Wahl in Bulgarien - Neues Parlament, alte Krise

Zum dritten Mal in vier Jahren wurde in Bulgarien ein neues Parlament gewählt. Doch überwunden ist die jahrelange Krise damit nicht. Wie viele Staaten auf dem Balkan wird das Land zerrrieben zwischen Europa und Russland

Boiko Borissow, alter und neuer Ministerpräsident von Bulgarien / picture alliance
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Frank Stier ist Korrespondent für Südosteuropa und lebt in der bulgarischen Hauptstadt Sofia.

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Zumindest organisatorisch hat Bulgarien seine dritten Parlamentswahlen in vier Jahren erfolgreich und ohne besondere Vorkommnisse bewältigt. Ob die 44. bulgarische Volksversammlung aber in der Lage sein wird, das Balkanland aus seiner jahrelangen politischen Krise zu führen, darf bezweifelt werden. Rein rechnerisch kann der voraussichtlich wiedergewählte Ministerpräsident Boiko Borissow mit seiner rechtsgerichteten Partei „Bürger für eine europäische Entwicklung Bulgariens“ (GERB) zwar leicht eine Koalition mit dem nationalistischen Parteienbündnis „Vereinigte Patrioten“ (VP) und eventuell der erstmals im Parlament vertretenen Partei „Volja“ (Willen) bilden. Politisch aber hat dies seinen Preis, nicht nur für Borissows GERB, sondern auch für Bulgarien.

Sozialistische Partei wurde Erwartungen nicht gerecht

Denn während GERB ihre „europäische“ Orientierung bereits in ihrem Namen proklamiert, so handelt es sich bei den nationalistischen „Patrioten“ um xenophobe Radikale. Sie blockierten noch am Tag vor der Wahl den bulgarisch-türkischen Grenzübergang Kapitan Adreewo, um bulgarischstämmmige Türken an der Einreise zur Stimmabgabe zu hindern. Zwar hat sich Borissow bereits während seiner vorherigen Amtszeit von 2014 bis 2016 von den „Patrioten“ unterstützen lassen. Eine reguläre Koalition mit ihnen dürften seine Parteifreunde von der „Europäischen Volkspartei“ (EVP) aber kaum goutieren.

„Ich gratuliere GERB zum Wahlsieg und erkläre sogleich, dass wir für eine große Koalition nicht zur Verfügung stehen“, sagte die sichtlich enttäuschte Kornelia Ninova, Vorsitzende der postkommunistischen „Bulgarischen Sozialistischen Partei“ (BSP), in der Wahlnacht. Die Meinungsforscher hatten einen engen Wahlausgang vorhergesagt und Ninova Chancen eingeräumt, zur ersten Ministerpräsidentin des Balkanlandes zu werden. Nun war Borissows GERB erneut stärkste politische Kraft geworden, hatte mit mehr als 32 Prozent insgesamt fünf Prozent mehr Stimmanteile errungen als ihre BSP. GERB ist mit Ausnahme der Präsidentschaftswahl im November 2016 aus sämtlichen Wahlen der vergangenen zehn Jahre siegreich hervorgegangen. Hatte sich Ninova vor der Wahl siegesgewiss gegeben, so konnte es sie jetzt wenig trösten, dass ihre Partei ihren Stimmenanteil gegenüber den Parlamentswahlen von 2014 fast verdoppeln konnte.

Konservative zerlegen sich selbst

Außer GERB, BSP, VP und Volja ist auch die traditionelle Partei der bulgarischen Türken, „Bewegung für Rechte und Freiheiten“ (DPS), im künftigen Parlament vertreten. Dagegen hat die von ihr abgespaltene Partei „Demokraten für Verantwortung, Freiheit und Toleranz“ (DOST) – von ihren Gegnern wird sie als politischer Arm Erdogans in Bulgarien bezeichnet – den Einzug ins Parlament verpasst. Das Gleiche ist auch GERBs vorherigem Koalitionspartner vom traditionell konservativen Reformerblock (RB) und der linken BSP-Abspaltung „Alternative für Bulgariens Wiedergeburt“ (ABW) passiert.

Im Dezember 2015 ist Justizminister Hristo Ivanov vom Reformerblock zurückgetreten, weil GERB seiner Ansicht nach die von ihm angestrebte Justizreform gemeinsam mit Oppositionsparteien torpedierte. Ivanovs Demission spaltete faktisch den Reformerblock, so dass sich bei diesen Parlamentswahlen gleich drei aus ihm hervorgegangene konservative Parteien zur Wahl stellten. Rechnerisch zusammenaddiert hätten sie neun Prozent der Stimmen auf sich vereinigt, nun ist jede einzelne für sich unter der Vierprozenthürde verblieben. Rund 600.000 zum großen Teil junge und gebildete Wähler pro-europäischer Orientierung sind damit für die nächste Zukunft ohne parlamentarische Vertretung.

Russland hält alte Führung für berechenbarer

Westliche Medien kommentieren Wahlentscheidungen in Osteuropa gerne dahingehend, dass der Wahlsieg einer rechten Partei eine westlich orientierte Entwicklung des Landes erwarten ließe, der Wahlsieg einer linken Partei eine Annäherung an Russland. Dass die Dinge auf dem Balkan komplizierter sind, zeigt sich gegenwärtig in Bulgariens Nachbarland Mazedonien. Dort steht Russland in der aktuellen schweren Verfassungkrise ganz auf Seiten der nationalistischen VMRO-DPMNE und wirft den USA und der EU vor, die Sozialisten und ihre Koalition mit den Albanern an die Macht bringen zu wollen.

Eine russische Perspektive auf die bulgarischen Parlamentswahlen geht aus den Worten des früheren Chefs des russischen Auslandsgeheimdienstes, General Leonid Reschetnikov, hervor. Russland betrachte das Wahlergebnis nicht „im alten Schema“, wonach die Sozialisten pro-russisch und GERB gegen Russland sei, sagte er dem russischen TV-Kanal Tsarigrad. „Das ist nicht so. In dieser Beziehung sind die beiden ungefähr gleich. Die Sozialisten, oder besser ihre Anführer, unterscheiden sich nicht sehr von der Führung der Partei GERB. Und sowohl die Einen als auch die Anderen sind stark abhängig von Brüssel.“ Die GERB-Führung aber hält Reschetnikov für berechenbarer. „Es ist klarer, wie man mit ihnen Geschäfte macht.“

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