US-Wahlen 2020 - Biden und der Brandstifter

Seit den Schüssen auf Jacob Blake sind nach Protesten gegen Polizeigewalt in Kenosha mehr als 200 Menschen festgenommen worden, während Donald Trump „anarchistischen Städten” die Mittel streichen lassen will. Das Thema „Law and Order” hat offiziell den Wahlkampf erreicht.

Der Besuch von US-Präsident Trump in Kenosha hat gezeigt: Das Land ist zunehmend gespalten / dpa
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Autoreninfo

Daniel C. Schmidt ist freier Reporter. Er studierte in Manchester und London (BA Politics & Economics, MSc Asian Politics) und lebt zur Zeit in Washington, D.C.. Schmidt schreibt über Pop, Kultur und Politik.

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Am 23. August, um kurz nach 17 Uhr an jenem Sonntagnachmittag, knallte es sieben Mal an der 28th Avenue Ecke 40th Street in Kenosha, Wisconsin – BAM, BAM, BAM, BAM, BAM, BAM, BAM.  

Sieben Schüsse lösten sich aus der Dienstwaffe von Rusten Sheskey, einem weißen Polizisten, vier davon trafen Jacob Blake, alle in den Rücken. Nach einer Auseinandersetzung hatte sich der Afroamerikaner der Festnahme durch die herbeigerufenen Beamten entzogen. Beim Öffnen der Fahrertür seines Autos, in dem drei seiner Söhne saßen, fielen die Schüsse. 

Erneute Eskalation

Blake hat überlebt, er liegt im Krankenhaus in Wisconsin, von der Hüfte abwärts gelähmt. Ob die Lähmung permanent ist, können die Ärzte noch nicht sagen. Das Video der Schießerei verbreitete sich rasend schnell im Netz, was unmittelbar zu Protesten gegen Polizeigewalt in Kenosha führte. Am zweiten Tag der Demonstrationen schoss dann ein 17 Jahre alter Junge um sich, zwei Menschen starben, einer wurde verletzt. Der Junge wurde später festgenommen, sein Anwalt spricht von einem Akt der Selbstverteidigung. 

Am 29. August, 2000 Meilen westlich von Kenosha, versammelten sich Anhänger von Donald Trump in Portland, Oregon zu einer Kundgebung. Bei einer mutmaßlichen Auseinandersetzung mit Gegendemonstranten wurde ein Mitglied der rechten Gruppierung Patriot Prayer erschossen. Der Tatverdächtige widersetze sich einer Festnahme am Donnerstagabend und wurde von Beamten vor Ort bei einer Schießerei tödlich verletzt.

„Law and Order”-Debatte

Amerika im Sommer 2020. An allen Ecken und Ende brennt es, geographisch, politisch, kulturell. Wochenlang fegte das Coronavirus unter einem lange ruderlosen Weißen Haus über das Land hinweg, die Wirtschaft brach ein, die Arbeitslosenzahlen schnellten in ungeahnte Höhen, und nach dem brutalen Tod von George Floyd durch einen weißen Polizeibeamten in Minneapolis Ende Mai wurde die Frage, ob Amerika seine rassistische Vergangenheit ausreichend aufgearbeitet hat und wie zerstörerisch struktureller Rassismus sich immer noch auf Schwarze Amerikaner auswirkt, auf die Straße verlegt. Städte standen in Flammen, Demonstranten, die sich gegen Diskriminierung einsetzten, gerieten landesweit mit Einsatzkräften aneinander.  

Umgedeutetes Narrativ

Der bereits vor Wochen angefachte Kulturkampf des Präsidenten, sein „Die gegen uns”, links gegen rechts, ist plötzlich zu etwas Seltsamen mutiert: einer „Law and Order”-Debatte, die einen entscheidenen Punkt ausklammert. 

Recht und Ordnung, das ist an sich nicht neu in seinem Repertoire, damit hat er sich schon 2016 im Wahlkampf gebrüstet. Neu ist, wie er das Narrativ dieser Debatte umgedeutet hat. 

„Rücksichtslose linksextreme Politiker hören nicht auf, die destruktive Botschaft zu verbreiten, unsere Nation und Ordnungskräfte wären gewaltsam und rassistisch”, sagte Trump bei seinem Besuch in Kenosha Anfang der Woche. „Im Gegenteil, wir sollten noch mehr Unterstützung für unsere Ordnungskräfte zeigen.”

Unwillkommner Gast 

Gegen den ausgesprochenen Wunsch von Kenoshas Demokratischem Bürgermeister und Wisconsins Demokratischem Gouverneur reiste der Präsident am Dienstag in die Stadt, um sich Straßen und Geschäfte zeigen zu lassen, die bei den Demonstrationen nach den Schüssen auf Jacob Blake zerstört und beschädigt wurden. Statt systematische Benachteiligung von Afroamerikanern und Polizeigewalt zu diskutieren, traf sich Trump mit Vertretern verschiedener 
Ordnungskräfte,
um darüber zu reden, wie die Proteste in den Griff zu bekommen seien. 

