilie um den mittlerweile zurückgetretenen Präsidenten Gotabaya Rajapaksa durch Korruption, Misswirtschaft sowie eine fehlgeleitete Steuerpolitik nicht zerstört werden und durch Corona- und Ukraine-Krise nicht zum Erliegen gebracht werden konnte, besorgte spätestens die überstürzte Agrarwende, bei der Rajapaksa im Mai 2021 quasi über Nacht ein Verbot chemischer Düngemittel anordnete, das die Bauern um ihre Ernte und das Land um seine Wirtschaftsgrundlage brachte. Sri Lanka war nun (und davor warnen uns auch die deutschen Landwirte) mehr denn je auf Importe angewiesen und verlor mit seiner Tee-Ernte die wichtigste Devisenquelle (also: US-Dollar). Durch die Preisexplosionen brach in der Bevölkerung schließlich das Chaos aus – und das wiederum rief ungewöhnliche Mittel auf den Plan, um der Situation Herr zu werden. Eines davon ist der Anfang August eingeführte „National Fuel Pass“.

Wie das Blog The Counter Signal und die indische Zeitung Economic Times Ende Juli berichteten, verhinderte der enorme Mangel an Währungsreserven die Einfuhr von Kraftstoff und anderen lebenswichtigen Gütern. Der knappe Sprit sorgte für zusätzliche Spannungen auf den Straßen: Sri Lankas Tankstellen werden seit Beginn der Unruhen von bewaffneten Militärs bewacht, die laut einem Bericht des Daily Mirror bei Vorfällen im Mai bereits das Feuer auf Randalierer eröffnet haben sollen. Zum Glück versicherte der deutsche Bundeskanzler erst jüngst, dass in Deutschland nicht auf Demonstranten geschossen werden solle, auch wenn diese teilweise vom Verfassungsschutz belangt werden und die Bundeswehr (auch nach Corona weiterhin) im Inneren eingesetzt werden soll, zum „Heimatschutz“. Aber zurück nach Sri Lanka.

Auf Beschluss des Interimspräsidenten (und ehemaligen Premiers) Ranil Wickremesinghe teilte Energieminister Kanchana Wijesekera am 16. Juli auf Twitter mit, dass für die Dauer eines Monats Benzin und Diesel nur noch an Besitzer „systemrelevanter Fahrzeuge“ ausgegeben werde. Um eine Zapfsäule zu bedienen, mussten sich die Betroffenen ab dem 1. August mit ihrem Personalausweis auf einer Regierungswebsite registrieren. Dann erhielten sie einen QR-Code, den sie auf ihrem Smartphone oder ausgedruckt vorzeigen konnten. Wie der Energieminister betonte, wurde Kraftstoff nur an Tankstellen geliefert, die das QR-System nutzten. Bevor wir auf die Tragweite dieser Entscheidung und ihre mutmaßlich tieferliegenden Beweggründe zurückkommen, machen wir noch eine kurzen Ausflug nach Griechenland.

Die Wiege der Technokratie

Denn sicher kann man im Falle von Sri Lanka das mittlerweile allzu gut bekannte Argument anführen, dass die digitale Tankstellen-Politik eine effiziente Notlösung darstellt, an der im Notstand eben kein Weg vorbeiführt. Nun herrscht in Griechenland aber gerade kein Chaos, und trotzdem arbeitet die Regierung offenbar daran, über die Benzinversorgung eine Infrastruktur für die Digitale Identität aufzubauen.

Seit dem 26. April hat die griechische Regierung für ihre Bürger ein Entlastungspaket im Angebot. Anders als in Deutschland wird aber nicht einfach „mit der Gießkanne“ verteilt, sondern ganz gezielt an die Bedürftigen. Personen, deren Einkommen im Jahr 2020 weniger als 30.000 Euro betragen hat, können sich auf einer Regierungswebsite unter Angabe von Steuernummer, E-Mail und der Nummer ihres Mobiltelefons bewerben, um in den Genuss eines einmaligen Sprit-Zuschusses von 30 bis 50 Euro zu kommen. „Die Steuerzahler reagierten mit Eifer auf das Angebot“, hieß es in den ersten Medienberichten. Das Programm heißt „Fuel Pass“.  

