Wahl in Frankreich - Hauptsache nicht Le Pen – und dann?

Nicht nur wegen des Terroranschlags in Paris blickt Europa voller Unbehagen auf die Präsidentschaftswahlen in Frankreich. In Deutschland ist die Diskussion manisch fixiert auf Marine Le Pen. Doch auch die anderen Kandidaten würden als Präsidenten Europa und das deutsch-französische Verhältnis erheblich verändern

Kann Emmanuel Macron ein Hoffnungsträger für Europa sein? / picture alliance
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Alexander Grau ist promovierter Philosoph und arbeitet als freier Kultur- und Wissenschaftsjournalist. Er veröffentlichte u.a. „Hypermoral. Die neue Lust an der Empörung“. Zuletzt erschien „Vom Wald. Eine Philosophie der Freiheit“ bei Claudius.

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Kurz vor der Präsidentschaftswahl, dem Hochamt der Demokratie in Frankreich, ist der islamistische Terror zurück im Herzen des Landes. Am Donnerstagabend hat ein Angreifer auf den Pariser Champs-Élysées einen Polizisten erschossen und drei Menschen verletzt, bevor er von Sicherheitskräften getötet wurde. Sofort machten sich Medien in ganz Europa daran, zu deuten, wie stark dieser Anschlag den ersten Wahlgang an diesem Sonntag beeinflussen würde. Das verwundert kaum. Denn selten zuvor haben die Medien und auch die Regierungen Europas mit so viel Unbehagen auf eine Wahl geschaut wie auf diese. Vor allem in Deutschland ist sie zu einer Schicksalswahl hochstilisiert worden. Alles oder nichts, scheint das Motto zu sein. Himmel oder Höllenfahrt. Der Grund für diese Aufregung hat einen Namen: Marine Le Pen.

Historische Dimensionen

Keine Frage: Die Wahl am Sonntag und erst recht der zweite Wahlgang am 7. Mai sind das, was man im Journalistenjargon eine Richtungswahl nennt. Wenn nicht alles trügt, wird sie eine historische Dimension haben. Sie wird Frankreich verändern. Sie wird die Europäische Union verändern. Sie wird Auswirkungen auf Deutschland haben. So oder so.

Doch das liegt nicht an Marine Le Pen. Zumindest nicht an ihr allein. Wie hypnotisiert durch den Aufstieg des Front National und manisch fixiert auf alles, was „rechts“ daher kommt, neigt die Berichterstattung und Diskussion in Deutschland zu einer erheblichen Perspektivenverengung. Wer aber mit Scheuklappen durch die Welt läuft, kann ein böses Erwachen erleben.

Selbstverständlich würde der – ziemlich unwahrscheinliche – Sieg des FN ein Erdbeben auslösen, mit kaum absehbaren Folgen für die politische Tektonik.

Diese Faszination des Undenkbaren überschattet vollständig, dass auch die anderen Präsidentschaftskandidaten programmatische Forderungen im Wahlkampf-Tornister bereithalten, die geeignet sind, Europa und das deutsch-französische Verhältnis erheblich zu verändern. Doch hierzulande hat man sich in einem gemütlichen Schwarz-Weiß-Denken eingerichtet: Hauptsache nicht Marine Le Pen. So in etwa lässt sich der Tenor in den deutschen Medien zusammenfassen. Intellektuelle Weitsicht sieht anders aus.

Frankreich auf Anti-EU-Kurs

Dabei ist die Ausgangslage relativ überschaubar: Aussicht, in die Stichwahl zu ziehen, haben vier Kandidaten: Zwei davon, Marine Le Pen und Jean-Luc Mélenchon – der Kandidat der zu diesem Zweck gegründeten ökosozialistischen Partei „La France insoumise“ –, vertreten einen harten Anti-EU-Kurs mit nationalistischen und sozialistischen Elementen.

Dass beide zusammen im ersten Wahlgang mehr als 40 Prozent der Wähler auf sich vereinen könnten, muss man zur Kenntnis nehmen. Über die Stimmung in Frankreich sagt das einiges. Zum Beispiel, dass mehr als 40 Prozent der Franzosen der EU ablehnend gegenüber stehen. Das sind keine Zahlen, die Brüssel beruhigen dürften – auch wenn die Wahl aus dortiger Sicht glimpflich ablaufen sollte.

Besonders apart ist die Situation unmittelbar vor der Wahl dadurch, dass – nimmt man aktuelle Umfrageergebnisse – nicht einmal eine Stichwahl Le Pen vs. Mélenchon ausgeschlossen werden kann. Dafür liegen die vier Kandidaten zu nahe beieinander.

Präsident Fillon ließe in Berlin viele schlucken

Sehr viel wahrscheinlicher ist jedoch, dass sich am Ende der sozialliberale Emmanuel Macron oder der konservative François Fillon durchsetzt. Doch auch in diesem Fall dürfte das Klima in dem Dreieck Paris, Brüssel, Berlin rauer werden: Fillon etwa ist ein harter Kritiker der Merkelschen Flüchtlingspolitik, kämpft für Außengrenzen Europas, eine niedrige Asylquote und einen Ausbau der französischen Nuklearindustrie. Da dürfte in Berlin mancher schlucken – auch wenn Fillon aus deutscher Sicht sicher der angenehmste Partner wäre.

Denn der gehypte Emmanuel Macron verspricht zwar ebenfalls radikale Sozialreformen. Doch auf die Krise der EU beabsichtigt er vor allem mit deren Stärkung zu reagieren. So fordert er Eurobonds, also eine Vergemeinschaftung der Schulden, eine europäische Wirtschaftsregierung und mehr Macht für Brüssel. Und dass er die wirtschaftliche Stärke Deutschlands vor kurzem als „unerträglich“ brandmarkte, lässt zumindest aufhorchen.

Nun könnte man die Forderungen Macrons als Wahlkampfgeklingel abtun. Doch wie der Zufall so will: Im September wird auch in Deutschland gewählt. Was eine Gespann Macron-Schulz für die deutsche Wirtschafts- und Finanzpolitik bedeuten könnten, kann man sich in etwa ausmalen.

Macron als Wegbereiter für Le Pen

Nein, es ist noch nicht alles gut, nur weil Marine Le Pen nicht gewählt wird. Mit dem neuen Präsidenten, wie immer er heißen mag, fangen die Probleme für Deutschland erst an.

Und für Frankreich gilt: Der radikale Pro-EU-Kurs des aussichtsreichen Emmanuel Macron liest sich in Verbindung mit seinen ambitionierten Plänen zum Umbau des französischen Sozialstaates wie ein Förderungsprogramm für den Front National. Es wäre einer dieser Treppenwitze der Geschichte: Macron 2017 könnte der Wegbereiter werden für Le Pen 2022.

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