US-Luftschlag in Syrien - Trump und die Unmöglichkeit der Untätigkeit

Die Entscheidung von Donald Trump zur Intervention in Syrien nach dem mutmaßlichen Giftgas-Angriff des Assad-Regimes gewährt einen wichtigen Einblick in die US-Strategie unter dem neuen Präsidenten. Gleichzeitig wird klar, wie sich Russland ins Abseits manövriert hat. Eine Analyse von George Friedman

Von der außenpolitischen Realität eingeholt: Donald Trump / picture alliance
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Autoreninfo

George Friedman, 74, ist einer der bekanntesten geopolitischen Analysten der Vereinigten Staaten. Er leitet die von ihm gegründete Denkfabrik   Geopolitical Futures  und ist Autor zahlreicher Bücher. Zuletzt erschien „Der Sturm vor der Ruhe: Amerikas Spaltung, die heraufziehende Krise und der folgende Triumph“ im Plassen-Verlag.

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Die USA holten zum Gegenschlag aus und attackierten einen syrischen Luftwaffenstützpunkt als Reaktion auf einen mutmaßlichen syrischen Chemieangriff in der syrischen Provinz Idlib. Der Angriff der USA wirft etliche Fragen auf und verlangt eine generelle Betrachtung der US-Strategie unter Präsident Donald Trump.

Wie kam es zum Giftgas-Angriff?

Die erste Frage ist, warum der Angriff von syrischer Seite überhaupt ausgeführt wurde, wofür alle Anzeichen sprechen. Die Erklärung des Regimes scheint zu sein, dass seine Kämpfer ein Al-Qaida-Waffenlager angegriffen hatten, woraufhin sich Giftgas freisetzte. Dieses Szenario ist nicht völlig unmöglich, jedoch sehr unwahrscheinlich. Sarin-Gas wird durch hohe Temperaturen zerstört, die von einer Explosion erzeugt werden können. Die Wahrscheinlichkeit, dass das Gas erhalten bleibt, freigesetzt wird und sich auf das gesamte Dorf verteilt, ist so gering, dass man die Theorie verwerfen kann.

Zwei weitere Erklärungen sind jedoch realitätsnaher. Erstens besteht die Möglichkeit, dass ein lokaler Kommandeur es in die eigene Hand nahm, die Chemikalien einsetzte. Dies ist zwar möglich, aber ebenfalls unwahrscheinlich, da die Syrer den Einsatz von Waffen sehr streng kontrollieren.

Die dritte Erklärung ist die wahrscheinlichste: Das syrische Regime hat mit Unterstützung von Russland einen erheblichen Teil Syriens zurückerobert. Dieses Gebiet Syriens ist widerspenstig, um es milde auszudrücken, und die syrische Regierung wollte ein Exempel statuieren, was mit widerspenstigen Gegenden geschieht. In diesem Szenario war der Anschlag dafür bestimmt, potenzielle Aufständische innerhalb des vom Regime kontrollierten Territoriums einzuschüchtern. Weil das Regime von Präsident Baschar al-Assad in den von seiner Regierung zurückeroberten Gebieten ohnehin nie sonderlich beliebt sein wird, diente der Angriff in erster Linie dazu, die Bevölkerung das Regime fürchten zu lassen.  

Russland unter Rechtfertigungsdruck

Eine zweite Reihe von Fragen dreht sich um das Verhalten Russlands. Russische Streitkräfte griffen in Syrien ein, um Assads Regime zu unterstützen und um Russlands Macht gegenüber der eigenen Bevölkerung zu demonstrieren. Die Intervention verschaffte Russland eine starke Kontrollfunktion über Assad, also sollten Russlands Geheimdienste wissen, was durch den Giftgasangriff erreicht werden sollte.

Russland sieht sich ohnehin schon internationaler Kritik für seine Unterstützung des Assad-Regimes ausgesetzt. Umso monströser das Verhalten des Regimes ist, umso schwieriger wird es für Russland sein, sich für seine Positionierung zu rechtfertigen. Russland hat keine strategischen Interessen bezüglich Assads Machterhalt – das Argument, es wolle einen Kriegshafen in Syrien errichten, hält nicht stand. Diese Basis zu unterhalten, würde davon abhängen, ob die Türken einen Korridor zu ihr erlauben. Die Basis wäre überdies extrem ungeschützt gegenüber US-amerikanischen Angriffen. Außerdem haben die Russen wichtigere Probleme als die Fantasterei, eine Mittelmeermacht zu werden.

Russen Verbrecher oder Stümper?

