US-Wahlen - Wie die Republikaner die Demokratie gestohlen haben

Vor der letzten Fernsehdebatte der Präsidentschaftskandidaten in den USA scheint Hillary Clinton der Wahlsieg kaum noch zu nehmen. Im Kongress werden die Republikaner aber wohl unschlagbar bleiben – auf Jahrzehnte hinaus. Dafür sorgt eine undemokratische, aber geniale Strategie

Auf Jahrzehnte in der Hand der Republikaner? Das Kapitol der USA / picture alliance
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Dave Daley ist der ehemalige Chefredakteur der Internetseite salon.com und CEO des Connecticut Mirror.

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Im Juli 2009 las Chris Jankowski einen Artikel in der New York Times. Acht Monate zuvor hatte Barack Obama den republikanischen Kandidaten John McCain mit großer Mehrheit geschlagen. Viele fragten sich, wie die Republikaner die nächsten Wahlen überleben könnten. In 27 Bundesstaaten hatten die Demokraten die Mehrheit in beiden Häusern der Legislative inne und in sechs weiteren Staaten kontrollierten sie eines. Auf Bundesebene waren die Präsidentschaft, der Kongress und der Senat in den Händen der Demokraten. Aber in dem Artikel stand, dass 2010 nicht nur das Jahr der nächsten Midterm-Wahlen sei. Wahlen in nuller Jahren seien wichtiger als andere, weil die Verfassung jedem Bundesstaat vorschreibt, alle zehn Jahre eine Volkszählung abzuhalten und danach die Grenzen seiner Wahlkreise neu zu ziehen.

Einmalige Gelegenheit für die Republikaner

Jankowski, einer der führenden Taktiker der Republikaner, sah eine einmalige Gelegenheit, die Wahlaussichten seiner Partei zu retten. Man könnte den Wahlkampf auf die Staaten konzentrieren, in denen die Legislative für den neuen Zuschnitt der Wahlkreise zuständig ist, und in denen die Mehrheit der Demokraten nur dünn ist. Man müsste nur einen Bruchteil des Geldes aufbringen, das zum Beispiel in einen Präsidentschaftswahlkampf aufgewendet wird, und könnte trotzdem große Effekte erzielen.

Wenn man dort eine Mehrheit erreichen würde, könnte man zusammen mit den Staaten, die ohnehin von den Republikanern kontrolliert werden, die Wahlkreise so neu definieren, dass ein demokratischer Sieg in diesen Staaten für die nächsten zehn Jahre fast unmöglich würde. Die Republikaner forcierten diese Strategie und nannten sie Redmap. Rot ist die Farbe der Republikaner, und möglichst viele der Bundesstaaten sollten in ihr erstrahlen, so dass die Karte der Vereinigten Staaten ganz in rot gefasst ist.

Bisher hat die Strategie so gut funktioniert, dass Hillary Clinton mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit es mit einem ebenso kompromisslos feindlichem Kongress zu tun haben wird wie ihr Vorgänger Obama. Und zwar selbst dann,  wenn sie die Präsidentschaftswahlen so deutlich gewinnen sollte, wie es momentan aussieht. Ihre demokratischen Nachfolger werden sich wohl daran auch noch die Zähne ausbeißen.

Praxis des Gerrymandering neu gedacht

Die Politik der Neustrukturierung der Wahlkreise hat eine lange Tradition in den USA, sie ist als gerrymandering bekannt. Der Begriff ist benannt nach Elbridge Gerry, einem Gouverneur von Massachusetts des frühen 19. Jahrhunderts und späteren US-Vizepräsidenten, dessen Wahlbezirk nach einem Neuzuschnitt – wie ein zeitgenössischer Zeitungskarikaturist bemerkte – einem Salamander glich. Daher auch der Name aus Gerry und Salamander.

Dabei werden drei Vorgehensweisen unterschieden. Die erste ist die Hochburgbildung: Möglichst viele Wähler der Opposition werden in einem „Wegwerf“-Wahlkreis zusammengefasst, so dass viele überschüssige, für den Wahlerfolg nicht mehr benötigte Stimmen anfallen, die der Opposition dann in anderen Wahlkreisen fehlen. Die zweite wird Aufeinanderhetzung genannt: Ein Wahlkreis wird so gebildet, dass zwei zur Zeit aktive Abgeordnete der Opposition ihren Wohnsitz darin haben. Einer der beiden muss umziehen oder bei der nächsten Wahl gegen den anderen kandidieren oder seinen Sitz aufgeben. Die dritte Vorgehensweise funktioniert nach dem Prinzip „eine Hand wäscht die andere“: Beide Parlamentsfraktionen teilen gemeinsam die Wahlkreise so auf, dass derzeitige Sitzinhaber mit großer Wahrscheinlichkeit wiedergewählt werden, während Gegenkandidaten wenig Chancen haben. Anstrengende Wahlkampagnen und schwer zu haltende Wahlversprechen werden somit vermieden.

