Wahlsieg von Donald Trump - Die Rache der Abgehängten

Fast niemand hatte mit einem Präsidenten Donald Trump gerechnet. Doch der Hass auf die Eliten ist in den USA offenbar gerade in der weißen Mittelschicht größer als angenommen. Das deutet auf eine wachsende Entfremdung zwischen Politik und Bevölkerung hin, die uns auch in Deutschland blühen könnte

Es ist tatsächlich passiert: Donald Trump wird neuer Präsident der USA / picture alliance
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Nach dem Brexit-Votum in Großbritannien wachen Deutschland und Europa heute zum nächsten Schock auf. Das Undenkbare ist passiert: Donald Trump ist zum Präsidenten der USA gewählt worden. Das wichtigste Amt der Welt wird nun von einem Geschäftsmann von zweifelhaftem Ruf und Fernseh-Star geführt werden, der noch nie einen politischen Posten bekleidet hat. Fast niemand hatte ernsthaft damit gerechnet. Die Börsen nicht, die prompt einbrachen. Die deutsche Regierung nicht, aus der es bis zuletzt hieß, dass es keine Kontakte und keine Zugänge zu Beratern des republikanischen Kandidaten gebe. Die Demoskopen nicht, die stets einen mehr oder weniger klaren Sieg von Hillary Clinton vorausgesagt hatten. Und die kanadische Einwanderungsbehörde nicht, deren Homepage wohl aufgrund der vielen Besuche von US-Amerikanern in der Wahlnacht nicht mehr erreichbar war. Vor allem aber die Demokraten in den USA hatten einen Sieg Trumps nicht für möglich gehalten.

Alles war bereitet für Hillary Clinton

Ihre Wahlparty fand in Manhattan statt, und alles war bereitet für den Sieg. Die Bühne hatte die Form der amerikanischen Flagge, die Polizei hatte die Gegend weiträumig abgesperrt, mehrere Secret Service-Agenten sicherten zusätzlich ab und eine schier endlose Anzahl von Clinton-Anhängern feierte ausgelassen. Die Trump-Party in New York hingegen war zunächst eine kleinlaute Angelegenheit mit nur vereinzelten Trump-Fans, die ihre Plakate hochhielten. Doch dieser Kontrast weist hin auf den entscheidenden Grund für Trumps Sieg und Hillary Clintons Niederlage. New York ist die multikulturelle Stadt der Liberalen, die Stadt des kulturellen und intellektuellen Establishments. Das hat mit den Ängsten und Problemen der weißen Arbeiterklasse und der unteren Mittelklasse auf dem Land nichts zu tun. Doch die scheinbar Abgehängten haben die Wahl entschieden.

Sie haben einen Hass auf die kulturelle und politische Elite entwickelt. Und niemand personifiziert diese Elite für sie so stark wie Hillary Clinton, Gattin eines Expräsidenten und an der Spitze der Politik seit mehr als 20 Jahren. Die Medien, deren Mehrheit ihre Abneigung gegenüber dem rüpelhaften Trump kaum verhehlte, sind für diese Teile der Bevölkerung Teil des verachteten Systems. Und offenbar auch die Demoskopen, denen viele anscheinend schlicht nicht sagten, dass sie für Trump stimmen würden.  

Wütende Reaktion auf die Moderne

Dabei ist der Erfolg Trumps, dem vor allem Europäer mit wachsendem Unglauben zusahen, weltweit gesehen alles andere als ein Einzelfall. Ähnliches ist geschehen in Großbritannien mit dem Brexit, in Frankreich mit dem Aufstieg Marine Le Pens und in Deutschland mit dem der AfD. Für Russen hören sich Trumps Parolen an wie die Wladimir Putins, für Inder wie die des Hindu-Nationalisten Narenda Modi, für Türken wie die von Recep Erdogan. Selbst die radikale Nostalgie vieler Islamisten in der muslimischen Welt ist nicht meilenweit entfernt von der Sehnsucht der Trump-Wähler nach einer Rückkehr des scheinbar reineren, stärkeren und einfacheren Amerikas der Vergangenheit. Die Wahl Trumps ist eine wütende Reaktion auf die Moderne und all die Unsicherheiten, die sie mit sich bringt.

Entfremdung von Arbeiterklasse und Arbeiterparteien

All das kann man als rückwärtsgewandt und bigott zurückweisen. Auch in Deutschland wird das gern getan, gerade von den Eliten mit Bezug auf die AfD und ihre Wähler. Doch wenn sich so viele Menschen so fühlen, in den USA mehr als die Hälfte, in Deutschland mindestens 20 Prozent der Bevölkerung, dann bringt Schimpf und Spott nichts, sondern verstärkt die Zerrissenheit der Gesellschaft. Das gilt gerade für die Parteien, die traditionell die Interessen der Arbeiterschicht vertreten, in den USA die Demokraten, in Deutschland die SPD. Doch in beiden Ländern haben sich die Arbeiter- zu Akademikerparteien gewandelt. Die Arbeiterklasse mag sozialpolitisch links stehen, gesellschaftspolitisch ist sie das nicht. In den  USA und in Deutschland haben viele von ihnen den Eindruck, dass die Rechte Trans- und Homosexueller mehr Gewicht haben als die eines Fabrikarbeiters.

An der Migrationspolitik entbrennt dieser Gegensatz. Die AfD und Trump sind Kinder des Gedankens, dass jemand, der sich um das Schicksal von Menschen, die neu im Land sind, kümmert, das derjenigen vernachlässigt, die dort schon länger sind. Und diese Idee verfängt vor allem bei den Arbeitern, die denken, dass der Rest des Landes sich gar nicht um sie kümmert – vor allem nicht ihre eigentliche Partei.

Nationalismus ist normal

Dies zu verstehen und damit besonnen umzugehen, muss das zentrale Interesse einer Demokratie und ihrer Vertreter in Zukunft sein, auch und im besonderen Maße der Medien. Extremer Nationalismus kann gefährlich sein, aber sich Sorgen um seine Nation zu machen, ist normal. Man kann es den Menschen eines Landes nicht verdenken, wenn sie sich wünschen, dass ihr Land bleibt, wie es ist, weil sie es so lieben. Man kann ihnen nicht verdenken, wenn Veränderung ihnen Angst macht. Und man kann ihnen nicht verdenken, dass sie von Neuankömmlingen verlangen, dass sie sich zu den Werten dieses Landes bekennen und seine Stabilität nicht gefährden.

Was im Extremfall passieren kann, wenn diese Ängste nicht genügend angesprochen werden, sieht man in den USA. Dort ist nun Donald Trump an der Macht. Um es anders auszudrücken: Ein Mann, dem seine Berater zuletzt nicht einmal die Kontrolle seines Twitter-Kontos zutrauten, wird nun den Atomkoffer in der Hand halten.  

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