Venezuela - Keine Chance für Juan Guaidó

An Venezuelas Präsidenten Nicolás Maduro kommt Juan Guaidó auch nach drei Monaten nicht vorbei. Obwohl er im Land und international viel Unterstützung erfährt, bleibt er ohne die Armee chancenlos. Denn gerade die hohen Militärs hätten viel zu verlieren, würden sie ihm folgen

Ohne die Top-Militärs hat Juan Guaidó kaum eine Chance / picture alliance
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Autoreninfo

Andrzej Rybak, geboren 1958 in Warschau, ist Journalist und lebt in Hamburg. Er arbeitete mehrere Jahre als Redakteur und Reporter für Die Woche, den Spiegel und die Financial Times Deutschland, berichtete als Korrespondent aus Moskau und Warschau. Heute schreibt er als Autor vor allem über Lateinamerika und Afrika u.a. für Die Zeit, Focus und Capital.

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Über drei Monate ist es her seit sich Juan Guaidó, der Präsident der Nationalversammlung, zum amtierenden Präsidenten von Venezuela erklärte – und den Autokraten Nicolás Maduro, der das Land seit 2013 regiert, zur Aufgabe aufforderte. Die USA sowie 20 lateinamerikanische und europäische Staaten, darunter auch Deutschland, erkannten Guaidó darauf als legitimes Staatsoberhaupt an.

Wer dachte, damit seien die letzten Tage des Regimes in Venezuela eingeläutet, wurde enttäuscht. Guiadó konnte zwar hunderttausende Anhänger auf die Straßen bringen, doch die wiederholten Massenkundgebungen reichten nicht aus, um Maduro aus dem Amt zu jagen. Inzwischen ist allen klar: Um das Kräftemessen zu seinen Gunsten zu entscheiden, muss Guaidó das Militär auf seine Seite ziehen.

Präsident ohne Staat

Bisher deutet nichts darauf hin, dass ihm das gelingt. Im Gegenteil: Die humanitären Hilfskonvoys, die der Oppositionspolitiker medienwirksam aus Brasilien und Kolumbien in sein darbendes Land hineinbringen wollte, blieben an den – vom Militär bewachten – Grenzen stecken. Nur etwa 600 Soldaten sind seit Beginn des Aufstands zur Opposition übergelaufen – trotz eines großzügigen Amnestieangebots. Zuletzt trat Maduro an der Seite der Top-Generäle im venezolanischen Fernsehen auf, um deren Loyalität zu demonstrieren.

Guaidós Unterstützer in Washington, allen voran der US-amerikanische Sicherheitsberater John Bolton und Außenminister Mike Pompeo, haben die Stimmung der venezolanischen Streitkräfte falsch eingeschätzt. Guaidó bleibt ein Präsident ohne Staat, Maduro sitzt nach wie vor im Präsidentenpalast – beschützt von der Polizei, der Nationalgarde und der Armee.

Von hohen Militärrängen gestützt

Die Soldaten und das mittlere Offizierskorps sympathisieren ohne Zweifel mit der Opposition und würden lieber heute als morgen Maduro absetzen. Manche Soldaten sind desertiert, weil der Sold nicht ausreicht, um ihre Angehörigen zu ernähren. Ihre Familien leiden unter der Wirtschaftskrise, unter dem Mangel an Lebensmitteln, unter Stromausfällen und dem zerfallenden Gesundheitssystem. Drei Millionen Venezolaner haben deswegen schon ihr Land verlassen.

Doch die höheren Militärränge stehen geschlossen hinter dem Präsidenten – weil sie viel zu verlieren haben. Die „bolivarische Revolution“, die von dem ehemaligen Fallschirmjäger Hugo Chávez 1999 ins Leben gerufen wurde, stützte sich immer auf das Militär. Chávez höhlte im Laufe der Jahre die demokratischen Institutionen immer weiter aus und besetzte die Posten in der Politik und Wirtschaft mit Vertrauten aus dem Militär. Venezuela gab 2006 mehr Geld für das Militär aus als Brasilien, dessen BIP fünf Mal so groß war. Ein Teil dieses Geldes landete direkt in den Taschen der Generäle.

In illegale Geschäfte verwickelt

Unter Präsident Maduro nahm der Einfluss der Top-Militärs noch weiter zu. Sie stellen heute neun der 32 Minister, darunter den Energie- und Landwirtschaftsminister. Laut der NGO Transparencia werden 60 staatliche Unternehmen von Militärs geleitet, darunter einige Banken und Finanzinstitute. Generalmajor Manuel Quevedo ist Chef der staatlichen Ölgesellschaft PdVSA, der Verteidigungsminister Vladimir Padrino López, kontrolliert die wichtige Agentur zur Verteilung von subventionierten Lebensmitteln.

Maduros Generäle sind aber auch in illegale Geschäfte verstrickt. Sie sind an dem Schmuggel von Treibstoff nach Brasilien und Kolumbien beteiligt, sie mischen im Drogenhandel mit, beschützen Drogen-Labore, die das kolumbianische Kokain verarbeiten und in die USA exportieren. Im Süden des Landes, wo sich die meisten Gold- und Diamantenfelder befinden, zwingen die dort stationierten Armee-Einheiten die Goldsucher zu einer „Sicherheitsabgabe.“

Angst vor dem Gefängnis

Beim Regimewechsel sind aber nicht nur die wirtschaftlichen Pfründe und der Wohlstand bedroht. Die Uno wirft der Armee und den Sicherheitskräften auch willkürliche Tötungen, Folter und andere schwere Menschenrechtsverletzungen vor. Viele Militärs könnten deswegen strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden – Amnestiegesetz hin oder her. „Die Leute haben Angst, dass sie den Rest ihres Lebens im Gefängnis verbringen könnten“, sagt Phil Gunson, der Venezuela-Experte der International Crisis Group.

Vieles deutet darauf hin, dass der Pat in Venezuela noch länger dauert. Eine militärische Intervention der USA ist bei allem Säbelrasseln in Washington kaum vorstellbar, die Schweinebucht-Blamage ist noch immer nicht vergessen. Zudem würde jede unilaterale US-Aktion die Gräben zu Russland und China weiter vertiefen, die das Maduro-Regime über Jahre finanziell gestützt haben. So lange die Panzer an der Seite von Maduro stehen, hat Juan Guaidó keine Chane.

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