Gerrymandering wurde von beiden Parteien so intensiv und mittlerweile meist systematisch von Computern und nach Datensätzen betrieben, dass nur noch etwa ein Fünfzehntel der Sitze wirklich regelmäßig umkämpft sind. Die übrigen waren mehr oder minder zum Gewohnheitsbesitztum der beiden Parteien geworden.

Gewagte, aber legale Strategie

Chris Jankowski setzte alles daran, dieses Patt soweit wie möglich zu Gunsten der Republikaner zu verändern. „Ich hatte den Artikel gelesen und mir gedacht, wir können es schaffen“, sagte er mir. „Ich kenne die Kandidaten in den Staaten. Ich kann ihnen sagen, ‚hey, wir kämpfen seit Jahren dafür, zu versuchen, euch zu helfen, aber dieses Mal können wir Millionen bekommen. Und ihr müsst nichts anderes machen, als das, was ihr sowieso schon gemacht habt‘.“

Mit Powerpoint-Präsentationen reiste Jankoswki zu Bänkern, Öl-Magnaten, Lobbyisten, um Geld einzusammeln. Zugute kam ihm, dass die Demokraten 2010 schwächelten, und Staaten ins Spiel kamen, die vorher weit außer Reichweite schienen. Bis zu 18 Millionen US-Dollar konnte Jankowski in Swing-States wie Ohio, Michigan, North Carolina, Wisconsin und anderen ausgeben, immer in den entscheidenden Wahlkreisen. Einmal gewonnen, machten er und seiner Helfer sich sofort daran, die Grenzen der Wahlkreise neu zu ziehen. Würde man nur 20 Wahlkreise von umkämpft in sicher republikanisch verwandeln, hätte man diese mindestens für die nächsten zehn Jahre gesichert und könnte so mehr als 100 Millionen Dollar in Wahlkampfkosten einsparen.

Die Strategie war gewagt, aber legal und offen ausgeführt. Heute kann man sagen: Sie hat spektakulär funktioniert. Bei der Wahl 2012 besiegte Obama Mitt Romney deutlich, und auch im Kongress gewannen die Demokraten 51 Prozent der Stimmen. Aber nur 28 Prozent der Sitze. 33 Sitze mehr bekamen die Republikaner im Kongress, es war das erste Mal seit 1972, dass die Partei mit den meisten Stimmen nicht die meisten Sitze bekam. Und mehr noch: Gegen den Willen des Volkes hatte Redmap eine Brandschutzmauer um diese Sitze errichtet.

Kontrolle über den Kongress für Jahrzehnte gesichert

Jankowski selbst sagt voraus, dass es Jahrzehnte dauern werde, bis die republikanischen Wahlkarten neu gezeichnet werden könnten. Zwar haben die Demokraten, die 2010 kalt erwischt wurden von der Strategie, schon jetzt gelobt, ihrerseits bei der nächsten Möglichkeit 2020 zweistellige Millionenbeträge in den relevanten Wahlkreisen zu investieren. Aber es wäre ungleich schwerer, weil so viel mehr Wahlkreise nun schon in der Hand der Republikaner sind. Außerdem fehlt ihnen das Überraschungsmoment. Schließlich haben die Republikaner die Strategie entworfen und wären auf die Herausforderung vorbereitet.

Sollte Hillary Clinton die Präsidentschaftswahlen gewinnen, verringern sich die Chancen auf große Gewinne bei den Midterm-Wahlen in 2018, bei der die jeweilige Partei an der Macht traditionell Sitze verliert. Um 2020 genügend Einfluss zu haben, müsste dann schon ein Erdrutschsieg her. Jankowski rechnet erst danach mit wirklichen Veränderungen, Mitte der 2020er Jahre, wenn die Republikaner weiter Stimmen verlieren, wie sie es jetzt schon tun. Dann hätten die Demokraten eine Chance. Im Jahr 2030.

Redmap war so gewagt und ist doch so überzeugend, dass man nicht weiß, ob man sich zurücklehnen und die Kühnheit bewundern, die Demokraten wegen grober Fahrlässigkeit und mangelnder Fantasie anklagen oder einfach nur über das Undemokratische des Ganzen heulen sollte.

Übersetzung: Constantin Wißmann

 

Dieser Artikel ist ein Auszug aus Dave Daleys Buch: Ratf**ked: The True Story Behind the Secret Plan to Steal America’s Democracy“, erschienen im Liveright-Verlag

  

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