Vermittlung zwischen Russland und Ukraine - Israels Dilemma im Ukraine-Konflikt

Israel fungiert als wichtiger Vermittler im Ukraine-Krieg, da das Land gute Beziehungen sowohl zur Ukraine als auch zu Russland hat. Trotz überwiegend positivem Echo wird auch Kritik zur Positionierung Jerusalems im Konflikt lauter. Stimmen im In- und Ausland fordern von der israelischen Regierung, den russischen Einmarsch klar zu verurteilen.

Will die Interessen Israels im Nahen Osten und die der jüdischen Gemeinden der Ukraine wahren: Naftali Bennett / dpa
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Tal Leder ist als Producer für zahlreiche israelische und deutsche TV- und Dokumentarfilme tätig. Als freier Journalist und Autor schreibt er regelmäßig für verschiedene Medien.

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Während des Jom-Kippur-Krieges 1973, als zahlreiche arabische Armeen den jüdischen Staat an dessen heiligstem Feiertag angriffen, stand Israel zu Beginn am Rande einer Niederlage. Mit dem Mut der Verzweiflung, vor allem aber durch die Waffenlieferungen der USA, konnte Israel das Blatt wenden und das verschobene Kräfteverhältnis im Nahen Osten wieder ausgleichen. Der damalige US-Außenminister Henry Kissinger war derjenige, der mit politischem Geschick alle Kriegsparteien vor einer demütigenden Niederlage rettete und sie an einen Tisch zu Waffenstillstandsvereinbarungen brachte. Mit machiavellistischen Taktiken half er, die Region wieder zu stabilisieren.

„Mit einer ähnlichen Shuttle-Diplomatie versucht Israels Regierungschef Naftali Bennett, im Konflikt zwischen Russland und der Ukraine zu vermitteln“, sagt Ami Bar Shalom, seinerzeit Unterhändler bei den israelisch-ägyptischen Friedensbemühungen. „Er wagt ein außergewöhnliches diplomatisches Unterfangen inmitten einer der schwersten Krisen, die die Welt in den vergangenen Jahrzehnten erlebt hat.“

Bennett stand im Austausch mit europäischen Spitzenpolitikern

Bennett, der die russische Invasion in die Ukraine nicht offiziell verurteilte, fuhr mit dem Segen Washingtons als erster westlicher Spitzenpolitiker Anfang des Monats zu Geheimgesprächen nach Moskau. Ungewöhnlich war seine Reise, da er als gläubiger Jude dafür den Schabbat brechen musste. „Bennett folgte dem religiösen Grundsatz von Pikuach Nefesch (Leben retten)“, erklärt der Ex-Diplomat Bar Shalom. „Das Prinzip dieses jüdischen Gesetzes ist die Bewahrung menschlichen Lebens und kann praktisch alle anderen religiösen Überlegungen außer Kraft setzen.“

Der international noch unerfahrene Premierminister stand dabei im Austausch mit europäischen Spitzenpolitikern. Er bot sich auch deshalb als Vermittler an, um die israelischen Interessen im Nahen Osten und die der jüdischen Gemeinden der Ukraine zu wahren. Nach seinem dreistündigen Treffen mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin im Kreml – bei dem auch die Wiener Nuklearverhandlungen zwischen dem Iran und den Weltmächten diskutiert wurden – flog Bennett zu Gesprächen mit Bundeskanzler Olaf Scholz nach Berlin und telefonierte mehrfach mit dem ukrainischen und dem französischen Staatsoberhaupt, Wolodymyr Selenskyj und Emmanuel Macron.

Der Ukraine-Konflikt hat den jüdischen Staat in eine schwierige Situation gebracht. Militärische Unterstützung für Kiew steht in Jerusalem nicht zur Debatte. Stattdessen schickte Israel humanitäre Hilfsgüter und eröffnete ein Feldlazarett in Lemberg. Als wichtiger Partner der USA unterstützt es Bemühungen seines Verbündeten, eine diplomatische Lösung zu erreichen, doch Bennetts Gratwanderung zwischen Washington und Moskau soll auch den Interessen seines Landes dienen. Israel hat tiefe historische und kulturelle Bindungen sowohl zur Ukraine als auch zu Russland. Über eine Million Juden aus den Staaten der ehemaligen Sowjetunion wanderte in den 1990er-Jahren nach Israel aus. Mittlerweile unternimmt Israel erhebliche Anstrengungen, um die circa 200.000 Juden aus dem Kriegsgebiet zu schützen und eventuell zu evakuieren.