Am Montag noch hatte Trump im Weißen Haus den 17 Jahre alten Jungen verteidigt, der die zwei Menschen in Kenosha erschossen hatte. Das sei eine interessante Situation gewesen, sagte der Präsident. „Das ist etwas, was wir uns augenblicklich angucken, noch wird ermittelt. Ich vermute, dass er in Schwierigkeiten steckte. Wahrscheinlich wäre er umgebracht worden. Aber das wird noch untersucht.”  

Selektive Empathie

Im Gegensatz zu Joe Biden, der am Donnerstag nach Kenosha reiste, um Blakes Angehörige zu treffen, vereinbarte der Präsident keinen Besuch bei dessen Familienmitgliedern. Er sprach lediglich mit dem Pastor von Jacob Blakes Mutter. 

„Es tut mir leid für jeden, der so etwas durchmachen muss”, sagte Trump in Kenosha, angesprochen auf das Schicksal des Jungen. Als die Presse ihn nach systematischem Rassismus in der Gesellschaft fragte, zeigte er sich wortkarg und wies die Reporter an, sich lieber auf die Krawallen zu konzentrieren.  

Ein Recht auf friedlichen Protest 

In Wahlkampfspots mit Bildern von brennenden Städten warnte Trumps Team in den vergangenen Wochen davor, dass so ein Amerika unter Joe Biden aussehen würde. Sein Demokratischer Widersacher wird nicht müde, den Amtsinhaber darauf hinzuweisen, dass das aktuelle Bildern aus dem Amerika des Amtsinhabers sind – der entscheidende Punkt, den Trump gern ausklammert.

„Ich muss den Präsidenten dringend bitten, sich mir anzuschließen in der Aussage, dass friedliche Proteste ein Recht sind, eine Notwendigkeit, und dass Gewalt falsch ist. Punkt. Egal, von wem sie ausgeht; egal, was für eine politische Gesinnung man hat”, sagte Biden in einer Stellungnahme. „Falls Donald Trump das nicht sagen kann, dann ist er dem Amt nicht gewachsen, und es ist klar, dass er mehr, und nicht etwa weniger, Gewalt bevorzugt.”

Ein Problem der Demokraten?

In Bidens Formulierung kann man heraushören, warum es Trump einfacher fällt, den Punkt zu unterschlagen, dass die brennenden Städte unter seine Amtszeit fallen – er hat das Narrativ umgedeutet, den eigentlichen Kern des Diskurses, die Frage nach systematischer Diskriminierung innerhalb der Polizei, ignoriert er und deutet stattdessen daraufhin, dass die Gewalt hausgemacht ist in Städten, die Demokratischen Bürgermeistern und Gouverneuren unterstehen. 

Natürlich greift Biden diesen Punkt auch indirekt auf, wenn er Gewalt verurteilt und hinzufügt, „egal, was für eine politische Gesinnung man hat”. Trump hat ihm das aufgebrummt, er muss reagieren. Bei einem Auftritt in Pittsburgh in dieser Woche sagte der Demokrat dann noch: „Verwüsten ist kein Protestieren. Plündern ist kein Protestieren. Sachen in Brand zu stecken ist kein Protestieren. Nichts davon ist eine Form von Protest, das ist gesetzlos, klipp und klar. Und die, die dafür verantwortlich sind, sollten strafrechtlich belangt werden dafür.”

Wer ist verantwortlich für die Stimmung im Land?

Noch wird die Debatte fast nur von Trump und seinen Anhängern angefacht, aber auch ein paar Kolumnisten der New York Times fragten sich in einem Podcast Mitte dieser Woche, ob Trump allein als Brandstifter verantwortlich gemacht werden kann. 

„Ich habe schon länger gesagt, dass Trump für die generelle Stimmung im politischen Amerika verantwortlich ist. Ich glaube, dass wir unter einem anderen Präsidenten weniger Gewalt in den Straßen sehen würden”, sagte Ross Douthat von der Times in dem Gespräch. „Ich glaube ebenso, dass es ganz normal ist, sich darüber zu unterhalten, dass es hier nicht nur um Trump geht und dass es auch darum geht, wie deine Reaktion aussieht als Bürgermeister einer liberalen Stadt, wenn dein Einkaufsviertel niederbrennt. Wie reagierst du, wenn deine Kleinunternehmen, die von Familien mit Migrationshintergrund geführt werden, in Flammen aufgehen? Das kann nicht nur eine Unterhaltung darüber sein, wie schlimm Trump ist.”

Und schon entspinnt sich ganz langsam ein neuer Diskurs, weg vom ursprünglichen Thema, hin zu einem, das Trump inhaltlich viel mehr liegen dürfte und nutzen würde. BANG BOOM BANG. 
 

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