Verwaltungstechnisch ist es vergleichbar mit dem Fuel Pass auf Sri Lanka. In Griechenald dürfen die Bedürftigen hingegen wählen, ob sie eine Gutschrift auf ihr Bankkonto oder eine digitale Karte bevorzugen. In der Beschreibung des Fuel Pass II, der im Juli präsentierten Neuauflage des (ursprünglich ebenfalls nur für einen Monat geplanten) Erfolgsmodells, wird allerdings schon klar, was der griechischen Regierung eigentlich lieber ist: Personen, die sich für die digitale Karte entscheiden, bekommen nun 15 Euro (April: fünf Euro) mehr ausgezahlt. So etwas nennt man (trotz des vergleichsweise niedrigen finanziellen Anreizes) Nudging oder auf Deutsch: Verhaltenssteuerung. Dass die in Griechenland zum Einsatz kommt, ist aber nicht verwunderlich, wenn man weiß, dass die Regierung auf dem Gebiet der digitalen Identität noch Großes vorhat.      

„Digitale Spuren“ statt physische Ausweise

Wie – ebenfalls – die Plattform The Counter Signal berichtet, arbeitet Griechenland nämlich an der flächendeckenden Einführung der digitalen Brieftasche, des sogenannten ID Wallets (Eine Technologie, über die Cicero hier und hier bereits berichtete). Diese soll zunächst nur dazu dienen, Führerscheine und andere Ausweispapiere – „bequem“ und „mit einem Klick“ – auf das Smartphone zu laden. Doch die Regierung verschweigt auch nicht, dass die Brieftasche bald weitaus mehr persönliche Informationen speichern soll.

„In Zukunft werden weitere Dokumente in die Anwendung aufgenommen, wie zum Beispiel Angaben zur Registrierung, zur Zahlung der Zulassungsgebühren, zu den Ergebnissen der technischen Fahrzeuginspektion (VOT) und zum nächsten Inspektionstermin, zu den Versicherungsdaten usw.“, zitiert The Counter Signal eine Pressemitteilung des griechischen Ministeriums für digitale Verwaltung. „Wir schaffen ein System für Banken [sic!] und Telekommunikationsanbieter, das am 1. Oktober anläuft, sowie für Behörden, die vom Benutzer einen Ausweis verlangen“, heißt es von Digitalminister Kyriakos Pierrakakis in der Mitteilung weiter. „Anstelle von Kopien des Personalausweises wird eine digitale Spur erstellt. Damit wird ein digitaler Nachweis für etwas geschaffen, das bisher nur schwer in physischer Form vorgelegt werden konnte.“ So viel zur oben genannten tieferliegenden Motivation.  

Der Kanarienvogel im Kohleschacht

Sri Lankas Tankstellenprogramm mag tatsächlich dazu beitragen, dass die systemrelevante Mobilität in der Krise sichergestellt werden kann. Andererseits gab es auch eine Zeit, in der Regierungen mit vergleichbaren Krisen konfrontiert waren und ohne den „digitalen Zwilling“ damit fertig wurden. Die Nutzung der technischen Möglichkeiten ist, wie in den meisten Fällen, nicht das Problem (auch wenn Technologien nie „neutral“ sind, aber das ist ein anderes Thema). Kann gewährleistet werden, dass die Daten ausschließlich für die immer wieder – so auch von der EU – als Argument vorgebrachte Verwaltungsersparnis genutzt werden und vor Missbrauch geschützt sind, ist nichts dagegen einzuwenden. Falls nicht, haben wir ein Problem. Glücklicherweise gibt es noch einige wache Geister in der Tech- und Informatik-Welt, die sich trauen, diese vermeintlich fortschrittsfeindlichen Bedenken zu teilen. Folgendes wäre Ihnen aber vielleicht schon wieder zu weit hergeholt:

Denn es ist möglicherweise kein Zufall, dass gerade Sri Lanka der – wie das indische Nachrichtenportal WION formuliert – „Kanarienvogel im Kohleschacht“ ist. Abgesehen von der Schuldenkrise, vor der die Weltbank im Februar unmittelbar vor Beginn des Ukraine-Kriegs warnte und die unter anderem Länder wie Ägypten, Libanon, Argentinien oder die Türkei (und damit letztlich die ganze Welt) empfindlich treffen könnte, ist Sri Lanka auch in anderer Weise Vorbote – oder Versuchskaninchen, je nach dem wie man das sehen möchte.

