Verschiebung der Präsidentschaftswahlen? - Trumps Termin-Schwierigkeiten

Selbst bei konservativen US-Medien zünden Trumps Nebelkerzen nicht mehr richtig. Jüngstes Beispiel: Seine Überlegung, die Präsidentschaftswahlen zu verschieben. Dennoch steigen Trumps Chancen auf eine Wiederwahl, berichtet Daniel C. Schmidt aus Washington.

„Cancel culture” im Weißen Haus: Donald Trump regt eine Wahlverschiebung an / dpa
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Autoreninfo

Daniel C. Schmidt ist freier Reporter. Er studierte in Manchester und London (BA Politics & Economics, MSc Asian Politics) und lebt zur Zeit in Washington, D.C.. Schmidt schreibt über Pop, Kultur und Politik.

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Für jemanden, der einst als Reality-TV-Star eine Art manische Besessenheit für Einschaltquoten entwickelt hat, sind Umfragewerte zur eigenen Person natürlich nicht ganz unbedeutend. Da sagt man schon mal so Dinge wie: „Größtenteils haben wir getan, was er und andere empfohlen haben, und er hat diese hohen Beliebtheitswerte. Also warum habe ich dann keine hohen Beliebtheitswerte im Zusammenhang mit dem Virus?”

Die Antwort auf seine eigene Frage während einer Pressekonferenz im Weißen Haus gab Donald Trump am vergangenen Dienstag dann selbst: „Es muss an meinem Charakter liegen, das ist alles.” 

Eigentlich nicht der Rede wert

Dass Dr. Anthony Fauci, der so etwas wie der Christian Drosten der USA ist, einer der Cheferklärer in Trumps Coronavirus-Taskforce im Weißen Haus, in Umfragen vor dem Präsidenten liegt, ist eigentlich nicht der Rede wert. Aber irgendwie scheint es Trump zu wurmen, dass der besonnene, zurückhaltende Immunologe in der Öffentlichkeit besser dasteht als er. 

Wenn man die globale Pandemie weniger als wissenschaftliche Herausforderung ansieht, sie im Gegenteil sogar politisiert und daraus eine ideologische Charakterfrage macht, darf man sich eventuell nicht wundern, falls die Beliebtheitswerte da etwas auseinanderdriften. 

Mehr als 150.000 Todesopfer

Neben allen „Wie beurteilen Sie die Arbeit von..?”-Umfragen gibt es in dieser Krise auch noch ein paar niederschmetternde Zahlen, die wirklich von Bedeutung sind. Die USA haben inzwischen mehr als 150.000 Todesopfer in der Coronakrise bei 4,4 Millionen positiven Fällen vermeldet. Gleichzeitig ist die Wirtschaftsleistung in einem historischen Ausmaß zurückgegangen, wie die Regierung am Donnerstag mitteilte. 

Standardhalber wird die BIP-Leistung in den Vereinigten Staaten aufs Jahr hochgerechnet. Danach ergibt sich ein geschätztes Minus von 32,9 Prozent. Bislang ist das der größte Ausschlag seit Beginn der Aufzeichnungen. Vom ersten zum zweiten Quartal 2020 sank die Wirtschaftsleistung um 9,5 Prozent, auch das ist Tiefststand in der Statistik. 

Und dann kam Corona

Die guten Wirtschaftszahlen aus dem Prä-Corona-Frühjahr, das war eigentlich mal Trumps Hauptargument für seine Wiederwahl. Dass Amerika ihn nicht heiß und innig liebt, wusste er. Seine Zustimmungswerte als Präsident haben in dreieinhalb Jahren nie unter 35 und nie über 49 Prozent gelegen. Aktuell sind sie laut Gallup-Umfrage 41 Prozent der Befragten zufrieden mit der Arbeit des Präsidenten.  

Bei solch einem geringem Ausschlag sollten also die niedrigen Arbeitslosenzahlen, die hohen Börsenkurse, und das Wirtschaftswachstum die Überzeugungsarbeit leisten: Ihr mögt mich und meine Art vielleicht nicht sonderlich – kein Problem, immerhin stimmt mit mir der Kontoauszug. Und dann kam, wie wir alle wissen, das Coronavirus.

Auch der Kulturkampf fruchtet nicht

Sein indirekt ausgerufener Kulturkampf gegen einen „neuen linksextremen Faschismus” scheint als alternative Wahlkampfstrategie nicht zu fruchten. Die Umfragen sehen im Vergleich zu seinem demokratischen Kontrahenten Joe Biden in einigen wichtigen Bundesstaaten nicht sonderlich berauschend aus.