Die Intervention in Syrien war darauf ausgelegt, Russlands Macht zu demonstrieren und seine Klugheit gegenüber dem amerikanischen Durcheinander im Irak zu beweisen. Ein Chemiegasangriff von syrischer Seite lässt Russland entweder wie Assads brutaler Komplize dastehen, oder aber als unfähig, Assads Pläne zu kennen beziehungsweise sie zu kontrollieren. Im Moment wirken die Russen entweder wie Verbrecher oder wie Stümper. Das russische Versagen, seinen Mandanten unter Kontrolle zu haben, untergräbt das Bestreben des Landes, sein Ansehen neu zu formen.

Der russische Einspruch gegen die US-amerikanischen Anschläge lässt Russland in einer ungünstigen Lage zurück. Haben doch die Russen offenbar versagt, das Regime zu kontrollieren, nachdem sie dieses durch ihre Intervention zuvor noch gerettet hatten. Russland hätte nicht in Syrien sein müssen, aber sie haben sich nun für diesen Weg entschieden. Es bleibt ungewiss, warum Russland nicht in der Lage war, den chemischen Angriff abzuwehren.

Trump überraschend konventionell

Vielleicht wird die wichtigste Folge des US-amerikanischen Angriffs sein, dass man einen Einblick in Trumps nationale Sicherheitspolitik bekommt. Diese scheint sehr viel konventioneller zu sein, als es sein Kommunikationskonzept vermuten ließ. Im Laufe der Zeit haben die USA eine Strategie entwickelt, militärischen Handlungen, die sie nicht befürworten, mit Luftangriffen entgegenzutreten.

Luftangriffe verursachen Leiden, aber auf lange Sicht gesehen ist es unwahrscheinlich, dass sie tatsächlich eine Änderung der Strategie des Gegners bewirken. In Zeiten von Bill Clintons Regierung, als solche Angriffe eine Antwort auf Al-Qaida Angriffe in Ostafrika und des Kriegsschiffes USS Cole waren, war das Quidproquo, dass man Leid auslöste, ohne die Bereitschaft oder die Fähigkeit zu haben, gezielt einzugreifen.

Nachhaltige Eingriffe unmöglich

Im Moment sind entscheidende Eingriffe in Syrien unmöglich. Die USA haben zur Zeit ungefähr 1000 Soldaten in Syrien. Mehr als hundertmal so viele wären notwendig, um das Assad-Regime zu stürzen und das Land zu befrieden. Die USA haben aus dem Irakkrieg gelernt, dass es viel schwieriger ist, ein Land zu befrieden, als dessen Armee und Regime zu zerstören. Die Truppen in der Region reichen nicht aus, um ein weiteres Regime zu stürzen und Aufstände einzudämmen. Die Trump-Regierung hat es zu einer Priorität gemacht, die Truppen, die über 15 Jahre im Kriegsgeschehen verschlissen wurden, wieder aufzubauen. Eine Intervention in Syrien im Ausmaß eines Regimewechsels wäre daher nicht sonderlich praktikabel.

Realität holt Trump ein

Trump konnte jedoch nicht einfach ignorieren, was vorgefallen war. So wie es immer der Fall ist bei Präsidenten, hatte er mehrere Gründe für diese Entscheidung. Erstens verbreitet die Anwendung von Chemiewaffen globale Angst und angesichts der Angst vor dem Terror reicht diese auch bis in die USA. Zweitens schien, trotz Überlegungen, dass die USA weniger in die Welt eingreifen sollten, in diesem Moment nichts zu tun, auch keine Option zu sein. Und schließlich wollte sich Trump von seinem Vorgänger Barack Obama abgrenzen, der sich nach einer ähnlichen Giftgas-Attacke entschlossen hatte, nicht zurückzuschlagen.

Jeder Präsident entwickelt eigene Vorgehensweisen und spricht darüber. Aber letztendlich werden sie in ihrem Handeln immer wieder von der Realität eingeholt. Nichts zumindest ansatzweise Effektives zu tun, wäre eine Einladung für die Gegner gewesen, ihre eigenen Handlungen nach der Prämisse auszurichten, dass die USA nicht reagieren.

Trump hat eine Abneigung angedeutet gegenüber einer hohen Beanspruchung der USA bei aktuellen Konflikten. Wären seine Worte in Stein gemeißelt gewesen, dann könnten die potenziellen Auswirkungen größer sein, als es wünschenswert wäre. Demnach war er dazu gezwungen, das zu tun, was andere Präsidenten an seiner Stelle auch getan hätten: eine Maßnahme auszuführen, die beides ist: kleinstmöglich und machbar, ohne weitere hohe Beanspruchungen vor Ort. Er hat sowohl amerikanische Macht als auch ihre Grenzen demonstriert. Er stand vor der Unmöglichkeit der Untätigkeit und hat sich für den ausgetretenen Pfad entschieden.

Aus dem Englischen übersetzt von Hannah Fuchs.

Der Originaltext erschien auf der Internetseite des von George Friedman gegründeten Thinktank Geopolitical Futures.

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