Labor für internationale Finanzorganisationen

Dass der mittlerweile im Amt bestätigte neue Präsident Ranil Wickremesinghe hinter dem Beschluss des Fuel Pass steht, wundert insofern nicht, als sich der 73-Jährige schon früher für eine Transformation des Landes im Einklang mit der Agenda 2030 stark gemacht hat. Dazu gehörte etwa die mit 500 Millionen Dollar projektierte Umwandlung der Hauptstadt Colombo in eine Smart City („Colombo Megapolis“) für die 2016 Siemens und 2021 das US-Unternehmen Viper Networks als Partner im Gespräch waren. In einer Rede vor dem Weltwirtschaftsforum 2018 betonte Wickremesinghe außerdem, dass sich sein Land als „Knotenpunkt im Indischen Ozean“ der „Bedeutung der Auslandsnachfrage für ein nachhaltiges, hohes und langfristiges Wachstum bewusst“ sei. Die Rede trug den Titel „This is how I will make my country rich by 2025“. Doch es sollte bekanntermaßen anders kommen.

Mit dem Versprechen, sich gegenüber Auslandsinvestoren zu öffnen, erfüllt(e) Wickremesinghe auch die Ansprüche der westlichen Gläubiger – namentlich der Weltbank und des Internationalen Weltwährungsfonds (IWF) –, die Sri Lanka nun auch wieder mit Milliardenkrediten aus dem Schlamassel holen sollen. Der Ökonom und ehemalige Zentralbankchef W.D. Lakshman bezeichnete Sri Lanka schon 1985 als „weiteres Labor“ für IWF und Weltbank, die als Gegenzug für die Vergabe von Krediten ihre Empfängerstaaten nach neoliberalen Prinzipien umbauen („Privatisierung, Deregulierung, Liberalisierung“) – ein Vorgehen, das manche Kritiker als Form des Postkolonialismus bezeichnen. Die Weltbank fungiert dabei zugleich als Ventil für die Vergabe von Krediten nach den Maßstäben der Agenda 2030 (sogenannte Sustainable Development Bonds), die Plänen zufolge auch Sri Lanka entlang der ESG-Kriterien (Economic, Social, Governance) aus der Schulden- und Devisenkrise führen sollen.

Auf dem „Knotenpunkt im indischen Ozean“ überlagert sich darüber hinaus die Interessensphäre der USA mit der Chinas. Die totalitäre Volksrepublik hat ebenfalls in Infrastrukturprojekte auf dem Inselstaat investiert und ist bereit, dem Land Milliardenkredite zu zahlen. Und „das macht den Westen nervös“, heißt es in einem Bericht des National Public Radio (NPR).

Digitale Währungen und der Überwachungsstaat

Den Visionen des Weltwirtschaftsforums entspricht der neue Präsident Sri Lankas aber nicht alleine mit den nachhaltigen Entwicklungszielen, für die das WEF (zusammen mit nicht gerade für ihre soziale Ader berühmten Organisationen wie BlackRock) öffentlichkeitswirksam einzutreten vorgibt. Der Fuel Pass könnte in Sri Lanka (und eben auch in anderen von Energiekrisen gebeutelten Ländern) zugleich den Grundstein für ein anderes Vorhaben legen, das Davos sehr am Herzen liegt, und das ist die Einführung einer digitalen Zentralbankwährung (Central Bank Digital Currency, CBDC), möglicherweise gepaart mit einem vom WEF ebenfalls befürworteten „bedingungslosen“ Grundeinkommen. Bürger- und Klimageld in Deutschland könnten in diesem Sinne ein guter erster Ansatz sein. Vielleicht gibt man aber erst den Bedürftigen, dann den Konformen?

Der Wirtschaftsjournalist Norbert Häring zeigt in seinem jüngsten (Video-)Beitrag, wie neben Bologna und Rom immer mehr Städte und Länder (zuletzt auch Kanada) unter dem Versprechen, durch Digitalisierung die Verwaltung zu verschlanken, zunehmend die Infrastruktur für ein System errichten, in dem der Zahlungsverkehr aller Bürger nicht nur überwacht, sondern potenziell auch an deren Wohlverhalten angepasst werden kann. Die Sorge vor einem solchen technokratischen Überwachungsstaat mit Sozialkreditsystem untermauert er darin mit einem durchaus glaubwürdigen Vertreter: Edward Snowden. Auch dieser warnt nämlich vor dem digitalen Zentralbankgeld als dem „bösen Zwilling“ der Kryptowährungen – und bestätigt damit: Das Bewusstsein für Freiheit und Eigenverantwortung ist auch dann dringend gefragt, wenn es um den Geldbeutel geht.

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