Wenn man 2016 im Wahlkampf ein bisschen durch die USA reiste, merkte man schnell, wie verhasst die Washingtoner Figur Hillary Clinton im Land mitunter war. Sie musste sich für 30 Jahre im Rampenlicht der Öffentlichkeit rechtfertigen. Jetzt, im Sommer 2020, ist aus dem Jäger der Gejagte geworden: Plötzlich muss Trump sich als Präsident verantworten. Für das, was er gesagt und getweetet hat, was er getan und gelassen hat. 

Die Wahl verschieben?

„Sein Weg zur Wiederwahl sieht nicht besonders gut aus, die Wirtschaft liegt brach, das Virus hat sich im Land verbreitet”, sagt Anne Applebaum. Die Autorin und Pulitzerpreis-Gewinnerin beschäftigt sich in ihrer Arbeit immer wieder mit autoritären Regierungen. „Was bleiben ihm denn noch für Möglichkeiten? Angst schüren? Lügen? Betrügen?”

Einer von Trumps jüngsten Tweets vereint scheinbar alle drei Optionen: Die vermehrte Möglichkeit in verschiedenen Bundesstaaten, im November per Briefwahl abzustimmen, sieht Trump als Indiz, dass „2020 die FEHLERHAFTESTE & BETRÜGERISCHSTE Wahl der Geschichte” sein könnte und stellt im nächsten Satz den Wahltermin infrage: „Die Wahl verschieben, bis die Menschen richtig, sorgenfrei und sicher abstimmen können???” 

With Universal Mail-In Voting (not Absentee Voting, which is good), 2020 will be the most INACCURATE & FRAUDULENT Election in history. It will be a great embarrassment to the USA. Delay the Election until people can properly, securely and safely vote???

— Donald J. Trump (@realDonaldTrump) July 30, 2020

Trumps Spiel

Bevor jetzt jemand auf das Späßchen kommt und von „cancel culture” für die Wahl redet, können alle Skeptiker beruhigt sein: Die Verfassung erlaubt es dem Präsidenten nicht, den Termin umzulegen. Das Vorrecht hat der Kongress und selbst im Senat, wo die Republikaner noch die Mehrheit halten, haben einige von Trumps Parteikollegen der Idee ein kategorisches Nein erteilt. 
Präsident Roosevelt hat die Wahlen während des Zweiten Weltkriegs nicht verschoben, und Lincoln sah auch während des Bürgerkriegs davon ab.

Inzwischen kennt man Trumps Spiel. Während die verheerenden Wirtschaftszahlen verkündet werden, zündet der Präsident eine Twitter-Nebelkerze. Nur sind diese Ablenkungsmanöver nicht einmal mehr bei den ihm sonst eher wohlgesonnten konservativen Medien effektiv: „Die Vorstellung, dass ein Amtsinhaber vorschlägt, dass wir die Wahlen verschieben, wäre natürlich komplett untypisch für einen seiner Vorgänger, und auf gewisse Weise ist es schamloser Ausdruck seiner Schwäche”, sagte Chris Stirewalt auf Fox News im Frühstücksfernsehen am Donnerstagmorgen. „Jemand, der sich in einer Stärkeposition befindet, würde niemals, niemals eine derartige Maßnahme ins Spiel bringen.” 

Der Sommer ist noch lang

Der Sommer ist noch lang, wer weiß, was noch so alles passiert. Stand jetzt ist an Trumps Tweet der erste Teil viel bemerkenswerter als eine mögliche Terminverschiebung. Die Bedenken gegen eine vermehrte Briefwahl-Beteiligung aufgrund der Corona-Pandemie hat Trump an verschiedenen Stellen bereits geäußert. Er behauptet, die Methode lade zu Wahlbetrug ein. Dass dadurch für ihn die Rechtmäßigkeit der Wahl hinterfragt werden könnte, hat er hiermit noch einmal wiederholt.

Was man dabei bedenken muss: Die Frage, ob er das Ergebnis anerkennen wird, wollte Trump vergangene Woche in einem Interview auch nicht bestätigen. Wenn die Umfragewerte sich nicht verbessern, welche Möglichkeiten bleiben ihm dann noch? Angst schüren? Lügen? Betrügen? 

In den USA hat jedenfalls ein bekannter Online-Wettanbieter nach dem Termin-Tweet die Wahrscheinlichkeit wieder hochgesetzt, dass Trump eine zweite Amtszeit antritt.

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