Russischer Rückzug gegen Verzicht auf Nato-Beitritt

Auch ist die Aufrechterhaltung guter Beziehungen zum Kreml von entscheidender Bedeutung, vor allem wegen Russlands Militärpräsenz in Syrien. Während des letzten Jahrzehnts hat die israelische Luftwaffe im Nachbarstaat – in Abstimmung mit Moskau – zahlreiche Angriffe durchgeführt, um eine militärische Ausbreitung des Irans und seine Stellvertreter an der israelischen Nordgrenze zu verhindern.

„Israel könne eine wichtige Rolle bei der Vermittlung zwischen den Kriegsparteien spielen“, sagte Markiyan Lubkivskyi, Berater des ukrainischen Verteidigungsministers, in einem Interview mit der Jerusalem Post. „Bennetts Mission könnte Putin aufhalten.“ Israels Regierungschef soll der primäre Vermittler bei den Gesprächen sein. Berichten zufolge soll ein 15-Punkte-Vorschlag die Ukraine dazu bringen, ihr Bestreben aufzugeben, der Nato beizutreten, im Gegenzug für einen Waffenstillstand, einen russischen Rückzug und Sicherheitsversprechen. Am Sonntag wird der ukrainische Präsident Selenskyj per Video-Call vor der Knesset sprechen.

„Es ist noch früh, um über die Einzelheiten von Putins Forderungen an die Ukraine zu diskutieren“, erklärte Lubkivskyi. Wie viele seiner Landsleute sieht auch er den Konflikt als ukrainischen Unabhängigkeitskrieg und glaubt, dass Moskau weitere Staaten der ehemaligen Sowjetunion im Visier hat. „Deshalb hofft Kiew, von Jerusalem effiziente Schutzmittel zu bekommen.“

Selenskyj ist von der Haltung Israels enttäuscht

Während sich ukrainische Regierungsbeamte positiv über Jerusalems Vermittlungsversuch äußerten und auch Verständnis für Israels heikles Verhältnis zu Moskau zeigten, ist Präsident Selenskyj von der passiven Haltung des jüdischen Staates enttäuscht. Auch in Israel macht sich Unmut breit. „Unsere Regierung hätte sich klar gegen die russische Invasion positionieren müssen“, sagt etwa der ehemalige israelische Premierminister Ehud Olmert. „Auch wenn es eine heikle Situation für uns ist, hätten wir die Grundprinzipien der moralischen Integrität anwenden sollen, die unseren Staat seit vielen Jahren ausgezeichnet haben.“ Olmert kritisiert die Haltung seiner Regierung, das militärische Vorgehen Russlands nicht zu verurteilen, und fordert den jüdischen Staat auf, seinen Prinzipien und seinen Freunden treu zu bleiben. Israel müsse der Ukraine und den Flüchtlingen helfen, aber vor allem den USA zur Seite stehen. „Israel benötigt fast ständig die Hilfe und Unterstützung der internationalen Gemeinschaft und sollte sich so verhalten, wie wir es von anderen erwarten, wenn wir uns in einer ähnlichen Situation befinden“, erklärt der Ex-Premier. „Wir unternehmen Anstrengungen, um die USA dazu zu bewegen, uns gegen eine iranische Bedrohung zu unterstützen. Daher müssen unsere Beziehungen zu unseren Verbündeten auf Gegenseitigkeit beruhen.“

Viele Israelis jedoch schätzen das staatsmännische Auftreten Bennetts und sein Bemühen, einen offenen Kanal zu beiden Konfliktparteien aufrechtzuerhalten. Das kommt Bennett zugute, hatte doch sein Image zuletzt stark gelitten. Jedoch rieten ihm seine Berater davon ab, ein Treffen zwischen Putin und Selenskyj in Jerusalem zu organisieren.

„Trotz seiner guten Beziehungen zu Russland muss Israel den Überfall auf die Ukraine verurteilen“, findet Ami Bar Shalom, der ehemalige Friedensemissär. „Dies ist ein Kampf zwischen Gut und Böse, und hier müssen wir klare Position beziehen.“ Die Befürchtung, dass Jerusalem mit Kritik an Moskau seine Interessen in Syrien gefährdet, teilt der Ex-Diplomat nicht. „Eine Lehre aus dem Krieg ist, dass Israel niemals irgendeiner Militärmacht unterwürfig sein darf“, sagt Bar Shalom und fordert: „Wir müssen auf der richtigen Seite der Geschichte stehen.“

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