Neuer US-Präsident Biden - Und dann geht die Party richtig los

Über Tage zog sich die US-Wahl wie Kaugummi. Als Joe Biden schließlich Pennsylvania holte, zog es die Menschen auf die Straße. Die einen feiern, die andern sehen weiter eine große Verschwörung am Werk.

Wilder Westen and er East Coast / Eva C. Schweitzer
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Autoreninfo

Eva C. Schweitzer arbeitet als freie Journalistin für verschiedene Zeitungen in New York und Berlin. Ihr neuestes Buch ist „Links blinken, Rechts abbiegen“.

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Ganz New York verwandelte sich in eine Feiermeile, nur wenige Minuten, nachdem der Nachrichtensender CNN den Sieg des demokratischen Herausforderers Joe Biden verkündet hat. Der Times Square füllt sich mit Menschen, die meisten davon jung, es sind weiße, hispanische, schwarze, Asiaten. Sie jubeln, tanzen, singen, schreiben, pfeifen und schwenken amerikanische Fahnen und, vor allem, sie fotografieren einander. Es ist ein historischer Tag, von dem einmal den Enkeln erzählt werden wird.

Und das Wetter spielt auch mit

Es ist das erste Mal seit dem monatelangen Corona-Lockdown, dass sich so viele Menschen auf dem zentralen Platz von New York versammeln, und das auch noch bei schönstem Frühlingswetter. Es ist wie eine Neujahrsfeier, nur ohne Schnee und Kälte. Und fast alle sind Amerikaner, denn die Touristen sind noch nicht zurück. Alle sind fröhlich und friedlich, alle tragen Masken, niemand drängelt.

Einige der Feiernden tragen Plakate, wo sie fordern, nun auch rasch den ungeliebten Generalstaatsanwalt Bill Barr und andere Trump-Günstlinge wie Betsy deVos loszuwerden oder, noch besser, ins Gefängnis zu stecken. Andere machen Selfies vor den Biden-Harris-Plakaten oder vor den ungezählten Neonreklamen — ABC kündigt in einer stetig durchlaufenden Schlagzeile an, Trump wolle gegen die Wahl klagen. Das kümmert gerade niemanden. Eine Frau hält ein "Halleluja"-Schild hoch.

Naked Cowboy ist ein tapferer Verlierer

Mittendrin ist der Naked Cowboy, ein Kleinkünstler aus Louisiana, der normalerweise in Unterhosen zur Gitarre klampft; er ist Trumps einziger bekannter Anhänger in New York City. Nun lächelte er etwas verlegen, aber tapfer und, natürlich, immer noch nackt bis auf die Unterhose. "Wir haben verloren, aber das muss man anerkennen", sagt er. "Das Leben geht weiter". Dann lässt er sich zusammen mit zwei — bekleideten — Frauen fotografieren.

Nicht nur auf dem Times Square wird gefeiert, der ganze Broadway ist eine Festmeile. Am Union Square sammeln sich Menschen, an Columbus Circle, wo der Central Park beginnt, trommeln begeisterte New Yorker auf mitgebrachten Rastatrommeln. Weiter oben, an der West 96th Street, haben sich Anwohner um ein Auto mit voll aufgedrehter Anlage aufgebaut. Die spielt erst "Hit the Road, Jack!" (verschwinde, Jack), wobei die mitsingenden Anwohner Jack mit "Trump" ersetzen, und dann wechselt die Musik zu "We are the Champions". Auch das wird mitgegrölt.

Müde, aber glücklich

Es ist Nachmittag, sie sehen schon ein bisschen erschöpft aus. "Aber das ist es wert", sagt eine Frau mit glänzenden Augen. Einen Block weiter verkaufen zwei Männer — Immigranten — die ersten, spontan gedruckten "Get-Lost-Trump"-T-Shirts. Das ist New York! An der Amsterdam Avenue und am Central Park hängen seit der CNN-Ankündigung Anwohner aus dem Fenster, trommeln auf Kochtöpfen und rufen. "Sowas habe ich hier noch nie erlebt", erzählt Scott, der an der Ecke zu Harlem lebt. "Das ist eigentlich eine ruhige Gegend".

Auch in Queens, der Bronx und in Brooklyn strömen die Menschen auf die Straße. In Brooklyn versammeln sie sich am Grand Army Plaza zu einer spontanen Straßenfete von ein paar tausend Menschen. Sektflaschen werden geköpft, eigentlich verboten in New York, aber das kümmert heute keinen. Die Polizei, die in den letzten Tagen geballt und alarmiert überall herumstand, ist nun relaxt. Selbst vor dem Trump Tower, wo auch demonstriert wird, ist es friedlich, wobei dort allerdings immer noch die schützenden Zementtrucks stehen.

Anspielungen an den D-Day

Gefeiert wird auch in Washington DC, wo tausende auf die Straßen strömen, und in Philadelphia, die Stadt, wo am morgen dieses Tages nach einer spannenden Auszählung die Wahl entschieden wurde — vorerst, ein offizielles Ergebnis gibt es noch nicht, aber Biden liegt nun bei der Zahl der Wahlmänner bei über 270, und es werden noch mehr dazukommen. In den ganzen USA sammeln sich spontan Menschen, die die neue Ära feiern. "V-T-Day" taufte ein Spaßvogel auf Facebook den Tag, "Victory-Trump-Day", angelehnt an "V-E-Day" und "V-J-Day" 1945, als Amerika den Sieg in Europa und Japan feierte, ebenfalls spontan auf dem Times Square.

"Das ist alles Fake!"

Anders die Stimmung bei den Trump-Anhängern. Im Nachbarstaat New Jersey sammeln sich ein paar Dutzend Enttäuschte, mit Trump-Fahnen und den roten "Make-Amerika-Great"-Basecaps. "Das ist alles Fake, ihr Medien betrügt uns, Trump hat gewonnen, die Auszählung ist gefälscht, jeder weiß das", schreit eine Frau einem CNN-Reporter entgegen. Aber nicht nur CNN hat den Wahlsieg gemeldet, auch die rechte Konkurrenz Fox New und sogar das Revolverblatt New York Post, das, wie Fox News, dem rechten Medienmogul Rupert Murdoch gehört und das Trump bis zuletzt die Stange gehalten hat.

Noch am gleichen Tag treten Biden und Kamala Harris vor die TV-Kameras und danken den Wählern, gefasst und ruhig. Die TV-Entertainmentrevue "Saturday Night Life", die kurz vor Mitternacht beginnt, startet die Senung bereits mit einer Parodie auf den Auftritt des Demokratischen Duos, wo die beiden, statt würdevoll in die Kamera zu blicken, jubeln und tanzen. Spät nachts, auf dem Times Square, haben die Leuchtreklamen umgeschaltet; sie gratulieren nun Biden und Harris zum Sieg. Noch ein paar Feiernde sind da, und die Autos hupen noch.

 

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